Erika Mann und die Tschechoslowakei | #ErikaMann

Katalog zu der Ausstellung Drehscheibe Prag. Deutsche Emigranten 1933-1939 des Adalbert Stifter Vereins (1989). Die Ausstellung beleuchtete auch Erika Mann und die Tschechoslowakei.

Welche Spuren hinterließ Erika Mann in der Tschechoslowakei – heute wie damals? Vielfältig sind diese. So treten Erika und Klaus Mann in einem zeitgenössischen Roman auf, während „Die Pfeffermühle“ im Exil nicht nur Deutschböhmen begeisterte. Weiterhin erhielt die Familie Mann die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Ein Beitrag von Dr. Zuzana Jürgens zur Vernetzungsaktion #ErikaMann

Auftritt von Erika und Klaus Mann in David Zábranský’s Roman

Der vor fünf Jahren erschienene Roman Martin Juhás čili Československo / Martin Juhás oder die Tschechoslowakei eines der eigentümlichsten und aufstrebendsten tschechischen Autoren der Gegenwart David Zábranský weckte zurecht ein großes Aufsehen bei den Lesern und der Kritik. Auf beinahe sechshundert Seiten rechnet Zábranský mit dem Gründungsmythos der Tschechoslowakischen Republik ab, schert sich um keine nationalen Helden, Heiligtümer und Tabus, stellt reale Fakten in unerwartete Kontexte und Zusammenhänge und erfindet neue. Das alles mit beeindruckender Phantasie, unglaublichem Humor und in einer raffinierten, schwungvollen Sprache. 

Der Hauptschauplatz des Geschehens ist das Provinzstädtchen Strakonice in Südböhmen, zu Deutsch Strakonitz, und der Titelheld ein „Nýmand“ (so die auch in Deutschland wohl verständliche Bezeichnung) und ein Tschechoslowake im wahrsten Sinne des Wortes, gezeugt in einem eher zufälligen Akt im Jahr 1922 von der Tschechin Marie und dem Slowaken Ján. 

In der Fülle der tatsächlichen Ereignisse und historischen Persönlichkeiten, die Zábranský in seinem Roman zusammenbringt, könnte beinahe der kurze Auftritt der Geschwister Erika und Klaus Mann untergehen. Denn auch sie kommen, „in der Sehnsucht nach Abenteuer“, nach Strakonice. Wie bei D. Zábranský üblich, verbinden sich Realien mit Fiktion zu einer neuen Realität: Der Abstecher in das südböhmische Städtchen sollte im Rahmen der Weltreise der Geschwister in die USA, Japan und die Sowjetunion im Jahr 1927 und 1928 stattfinden. Natürlich wird er aber in keiner Quelle erwähnt. Nicht mal im Bericht der beiden über ihre Weltreise Rundherum (1929), der in seinem Stil dem Roman ein wenig ähnelt. Der kurze Abriss der Lebensdaten stimmt allerdings überein, ebenso wie die für den Roman wichtige Feststellung der Homosexualität von Klaus Mann. 

Katalog zu der Ausstellung Drehscheibe Prag. Deutsche Emigranten 1933-1939 des Adalbert Stifter Vereins (1989). Die Ausstellung beleuchtete auch Erika Mann und die Tschechoslowakei.
Katalog zu der Ausstellung Drehscheibe Prag. Deutsche Emigranten 1933-1939 des Adalbert Stifter Vereins (1989). Die Ausstellung beleuchtete auch Erika Mann und die Tschechoslowakei.

Mit den beiden „Deutschen“, wie sie zur Vereinfachung bezeichnet werden, verbindet sich eine Reihe von Konnotationen: 

  • Die Reisefreiheit, denn die Geschwister fahren aus Paris nach Prag und Strakonice, um dann getrennt nach Berlin und München weiterzureisen. 
  • Die Selbstverständlichkeit der deutschen Sprache auch außerhalb Prags – das, was Erika und Klaus sagen, wird auf Deutsch belassen und nur beiläufig übersetzt. 
  • Die Verbundenheit der Kulturen – Erika zitiert eine Strophe aus Rilkes Gedicht Der Panther. (Ob so eine Querverbindung wirklich möglich ist, sei allerdings dem Leser überlassen.) 
  • Und nicht zuletzt die Akzeptanz des Andersseins.

Die Begegnung mit Ján Juhás, dem Vater des Titelhelden, ist eher zufällig. Erika, die zuerst die Aktivität ergreift, überlässt ihn dann doch ihrem Bruder. Die Entdeckung der eigenen Homosexualität, die Entdeckung der Liebe – das ist, was Ján nach der Abreise der Geschwister übrigbleibt.

