Seit fünf Jahren öffnet #FemaleHeritage die Monacensia für neue Perspektiven und vernetzt Münchens literarisches Gedächtnis mit der Stadtgesellschaft. Das interdisziplinäre Projekt stärkt weibliches, queeres, exilantisches und migrantisches Kulturerbe, fördert digitale Zugänge und schafft Räume für offene Wissenskultur.
Wie #FemaleHeritage das literarische Gedächtnis Münchens erweitert und welche neuen Wege die Monacensia dabei eingeschlagen hat, schildert Anke Buettner, Leiterin der Monacensia, in ihrem Beitrag Happy Birthday – 5 Jahre #FemaleHeritage, der sich in folgende Kapitel einteilt.
- Das literarische Gedächtnis Münchens – Eine Bestandsaufnahme
- Kuratorische Feldforschung – Eine neue Methode
- «Sammeln, Bewahren und Vermitteln» – Wo stehen wir?
- Sammlungs- und Vermittlungspraxis – Wie wir heute arbeiten
- Atelier Monaco und Künstler*innen-Villa
- #FemaleHeritage und die digitale Transformation
- Kultur zum Nulltarif – Die Monacensia als Ort des offenen Austauschs
Happy Birthday – 5 Jahre #FemaleHeritage
Anke Buettner, Leiterin der Monacensia im Hildebrandhaus
#FemaleHeritage hat sich für uns zu einer Art Roadmovie durch die Geschichte und die Gesellschaft entwickelt.
Seit 2020 nutzt die Monacensia das interdisziplinäre Forschungsprojekt und den Community-Hashtag #FemaleHeritage, um die Öffnung der Institution in die Stadtgesellschaft aktiv zu gestalten.
Städte sind lebendige, offene Räume. Die Monacensia bildet mit ihrem Literaturarchiv einen Teil des kollektiven Gedächtnisses der Stadt und versteht sich als ein Zentrum der Erinnerungskultur und -praxis. Doch Erinnerung ist nicht neutral: Sie ist geprägt von Menschen, Ereignissen und gesellschaftlichen Strukturen. Mit #FemaleHeritage stellt sich die Monacensia der Aufgabe, die eigene Sammlungspraxis kritisch zu hinterfragen und die Ergebnisse transparent darzustellen.
#FemaleHeritage erweitert den Blick auf die Gesellschaft und trägt dazu bei, München als Raum vieler verschiedener Erinnerungen und Schreibkulturen zu begreifen. Die zeitliche und örtliche Unabhängigkeit der Schreibenden schlägt Brücken in andere Städte und Länder, von der Gegenwart in die Vergangenheit – und in die Zukunft.
Das literarische Gedächtnis Münchens – Eine Bestandsaufnahme

Wenn Frauen schreiben, werden sie einer anderen Bewertung unterzogen als ihre männlichen Kollegen. Oft werden ihnen die Themenwahl, das Handwerk oder gleich jedes Talent aberkannt.
Jovana Reisinger, Das Patriarchat muss brennen, 2022
Vor rund fünf Jahren unterzog die Monacensia «ihr literarisches Gedächtnis» einer Bestandsaufnahme. Ziel war
- München als Stadt über die Literatur besser zu verstehen, um dann
- Wege zu finden, zeitgemäße Formen der Literatur- und Kulturvermittlung aus dem Archivbestand für ein heutiges Publikum zu entwickeln, und
- vielschichtigere Geschichten zu erzählen.
Das Ergebnis dieser Analyse zeigte, dass im Monacensia-Archiv zahlreiche Lebensrealitäten fehlen, die eine vielfältige Großstadt wie München prägen. Besonders die Perspektiven von Frauen in verschiedenen literarischen Berufen sind unterrepräsentiert. Diese Lücken im kollektiven Gedächtnis spiegeln sich auch in der öffentlichen Wahrnehmung wider. Weibliche Erfahrungen wurden lange Zeit weitgehend aus dem literarischen Gedächtnis der Stadt ausgeklammert oder nur durch die Brille männlicher Sichtweisen dargestellt. Ähnliche Ausblendungen und Abwertungen erlebten auch Menschen mit queeren, migrantischen oder exilierten Lebensrealitäten.
Kuratorische Feldforschung – Eine neue Methode

