Maria Theresia Irene von Hildebrand (1846–1921) war weit mehr als nur die Ehefrau des Bildhauers Adolf von Hildebrand. Als eigenwillige, gebildete Frau zwischen Künstlerkreisen, gesellschaftlichen Zwängen und persönlicher Sehnsucht rang sie zeitlebens um Selbstbestimmung, Liebe und eine Rolle jenseits der Konventionen – ein Beitrag zur Ausstellung »Maria Theresia 23«.
Fotografien zeigen Irene von Hildebrand oft als Respekt gebietende Repräsentantin ihrer Zeit: Von Statur eher klein und von »niederländischer Fülle«,1 die Kleider meist schwarz und hochgeschlossen und mit allerlei Zierrat versehen. Doch muss sie eine große Anziehungskraft und Ausstrahlung besessen haben. Die exzentrische englische Komponistin Ethel Smyth (1858–1944), die in den frühen Achtzigerjahren oft auf San Francesco verkehrte, bezeichnete Irene in ihren Memoiren gar als »celebrated man-enslaver […] gracious and desirable«.2 Und tatsächlich stand die junge Frau in den frühen Siebzigerjahren im Mittelpunkt eines komplizierten Beziehungsgeflechts der drei Protagonisten von San Francesco di Paola – Conrad Fiedler, Hans von Marées und Adolf Hildebrand –, die große Auswirkung auf jeden Einzelnen von ihnen hatte.
Wer war Irene von Hildebrand?
Kindheit, Herkunft und erste Ehe mit Franz Koppel
Blicken wir zunächst zurück: Irene wurde am 7. April 1846 in Heilbronn geboren und wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. Sie war die Tochter des schwäbischen Technikers und Industriellen Gustav Schäuffelen (1798–1848), der in Heilbronn eine Papierfabrik besaß und in zweiter Ehe mit Auguste Louise Seyffer (1811–1888) verheiratet war.
Unter ihren neun Geschwistern3 stand sie ihrem Bruder Alfred (1844–1917) besonders nahe. Der promovierte Jurist und Chemiker war mit der schönen Eugenie (1848–1919) verheiratet. Die Tochter des Verlegers Friedrich Bruckmann war für ihre Geistesgewandtheit wie für die kapriziösen Künstlerfeste in ihrem Münchner Salon in der Luisenstraße gleichermaßen berühmt. Eine Welt, von der sich Irene ebenfalls angezogen fühlte und in die sich die erst 19-Jährige durch die Ehe mit dem ambitionierten Franz Koppel (1838–1920) aus Ellfeld Zutritt erhoffte.
Koppel konnte bereits eine beachtliche akademische Karriere vorweisen,4 wollte allerdings höher hinaus: Er schrieb Dramen, Bühnenwerke und arbeitete als Journalist. Das gemeinsame Haus in Dresden wurde zum Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle.5 Aber der große literarische Durchbruch blieb aus, und das persönliche Drama nahm seinen Lauf. Irene, mittlerweile Mutter eines Sohnes6, sah ihren Wunsch, an der Seite eines berühmten Mannes zu stehen, unerfüllt. Sie distanzierte sich zunehmend von dem in ihren Augen erfolglosen Gatten und floh – nach Italien.

Die Beziehung zu Adolf Hildebrand: Liebe, Trennung, Skandal
In Rom traf Irene 1872 auf Conrad Fiedler, den sie bereits aus Dresden kannte. Fiedler hatte dort auf dem Grundstück der Eheleute Koppel einen Gartenpavillon für Hans von Marées bauen lassen, in dem der Maler arbeiten konnte. Es soll allerdings nicht beim Malen geblieben sein.7 Auch der sensible Fiedler fühlte sich von der jungen geistreichen Frau angezogen und verliebte sich auf den gemeinsamen Spaziergängen durch die Ewige Stadt zärtlich in sie.8 Es blieb bei der Schwärmerei, die sich jedoch zu einer lebenslangen Freundschaft festigen sollte.
