Warum geht Gisela Elsner gegen den Mainstream-Feminismus an? Und warum fühlt sie sich zweifach marginalisiert im Literaturbetrieb? Eine verkannte Satirikerin und Kritikerin, weil sie meist zu früh gesellschaftlich-literarische Missstände anprangerte – noch vor der Entstehung einer feministischen Literaturwissenschaft. Dr. Christine Künzel schreibt erneut über Gisela Elsner. Die Frauenbewegung der 1980er Jahre unserer #PopPunkPolitik-Ausstellung* bot ihr den Anlass, entstanden ist auch ein weiterer Beitrag zu #femaleheritage: gegen Mütter-Feminismus der 1980er Jahre und bekenntnishafte Emanzipationsliteratur im literarischen Ghetto.
Gisela Elsners Kritik an Literaturbetrieb und Emanzipationsliteratur
Die traute sich ja was. Während andere Autorinnen demütig dankbar waren, dass sie in der renommierten Literaturzeitschrift „Akzente“ publizieren durften, schickte Gisela Elsner am 9. Juli 1968 ein saftiges „Protestschreiben“ an die Herausgeber. Das war mutig, denn zu diesem Zeitpunkt hatte sie gerade einmal einen Roman veröffentlicht. Doch bereits damals stellte die Schriftstellerin ihr feines Gespür für die Diskriminierung von Autorinnen im Literaturbetrieb unter Beweis. Lange vor dem Entstehen einer feministischen Literaturwissenschaft prangerte Gisela Elsner die Kategorisierung literarischer Texte aufgrund des biologischen Geschlechts an.
Sie wandte sich explizit gegen die Präsentation ihrer Texte innerhalb einer „Damenriege“, sprich: unter dem Label „Frauenliteratur“. Eine solche Zuordnung sei, so Elsner, „unsachlich und unliterarisch, ja sogar diskriminierend“. Man veröffentliche „ja auch nicht Geschriebenes unter Kennmarken wie ‚kriegsversehrt, nichtarisch, triebvariiert‘“. Am Ende des Briefes drohte Elsner gar damit, „für die ‚Akzente‘ keine Texte mehr freizugeben“. Zur selben Zeit hatte die Autorin in einem Fernsehinterview ihr Befremden angesichts der Tatsache ausgedrückt, dass Frauen, „wenn sie etwas tun, was andere seit Jahrtausenden tun“, nämlich schreiben, vonseiten des Literaturbetriebes mit einer herablassenden Verwunderung begegnet werde.
Erstaunlich wäre es, wenn ein Dackel ein Gedicht schriebe, ein gutes Gedicht, dann würde mich das auch sehr wundern.
Elsner in einem NDR-Fernsehinterview, 1968
Mit diesem Einspruch formulierte Elsner bereits sehr früh – sprich: lange vor der Entstehung einer literaturwissenschaftlichen Frauenforschung – ihr Unbehagen an einem frauenfeindlichen Literaturbetrieb. Etwa 15 Jahre später fasste sie ihre Kritik in dem Essay „Autorinnen im literarischen Ghetto“ noch einmal zusammen. Ausgehend von der Rubrik „Frauenliteratur“, die sich Ende der 1970er Jahre entwickelte, entlarvt Elsner den diskriminierenden Charakter eines solchen Labelings.
Ihre Kritik richtete sich nicht allein gegen den bundesdeutschen Literarturbetrieb, sondern zugleich gegen eine bestimmte Richtung feministischen Schreibens, namentlich gegen eine bekenntnishafte Emanzipationsliteratur. Für diese stand exemplarisch Verena Stefans Roman „Häutungen“ (1975). Elsner monierte, dass sich eine solche Literatur, die ausschließlich mit der „Selbstfindung und der Vervollkommnung einer sogenannten neuen Weiblichkeit beschäftigt“ sei, sich „von der alten, von Männern geprägten Vorstellung von Weiblichkeit verblüffend wenig“ unterscheide.