Ich weiß bis heute nicht, ob es eine Geschichte des Friedens oder der Gewalt ist. […] Erzählt ein anderer heute die gleiche Geschichte?
Lisa Jay Jeschke, Interview zur Audio-Performance Erika und Therese GAY AGAIN, 2020
Die Auseinandersetzung mit dem Entstehen dieser Lücken im Gedächtnis und Bestand wurde zum Leitmotiv für die Monacensia-Archivar*innen, Kuratorinnen, Vermittlerinnen und Bibliothekarinnen. Um die Lücken schnell und aus verschiedenen Blickwinkeln zu füllen, wurde die Erschließung von Archivbeständen mit der Suche nach noch fehlenden Informationen kombiniert. Dabei wurden verschiedene Netzwerke und Zielgruppen eingeladen, sich aktiv zu beteiligen.
Die Entscheidung für Schwerpunkte in der Erforschung und Vermittlung erfolgt auf diese Weise öffentlich. Am nachhaltigsten gelingt die Verbindung im Umfeld von Ausstellungen, die im MON_Mag weitererzählt und auch nach Abbau fortgeführt werden können. Mit der Ausstellung Pop, Punk, Politik – Die 1980er Jahre in München wurde das Vorgehen zur Methode Kuratorische Feldforschung erhoben und in einem Monacensia-Manifest offiziell so benannt. In der Ende 2024 eröffneten Dauerausstellung Maria Theresia 23. Biografie einer Münchner Villa ist die kuratorische Feldforschung wesentlich fortgeschritten: Sie ist auf die digitale Weitererzählung unter #MON_Villa und auf mindestens sechs Jahre kollektive Sammelarbeit ausgelegt.
Innerhalb von gezielte Kooperationen werden die vorgefundenen Lücken thematisiert und die Strukturen des Sammelns und Vermittelns langsam verändert, die den Blick auf die Vielfalt Münchens verengen. Ergebnisse dieser kollektiven Erforschung werden seither in Blogartikeln, Vorträgen und im Rahmen von Veranstaltungen dokumentiert und in immer neue Kreise getragen.
Einen Meilenstein auf diesem Weg setzt die baldige Veröffentlichung eines neuen Sammlungsprofils für das Archiv. Die Monacensia-Bibliothek folgt diesem Beispiel und wird in die Überarbeitung ihres Sammlungsprofils ebenfalls Autor*innen und Netzwerke einbeziehen.
Eine grundlegende Voraussetzung für die Öffnung der Institution – sprich für Teilhabe und Teilgabe – ist die digitale Kuration und Netzwerkarbeit in die Communitys. Beide Aufgaben konnten trotz ihrer hohen Bedeutung bislang noch nicht in Form von festen Stellen in der Institution verankert werden.
«Sammeln, Bewahren und Vermitteln» – Wo stehen wir?

«Sammeln, Bewahren und Vermitteln» ist in der Archiv- und Museumswelt ein Mantra, das fast automatisch mit Objektivität verbunden wird. Gedächtnisinstitutionen und kollektives Erinnern sind jedoch nie neutral und immer vom sogenannten Zeitgeist geprägt. Hinsichtlich der Bestandslücken lässt sich sagen, dass große Teile der Münchner Bevölkerung durch die Monacensia-Sammlungs- und Vermittlungspraxis unsichtbar geblieben sind. Das spricht nicht für Objektivität.
Angesichts der vielen losen Fäden und offenen Enden im Archiv fiel die Entscheidung, den Fokus zunächst auf weibliches Kulturerbe zu legen, den Community-Hashtag #FemaleHeritage einzuführen und die Spurensuche mit einer bis dahin noch unbestimmten Gruppe von Verbündeten im deutschsprachigen Raum zu beginnen.
Die Blogparade Frauen und Erinnerungskultur stand als interaktive Einladung am Anfang. Der Aufruf wurde vielfach – auch in der Presse – geteilt. Die Resonanz war groß. Die Beitragenden wurden durch den Prozess des Schreibens fürs Netz individuell begleitet. So entstanden gute und sich stetig weiterentwickelnde Beziehungen sowie substanzielle Beiträge, die im neuen Online-Magazin MON_Mag dauerhaft verfügbar sind.
Sammlungs- und Vermittlungspraxis – Wie wir heute arbeiten