Die Bekanntschaft zwischen Irene und Adolf Hildebrand fand zur selben Zeit statt wie die Entdeckung San Francesco di Paolas: Ende des Jahres 1873. Sicherlich war ihre gegenseitige Neugier aufeinander durch die Erzählungen der gemeinsamen Freunde bereits geschürt. In den Erinnerungen Irenes liest man:
Die Aussicht in Florenz die Bekanntschaft des jungen talentvollen Hildebrand machen zu können, zog mich sehr an. Dies begabte Naturkind, von dem Marées und Fiedler so eine hohe Meinung hatten und das sich künstlerisch schon so bedeutungsvoll bethätigt hatte, schien mir für meine beabsichtigte Einsamkeit eine liebe, harmlose Gesellschaft zu bieten und dies umsomehr, da bei seiner grossen Jugend – er schien in meiner Phantasie nur wie ein Kind – jede Liebesgeschichte ausgeschlossen schien.9
Doch es kam anders. Die beiden verliebten sich leidenschaftlich ineinander. Nur wenige Wochen nach ihrem ersten Kennenlernen traf Irene die Entscheidung, sich von ihrem Mann Franz Koppel zu trennen. Die Ereignisse überschlugen sich, und auf Druck ihrer Freunde Fiedler und Marées beendeten Irene und Adolf Hildebrand die Liebesbeziehung. In ihren Erinnerungen beschreibt Irene die Einwilligung zur Trennung von Hildebrand als »Opfer«, das sie für die Kunst bringen musste.10 Es dauerte allerdings nicht lange, bis sie wieder Kontakt zueinander aufnahmen, und im Herbst 1876 beschlossen, ihren »ungesetzlichen Weg gerade vorwärts« zu gehen.11 Obwohl Franz Koppel seine Frau auf ihren Wunsch hin freigegeben hatte und diese ihn mit ihrem Vermögen großzügig auszahlte, zog sich die Scheidung in die Länge: Erst am 10. Januar 1877 wurde sie rechtskräftig.12 Nach der obligatorischen Wartezeit heirateten Adolf Hildebrand und Irene Koppel schließlich am 3. Dezember 1877 standesamtlich im Palazzo Vecchio in Florenz. Einen gesellschaftlichen Skandal in Kauf nehmend, bezog Irene bereits ein Jahr zuvor San Francesco di Paola. Denn am 1. Januar des Jahres 1877 erblickte ihre erste gemeinsame Tochter Eva das Licht der Welt.

Leben für die Kunst – zwischen Selbstaufgabe und Selbstbehauptung
Irenes Rolle auf San Francesco gebührt besondere Aufmerksamkeit, denn sie wurde zur eigentlichen Gestalterin des Hauses. Sie war es, die mit ihrem Vermögen das Anwesen »zur Stätte der Schönheit und der edelsten Geselligkeit machte«.13 Sie richtete das Haus nach ihren Vorstellungen ein, kaufte Möbel, die bis heute auf San Francesco benutzt werden, legte den Park an und verwandelte das Kunstkloster in eine standesgemäße Künstlervilla. Dabei unterhielt sie »als große Dame die Verbindung mit der Welt« und gab »dem Ganzen bei im Grunde schlichten Lebensgewohnheiten den Stil […], als wäre es ein Fürstenhaus, […] in dem es keinerlei Künstlerbohème gab«.14
In ihrer Ehe wollte Irene Hildebrand sich in der Rolle der Gefährtin sehen. Verwirklichen konnte sie den Traum der andauernden Gefährtenschaft allerdings nicht.
Oft fühle ich mich innerlich tief einsam und Sehnsucht ergreift mich nach einem nahen intimen Freundschaftsverhältnis. Adolf ist durch Arbeit und bethätigendes Leben vollständig absorbiert. Wir leben nebeneinander auch stellenweise miteinander, aber ich anspruchsvolle Seele sehne mich nach mehr – nach einem Leben ineinander.15
Irene sah ihre Aufgabe darin, das Genie ihres Mannes zu fördern. Mit der Welt, die sie für ihn schuf, deren Bauherrin sie wurde und die dazu diente, dem Genius des Künstlers eine Heimat zu bieten, tat sie das eine. Mit der Familie und dem heiteren, anspruchsvollen und unbekümmerten Leben, das fortan in die Mauern des ehemaligen Klosters einzog, entstand das andere. Alle weltlichen Sorgen und Geschäfte versuchte sie von ihrem Mann fernzuhalten. Gerade in den Achtzigerjahren klagte Irene bei der wachsenden Familie häufig über finanzielle Engpässe, blieb mit ihren Ängsten aber allein.
Alle Sorgen und alle Lasten des Lebens ruhen auf mir. Adolf ist der fröhliche Gast, der sich zu Tische setzt und lachend sein Mahl verzehrt.16
Gleichwohl war sie stolz darauf, dass »Adolf […] nie die Kunst zum Geldgewinn erniedrigt [hat]«.17 Für Irene, die unter anderem auch als »leidenschaftlich-romantische wie eifersüchtige Natur« bezeichnet wurde,18 war das Leben mit Hildebrand nicht immer leicht, denn der Künstler liebte in erster Linie die Kunst:
Adolfs Seele […] zog sich sehr bald nach wenigen Jahren ungetrübten Verwebtseins eigentlich in seine Kunst zurück.19
Überschattet wurde die Ehe außerdem von den zahlreichen Affären des Künstlers.20

Als Adolf von Hildebrand, gezeichnet von mehreren Schlaganfällen, am 18. Januar 1921 in München starb, erlosch auch Irenes Lebensfreude. Sie folgte ihm, kein halbes Jahr später, am 9. September 1921 in den Tod.