Im literarischen Ghetto
Der Begriff des „literarischen Ghettos“ ist durchaus in einem doppelten Sinne zu verstehen: Er bezieht sich
- auf eine freiwillige Kategorisierung von Autorinnen, die sich mit dem Label „Frauenliteratur“ identifizieren und für eine weibliche Ästhetik eintreten;
- auf die Tatsache, dass Autorinnen grundsätzlich aufgrund ihrer biologischen Merkmale von der Literaturkritik in eine solche Nische gedrängt werden.
Aus Elsners Sicht gibt es für schreibende Frauen keinen Ort jenseits eines literarischen Ghettos, „wo sie nicht anerkannt, sondern lediglich geduldet werden“.
Für Elsner selbst bedeutete dies, dass sie innerhalb des bundesdeutschen Literaturbetriebes eine doppelte Marginalisierung erfuhr: durch ihre Position als Satirikerin und als Frau. Während weibliche Autoren sich spätestens im 20. Jahrhundert in allen literarischen Gattungen etabliert hatten, blieb die Satire (bis auf wenige Ausnahmen) ein Terrain männlicher Schriftsteller.
Satiren […] galten wie Bordellbesuche ausschließlich als Männersache
– brachte Elsner die Situation in einem Interview von 1978 in gewohnt sarkastischer Weise auf den Punkt. So befand sich zwar auch Elsner in einem solchen literarischen Ghetto, doch selbst hier „störte sie stachlig, wurde ihr kein Platz gelassen“, bemerkte Hermann Kinder in einem Nachwort zu einer Neuauflage der „Riesenzwerge“ (1964/1995).
Wider den Mainstream-Feminismus
Mit ihrer Kritik an einem bestimmten Genre feministischer Literatur und der neuen Frauenbewegung stand Elsner allerdings nicht allein – zumindest nicht ganz allein. Die 1975 gegründete und erstmals erschienene feministische und zugleich feminismuskritische Zeitschrift „Die schwarze Botin“ verfolgte ein ähnliches Programm. Die „schwarze Botin“ und die „schwarze Köchin“ (so bezeichnete Elfriede Jelinek Elsner in einem Essay), das passte. So verwundert es nicht, dass auch einige Prosatexte von Gisela Elsner hier veröffentlicht wurden. Es war insbesondere der satirisch polemische Ton in der kritischen Auseinandersetzung mit der Frauenbewegung der 1980er Jahre, den die Herausgeberinnen der Zeitschrift mit der Satirikerin Elsner teilten.
1975 hatte Elsner bereits zum „Jahr der Frau“ eine bissige Polemik verfasst; 1984 erschien im „Stern“ unter dem Titel „Von Flausch und Fluch der neuen Frau“ ein Auszug aus ihrer Abrechnung mit der bundesdeutschen Frauenbewegung „Der Ruf der großen Mutter“. Elsners Polemik richtete sich gegen den sogenannten Mütter-Feminismus der 1980er Jahre, dem sie „geistige Humpelei“ vorwarf.
Zumal die Extremistinnen des Feminismus, denen es längst nicht mehr um die obsolete Gleichberechtigung der Frau, sondern nur noch um die Vormachtstellung der Gebärmutter zu gehen scheint, tun ihr Menschenmögliches, um die zur Idealfigur ernannte Spottfigur zu übertrumpfen.
Elsner: Der Ruf der großen Mutter
Die „schwarze Köchin“ des bundesdeutschen Literaturbetriebs
Zudem weist die Kommunistin Elsner darauf hin, dass die „hiesige Frauenbewegung keine Bewegung der unteren Schichten“ sei – ein Vorwurf, der die feministische Bewegung bis heute begleitet. In dieser Polemik lässt Elsner kein gutes Haar an der sogenannten Emanzipationsliteratur von Verena Stefan, Mariella Mehr, Margrit Brückmann und anderen. Dabei weisen Elsners feminismuskritische Pamphlete durchaus Parallelen zu den polemischen Texten von Gabriele Goettle in der „Schwarzen Botin“ und auch Esther Vilars Streitschrift „Der dressierte Mann“ (1971) auf. Doch ist Elsner weder Männer- noch Frauenfeindin. Nicht das biologische Geschlecht sei schuld an der Geschlechterdiskriminierung, sondern die sozialen, politischen und ökonomischen Umstände.