Die Diskussion der historischen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Konsequenzen unseres Sammlungsauftrags löste innerhalb der Monacensia wesentliche Veränderungen aus. Plötzlich diskutierte das Team über:
- offene Kultur- und Wissensräume
- Digitalität in Abgrenzung zu Digitalisierung
- Bildungs- und Wissensgerechtigkeit
- gerechte Bezahlung
- die Gründungsgeschichte der Monacensia
- die Sammlungs- und Vermittlungspraxis der Monacensia seit den 1920er-Jahren
- Teilhabe und Teilgabe
- Deutungshoheiten
- Zielgruppen
- Arbeitsstrukturen
- Verwaltung
- adäquate Wissenskommunikation
Dies war beflügelnd und beunruhigend zugleich: Ein Berg aus Aufgaben, Verpflichtungen und akutem Veränderungsbedarf tat sich auf.
«Sammeln, Bewahren und Vermitteln» wurde in einer späteren Phase des #FemaleHeritage-Projekts scherzhaft zu «Loving, Caring und Sharing» umbenannt. Die persönlichen Herausforderungen und Reibungsverluste, die diese Umbruchszeit für alle mit sich brachte und bringt, erfordern ein immenses Maß an Resilienz und Vertrauen von allen Beteiligten. Dennoch erfährt das Monacensia-Team eine hohe Sinnstiftung in der täglichen Arbeit, feiert sichtbare #FemaleHeritage-Erfolge und erhält sehr viel Anerkennung von Dritten.

Dank zahlreicher Gespräche und Projekte mit Archiven, Bibliotheken und offenen Netzwerken hat die Monacensia eine neue Form der Zusammenarbeit in ihrer Sammlungs- und Vermittlungsarbeit entwickelt. Diese Haltung zeigt sich in Projekten mit Autor*innen und Kulturinstitutionen, vor allem aber in der Art und Weise, wie Herausforderungen gemeinsam gemeistert werden. «Sharing & Caring» fördert den Wissensaustausch, spart Ressourcen und stärkt den Zusammenhalt.
Die hohe Anerkennung für #FemaleHeritage und das Öffnen der Monacensia erleichtern es, diffizile Phasen und Rückschläge auszuhalten und weiterhin gemeinsam an einem literarischen Gedächtnis der Vielen zu arbeiten.
Die Villa in Bogenhausen ist dank des #FemaleHeritage-Aufbruchs zu einem sozialen Ort und Treffpunkt geworden.
Atelier Monaco und Künstler*innen-Villa

Mit #FemaleHeritage hat sich die Monacensia – stark beschleunigt durch Corona – zunehmend von einer Programmarbeit entfernt, die seit den 1990er-Jahren stark von der damals vorherrschenden Eventkultur geprägt war. Die Erwartungen des Publikums an das Programm spiegelten die gängige Sammlungspraxis wider, die sich am klassischen Literaturkanon orientierte. Entsprechend homogen setzte sich auch das Publikum in weiten Teilen zusammen. Das Veranstaltungsprogramm entsprach jedoch nicht mehr den Interessen eines jüngeren Publikums und der sich wandelnden Literaturszene.
Für die Monacensia ist statt einzelner Veranstaltungen oder lange festgelegter Programmformate nun Offenheit zum neuen Prinzip der Kuratierung geworden. Programm, Ausstellungen sowie analoge und digitale Vermittlung werden als Impulse verstanden, als Einladung, Gegebenes im literarischen Gedächtnis zu hinterfragen und zu ergänzen. Es gibt so keine Räume mehr, die aus der Perspektive der Institution als «geschlossen» gelten.
Grundlegend verändert hat sich die Einbindung von Münchner Autor*innen als künstlerisch Forschende, Akteur*innen und Aktivist*innen des literarischen Gedächtnisses. Den Anfang bildete hier das Programm- und Kuratierungsformat Atelier Monaco, das nun den Community-Hashtag #AtelierMonaco-Szene trägt.
Münchner Autor*innen und Künstler*innen gestalten die Monacensia, die in der ehemaligen Künstlervilla des Bildhauers Adolf von Hildebrand beheimatet ist, zur ganz gegenwärtigen Künstler*innen-Villa. Entsprechend wurde ihnen in der neuen Dauerausstellung ein eigener Raum gewidmet. Mit der #SchreibResi entstand außerdem ein Schreib-Residency-Format mit eigenem Kuratierungsauftrag, den bislang Dana von Suffrin, das turtle magazin(e) und Annegret Liepold ausfüllten.
Autor*innen und Künstler*innen jenseits von Auftragsarbeiten in die Kuratierung des Monacensia-Programms einzubinden, garantiert die Öffnung des Programms um weitere Perspektiven künstlerischen Arbeitens und Lebens in München.
#FemaleHeritage und die digitale Transformation