Umschlag Martin Juhás: https://www.czechlit.cz/wp-content/uploads/2015/05/205008_big.jpg
Umschlag Martin Juhás von David Zábranský: https://www.czechlit.cz/wp-content/uploads/2015/05/205008_big.jpg

Erika Mann und die Tschechoslowakei – „Die Pfeffermühle“ im Exil

Die Spur, die Klaus und vor allem Erika Mann tatsächlich in der Tschechoslowakei hinterlassen haben, ist jedoch eine andere. Insgesamt dreimal tourte Erika Mann mit ihrem Kabarett „Die Pfeffermühle“, auf Tschechisch Mlýnek na pepř, durch die Böhmischen Länder. Im Januar und Februar 1935, im August gleichen Jahres und dann nochmal im Februar 1936. Die Spielstätten waren Prag, Brünn, Teplitz-Schönau/Teplice-Šanov, Marienbad/Mariánské lázně, Aussig/Ústí nad Labem, Mährisch-Ostrau/Moravská Ostrava und weitere Orte. Oft gab es mehrere Vorstellungen am Tag oder zusätzliche Auftritte. Meistens war es ausverkauft – und im Publikum saßen wohl nicht nur Deutschböhmen. Bereits im Sommer 1935, das Kabarett trat vor allem im Sudetenland auf, hat sich die Zensur eingeschaltet und wohl einige Teile der Vorstellung gestrichen. Über die angespannte Lage gerade außerhalb Prags bereits Mitte der 1930er Jahre berichtet Erika in den Briefen von der Tournee.

Die meistgelesene Tageszeitung Tschechiens Lidové noviny
Die meistgelesene Tageszeitung Tschechiens Lidové noviny

Vor der überhaupt ersten Vorstellung im Januar 1935 veröffentlichte Erika Mann einen Gastbeitrag in einer der meistgelesenen Tageszeitungen Tschechiens Lidové noviny (Volkszeitung Nr. 33, 19.1.1935, S. 1–2). Darin schildert sie die Entstehungsgeschichte des Kabaretts: 

„Ich erinnere mich, als wäre es heute, an den Tag seiner Geburt. Es war in München im Herbst 33 [sic!]. Wir arbeiteten für unterschiedliche Theater, waren damit aber nicht besonders zufrieden. Die Theaterstücke, die gespielt wurden, hatten, so schien es uns, nicht viel zusammen mit dem, was in der Realität geschah und worüber man nachdachte – meistens waren sie auch schlecht geschrieben […]. Die Krise, das Gespenst des Jahres, ließ sich in unseren Theatern noch mehr nieder als in den Büros und Läden. Zu der materiellen Seite gesellte sich hier auch die ideelle Seite. Wir steckten in einer Sackgasse, und wussten nicht wohin.

[Wir dachten auch darüber nach], ob wir uns nicht um ein anderes Theater bemühen sollten, um ein solches, das leichter und schwerer wäre – leichter in der Form, improvisierter, direkter, dem Tag und der Stunde näher – und schwerer im Inhalt, mehr gefüllt damit, was einem bereits unter die Haut geht, also eindringlicher, ehrlicher.“

Auch die Suche nach dem Namen erläutert Erika Mann für die tschechischen Leserinnen und Leser, und auch hier soll ihn ihr Vater erfunden haben:

Nun hatten wir nicht mal einen Namen für unser Kind! 

Was für Unsinn fällt einem ein, wenn man einen Namen sucht! Mein Vater war es, der zwischen den Vorschlag Mixed Pickles und Fallschirm das Wort Pfeffermühle in die Diskussion einwarf. Lachen und Radau haben es verschluckt, und weiter wurden Rutsche oder Tohuvabohu vorgeschlagen. In der Nacht erinnerte ich mich wieder an die „Mühle“, und dass es eigentlich etwas Schönes ist, so etwas wie ein Häuschen, in das man reinkommen kann, irgendein romantischer Begriff aus der Kindheit, verzauberte Waldmühle, und etwas fröhliches, scharfes, aufregendes – Pfeffermühle – nein, es ist nicht schlecht.

Dass Erika Mann dazu aufgefordert wurde, das Kabarett in der tschechischen Tagespresse vorzustellen, macht deutlich, wie willkommen sie waren und wie groß das Interesse außerhalb der deutschsprachigen Kreise Tschechiens war. Möglicherweise spielte es zusätzlich eine Rolle, dass ihr Vater in Tschechien recht berühmt war: In den 1930er Jahren ist praktisch sein gesamtes Werk auf Tschechisch erschienen.

„Die Pfeffermühle“ feierte beim Publikum und bei der Kritik einen großen Erfolg. Als Beispiel soll hier die Besprechung aus der Prager Presse genannt werden. Ihr Autor Otto Pick (1887-1940) war Theaterkritiker, Dichter, Schriftsteller, Übersetzer und Journalist. Er vermittelte zwischen der deutschsprachigen und tschechischsprachigen Kultur in Böhmen und Mähren in der Zwischenkriegszeit. Der Anfang der Besprechung ist dabei nur scheinbar ein negativer. Denn die Feststellung, dass die Schauspieler und das Programm „unprofessionell“ sind, wird durchaus als ein positives Moment dargestellt, als die passende Reaktion auf die „zerrüttete“ Zeit. Pick stellt heraus, dass gerade die 

nackte, raue Wirklichkeit, unpoliert mit der Vehemenz letzter Aufrichtigkeit gestaltet, erlangt die Durchschlagskraft, die reiner Kunst heute zumeist versagt bleibt.