Die wohl radikalste Kritik am sogenannten Mütter-Feminismus formulierte Elsner allerdings in einem Romanfragment mit dem Titel „Die teuflische Komödie“, das erst 2016 aus dem Nachlass Elsners in der Monacensia publiziert wurde. In einem Kapitel dieses Textes tritt eine „Volkskommissarin für Familienentflechtung“ auf, deren Parolen Elsners Position noch einmal in satirisch-überspitzter Weise zusammenfassen. „Mutterliebe“ wird hier als „eine von der Bourgeoisie erzwungene Heuchelei des schier im Sumpfe des Patriarchats und in der Knechtung versinkenden sogenannten schwachen Geschlechts“ diskreditiert.
Elsners Fähigkeit, Probleme und Missstände bestimmter Bewegungen bereits in der Entstehungsphase zu erkennen und satirisch-kritisch zu benennen – sei es der Feminismus oder die Öko-Bewegung in den 1980er Jahren –, war gewissermaßen Gabe und Fluch zugleich. Elsner hätte sicherlich sowohl die #MeToo-Bewegung als auch die identitätspolitischen Debatten satirisch-kritisch begleitet. Mit ihren scharfzüngigen gesellschaftskritischen Analysen kam die Autorin meist zu früh. So teilte sie in gewisser Weise das Schicksal Kassandras, deren Vorhersagen niemand Glauben schenken sollte. Eine Stimme wie die Elsners fehlt heute – dieser „Stachel“, diese „schwarze Köchin“ im Leib des Literaturbetriebs, die sich gegen den Mainstream stellt.
Literaturhinweise:
- Elsner, Gisela: Das Jahr der Frau. In: Gisela Elsner: Im literarischen Ghetto. Kritische Schriften 2. Hg. von Christine Künzel. Berlin 2011, S. 257-259.
- Elsner, Gisela: Vereinfacher haben es nicht leicht. Gespräch mit Friedrich Hitzer und Klaus Konjetzky. In: Kritische Schriften 2, S. 33-40.
- Elsner, Gisela: Autorinnen im literarischen Ghetto. In: Kritische Schriften 2, S. 41-59.
- Elsner, Gisela: Der Ruf der großen Mutter. Über die hiesige Frauenbewegung. In: Kritische Schriften 2, S. 305-318.
- Elsner, Gisela: Die teuflische Komödie. Eine Menschheitstragödie. Hg. von Christine Künzel. Berlin 2016.
- Jelinek, Elfriede: Ist die schwarze Köchin da? Ja, ja, ja! In: Christine Künzel (Hg.): Die letzte Kommunistin. Texte zu Gisela Elsner (= Konkret Texte, Bd. 49). Hamburg 2009, S. 23-28.
- Die schwarze Botin. Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire 1976–1980. Hg. von Vojin Saša Vukadinović. Göttingen 2020.
Ein weiterer Beitrag zu Gisela Elsner von Christine Künzel bei uns:
- Gisela Elsner (1937–1992) – Radikalsatirikerin, Radikalfeministin, Radikalkommunistin #femaleheritage(14.01.2021), ein Beitrag zur Blogparade Frauen und Erinnerungskultur.
* Die Artikel-Serie zu #PopPunkPolitik verlängert die Ausstellung in den digitalen Raum hinein. Sie vertieft Themen der 1980er Jahre aus literarischer und heutiger Perspektive.
Der Beitrag ist Teil von #PopPunkPolitik Vol. 2 – unserem digitalen Programm, das wir auf der Microsite zur Ausstellung in der Übersicht spiegeln. Schaut rein!