Fünf Jahre #FemaleHeritage markieren einen Fortschritt in der Verfügbarkeit von Forschungsdaten für die Wissenschaft, etwa über Kalliope oder das Archivportal-D. Die digitale Barrierefreiheit der Monacensia-Inhalte im Gesamten bleibt weiter ausbaufähig. Vor allem die Verbindung von analogen und digitalen Aktivitäten kann bislang noch nicht zentral auf einer Online-Plattform präsentiert werden.
Über das Portal monacensia-digital.de wird kostenloser Zugang zu Archivalien des Literaturarchivs und damit zu spannenden Originalquellen der Literatur- und Kulturgeschichte geboten. Mittels QR-Codes wurden diese Quellen erstmalig im Rahmen von Erika Mann. Kabarettistin – Kriegsreporterin – Politische Sprecherin in die Ausstellung vor Ort eingebunden.

Die Monacensia arbeitet bei #FemaleHeritage mit diversen wissenschaftlichen Institutionen und Partner*innen regelmäßig zusammen. Die Auswahl erfolgt basierend auf der Beschäftigung mit spezifischen Autorinnen, weiblichem Kulturerbe oder der allgemeinen Perspektive auf Erinnerungs- und Gedächtniskultur.
Die digitale Transformation öffentlicher Kulturinstitutionen und die aktive Beteiligung von Publikum und Mitarbeitenden sind zentrale Schwerpunkte von #FemaleHeritage. Besonders produktiv war die Zusammenarbeit mit Wikipedia-Aktivist*innen, die #FemaleHeritage-Themen auf Wikipedia pflegen und Wiki-Workshops anbieten.
Hervorzuheben ist auch die kollegiale Kooperation mit der Abteilung Public History München des Kulturreferats der LH München, mit den Münchner Kammerspielen sowie mit einer Vielzahl von Münchner Kulturhäusern, mit denen wir seit 2023 regelmäßig zum #GLAMInstaWalk einladen.
Kultur zum Nulltarif – Die Monacensia als Ort des offenen Austauschs

Die Monacensia ist eine kommunale Institution und gehört zur Münchner Stadtbibliothek. Als Mehrspartenhaus vereint sie
- ein Literaturarchiv,
- eine Bibliothek,
- ein Museum,
- eine offene Künstler*innen-Villa und
- ein Café.
Die Auseinandersetzung mit #FemaleHeritage förderte eine intensivere Auseinandersetzung mit Community- und Vereinsarbeit, die häufig Themen wie Armut, Gesundheit, Bildung und Frieden in den Mittelpunkt stellt. Zudem schaffen engagierte Initiativen oftmals Räume für sozialen und kulturellen Austausch. Die Frage nach der Bedeutung von Kulturhäusern und Archiven als autonome Räume für Künstler*innen in der Gesellschaft wurde deshalb als Schreibaufruf Teil der digitalen Weitererzählung der Ausstellung Pop Punk Politik. Die 1980er Jahre in München.
Der hohe Stellenwert der nicht kommerziellen Ausrichtung der Monacensia als Haus mit kostenlosem Eintritt, freiem WLAN und schönem Garten erschien in der «Millionenstadt» München – vor allem nach Corona – erneut in einem anderen Licht. Gleichsam wurden die Kommunikations- und Aushandlungsprozesse der Initiativen ein Vorbild für den Wandel der Monacensia selbst.
Im Laufe der #FemaleHeritage-Jahre hat sich die Monacensia immer stärker mit der Stadtgesellschaft verknüpft und ist von einer traditionellen Einrichtung zu einer Literaturinstitution geworden, die allen offensteht. Die herrschaftliche Villa in Bogenhausen ist so zu einem Raum geworden, «in dem wir teilen, tauschen, rufen, besprechen, feiern, was uns bewegt» (Caitlin van der Maas, Atelier Monaco).
Eine Aufstellung der Projekte, die zu #FemaleHeritage erschienen sind, folgt. Sie erweitert unser erstes Fazit von März 2022: #FemaleHeritage 2020–2025: Das haben wir schon erreicht – ein Kulturerbeprojekt der Monacensia.