Weitere Artikel der Autorin im MON_Mag:
- «Wohnen auf San Francesco di Paola. Hildebrands Welt» – (13.11.2024)
- «Adolf von Hildebrand und San Francesco di Paola in Florenz» – (7.10.2024)
- Kurz, Isolde: Der Meister von San Francesco, Tübingen 1931, S. 19. ↩︎
- Smyth, Ethel: Impressions that remained, 2. Aufl., London 1919, S. 60. ↩︎
- Sechs ihrer neun Geschwister stammten aus der ersten Ehe des Vaters mit Johanna Christiane (1802–1837), waren bedeutend älter als Irene und verstarben fast alle jung. ↩︎
- Franz Koppel studierte zunächst Philosophie in Tübingen, wechselte dann zur Rechtswissenschaft und ging nach Leipzig und Heidelberg, wo er zum Dr. iur. promoviert wurde. 1871 habilitierte Koppel am Polytechnikum Dresden für Kulturgeschichte, wo er nach fünf Jahren als Privatdozent zum a. o. Professor ernannt wurde. ↩︎
- Ab 1871 trafen sich bei Koppels die „Vierzehner”, ein literarischer Kreis, dem meist hochgestellte Persönlichkeiten wie Diplomaten, Hofräte, Professoren und Schauspieler angehörten, die publizistisch tätig waren. Die Zahl der Mitglieder war auf 14 beschränkt. ↩︎
- Alfred, genannt Dedi, Koppel (1870–1896), war Irenes erster Sohn aus der Ehe mit Franz Koppel. Seine frühen Kindheitsjahre verbrachte er in Florenz, das Gymnasium absolvierte er in Jena und lebte in der Familie von Hildebrands Schwester Sophie Fromann. Er studierte Rechtswissenschaften, promovierte und versprach, eine aussichtsreiche Karriere zu machen. Aufgrund eines Herzleidens starb Dedi mit nur 26 Jahren. ↩︎
- Vgl. Blum, Gerd: Hans von Marées. Autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne, München, Berlin 2005, S. 95 f. ↩︎
- Tagebuch, 12. Februar 1873, in: Fiedler, Conrad: Die Tagebücher 1866–1875, hg. und mit einem Vorwort versehen von Brigitte Boiar, Gladbeck 2011, S. 346. ↩︎
- Irene von Hildebrand, Tagebuchblätter und Erinnerungen, Frühjahr 1874, Blatt 1f. In: BSB, Ana 550, Materialien aus dem Nachlass von I.v.H., Vgl. ebd. Blum, 2005, S.92. ↩︎
- Irene von Hildebrand, Tagebuchblätter und Erinnerungen, Frühjahr 1874, Blatt 6, in: BSB, Ana 550, Materialien aus dem Nachlass von Irene von Hildebrand. ↩︎
- Adolf Hildebrand an Conrad Fiedler. Florenz, 13. Oktober 1876, in: BSB, Ana 550, BS, Vorarbeiten, Korrespondenz. ↩︎
- BSB, Ana 550, Materialien aus dem Nachlass von Irene von Hildebrand, Tagebuch 1862–1920, Frühjahr 1877, Blatt 1 und 2. ↩︎
- Kurz, 1931, S. 19. ↩︎
- Curtius, Ludwig: Deutsche und Antike Welt, Lebenserinnerungen, Stuttgart 1958, S. 144. ↩︎
- Irene von Hildebrand, Tagebuchblätter und Erinnerungen, Tagebuch 1862–1920, 8. Dezember 1883, in: BSB, Ana 550, Materialien aus dem Nachlass von I. v. H. ↩︎
- Ebd., 1888. ↩︎
- Ebd., Februar 1919. ↩︎
- Vgl. Blum, Gerd: Hans von Marées. Autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne, München, Berlin 2005, S. 95 f. ↩︎
- Irene von Hildebrand, Tagebuchblätter und Erinnerungen, Tagebuch 1862–1920, Januar 1917, in: BSB, Ana 550, Materialien aus dem Nachlass von I.v.H ↩︎
- In Irene von Hildebrands Tagebüchern stoßen wir immer wieder auf Passagen, in denen sie über die Untreue ihres Mannes klagt, auch in den Memoiren von Georges Baltus wird das Thema häufig angesprochen. Vgl. BSB, Ana 550, Materialien aus dem Nachlass von Irene von Hildebrand, Tagebuchblätter und Erinnerungen; Postume Dokumentation zu Adolf von Hildebrand, gesammelt von Bernard Sattler; Georges Baltus, Erinnerungen an Adolf Hildebrand. Ts/Dg. ↩︎
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