Besprechung der Pfeffermühle durch Otto Pick in der Prager Presse vom 20.1.1935, S. 11.
Besprechung der Pfeffermühle durch Otto Pick in der Prager Presse 15, Nr. 19 (20.1.1935), S. 11. Digital auf www.digitalniknihovna.cz/nm

Die Familie Mann und die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft

Neben den Kabarettvorstellungen hielt Erika Mann in der Tschechoslowakei einige Vorträge. Auch ihr Vater Thomas Mann wurde in den 1930ern Jahren zu Gastvorträgen eingeladen – einmal sogar in der Zeit, in der auch „Die Pfeffermühle“ in Prag auftrat. Ihn, seine Frau Katia und die Kinder Klaus, Elisabeth, Michael und Gottfried sowie den Bruder Heinrich verband mit der Tschechoslowakei über die üblichen literarischen Beziehungen noch etwas Besonderes: Sie alle erhielten 1936 (Heinrich bereits 1935) die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, wie so viele deutsche Emigrantinnen und Emigranten nach 1933. Es bedeutete für sie ein Aufatmen, einige Jahre Rast, bevor sie vor dem nazistischen Deutschland noch weiter flüchten mussten. Der Adalbert Stifter Verein hat dieses Thema bereits 1989 in der Ausstellung Drehscheibe Prag und später im gleichnamigen Sammelband aufgegriffen. Die beiden in diesem Zusammenhang erschienenen Publikationen gelten inzwischen als Standardwerke.

Die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft wurde der Mann-Familie von den Vertretern der Tschechoslowakei aktiv angeboten, denn die Familie lebte im schweizerischen Küsnacht. Erika Mann war durch die Heirat mit dem englischen Dichter W. H. Auden seit Juni 1935 britische Staatsbürgerin. Sie schätze die tschechoslowakische Geste. Auch wenn sie selbst nicht betroffen war, kann man vermuten, dass sie die Meinung ihres Vaters bezüglich der Tschechoslowakei teilte. In der sich weiter politisch zuspitzender Lage sprach sie darüber in einem Interview für die Zeitung Prager Mittag (4.6.1938): 

Mein Vater ist tschechoslowakischer Staatsbürger. Das Wohl und Wehe der Tschechoslowakei liegt ihm also nicht nur von allgemeinmenschlichen, demokratischen, europäischen Gesichtspunkten her, sondern besonders und persönlich am Herzen. Er bewundert und liebt die tapfere und entschlossene kleine Republik.

Heute würde ich mir wünschen, dass sich die kleine Republik im Herzen Europas auf die sinnstiftenden und positiven Augenblicke ihrer Geschichte besinnt. Darauf, dass Leben in einem multinationalen Staat vielleicht manchmal nicht einfach, aber sicher bereichernd und vielfältig ist. Darauf, dass man vom Anderen, Fremden keine Angst haben muss. Dass Tapferkeit und Entschlossenheit Tugenden sind, die man sich sehr wohl auf den Schild schreiben kann.

Literatur:

  • Romana Bečvová: Beteiligt Euch – es geht um Eure Erde. Die Tourneen des politisch-satirischen Kabaretts „Die Pfeffermühle“ in der Tschechoslowakei und Analyse ausgewählter Texte. Diplomarbeit, Brünn 2007. https://is.muni.cz/th/kiyj6/.
  • Peter Becher und Peter Heumos (Hrsg.): Drehscheibe Prag. Zur deutschen Emigration in der Tschechoslowakei 1933–1939. München: Oldenbourg 1992.
  • David Zábranský: Martin Juhás čili Československo. Bratislava: Premedia 2015.

Alle Übersetzungen aus dem Tschechischen stammen von der Autorin.

Adalbert Stifter Verein e.V.
Hochstraße 8
81669 München

www.stifterverein.de
www.facebook.com/AdalbertStifterVerein
#ZuzanaJuergens


Vernetzungsaktion #ErikaMann (16. – 27. März 2020)

Ihr könnt bei der Vernetzungsaktion mitlesen und Euch mit den Teilnehmenden vernetzen und austauschen, gerne auch mitdiskutieren. Die Aktion dokumentieren wir mehrfach:

Gastbeiträge im Blog zum Thema:

Autor*innen-Info

Profilbild Zuzana Jürgens

Dies ist ein Gastbeitrag von Zuzana Jürgens

Dr. Zuzana Jürgens ist Geschäftsführerin des Adalbert Stifter Vereins. Sie studierte Bohemistik an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag, seit 2001 lebt sie in Deutschland. Sie war Direktorin des Tschechischen Zentrums München (2009–2014) und Düsseldorf (2010-2013) und 2016–2019 Projektleiterin des Europe Direct Informationzentrums München. In den Jahren 2001-2018 lehrte sie tschechische Literatur an der Universität Konstanz, der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Sie ist außerdem als Literaturkritikerin, Moderatorin, Übersetzerin und Kulturmanagerin tätig. Foto: © Denisa Alva.

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