Feministisch, widerständig, solidarisch: Lillemors Frauenbuchladen – ein Archiv für die Monacensia. Ursula Neubauer und Andrea Gollbach blicken zurück auf 40 Jahre feministische Arbeit. Lillemors war mehr als eine Buchhandlung – es war Anlaufstelle für Frauen in allen Lebenslagen und musste sich gegen viele Anfeindungen behaupten.
Lillemors Frauenbuchladen – ein Gespräch mit Andrea Gollbach und Ursula Neubauer
Der Frauenbuchladen war ursprünglich ein Projekt der autonomen Frauen- und Lesbenbewegung und wurde von sechs Frauen gegründet. Ursula Neubauer stieß im Sommer 1979 dazu, Andrea Gollbach um 1981. Sie zählen sich zur Nachfolgegeneration und führten die Arbeit bis zur Schließung im Juli 2023 fort. Im Pressegespräch zur Übernahme des „Lillemors“-Archivs gehen sie auf Höhen und Widerstände der Frauenbuchhandlung ein – hier ein Mitschnitt des Gesprächs.
Ursula Neubauer: „Es war uns wichtig, diese Tradition der Autonomie fortzusetzen. Wir haben uns nie von anderen abhängig gemacht und unsere Entscheidungen eigenständig getroffen, dafür sind wir gelobt und auch bestraft worden.“
Anke Buettner, Leitung Monacensia: „Ergänzend dazu möchte ich betonen, wie wichtig es für uns ist, die Geschichte der Frauen, der Literatur und der Buchhandlung in München zu bewahren und zu vermitteln. Wir möchten, dass diese Traditionen nicht vergessen werden, sondern weiter erforscht und gelebt werden.“
Ein umstrittener Förderpreis – feministische Arbeit
Ursula Neubauer: „Unser erster Preis, den wir 1988 von der Stadt München erhielten, war der Förderpreis für Frauenforschung und Frauenkultur, heute bekannt als Anita-Augspurg-Preis. Es war unser erster Preis, aber er war politisch umstritten. Die CSU machte einen großen Aufstand, weil sie nicht glaubte, dass ein Buchladen, in dem Männer keinen Zutritt hatten, einen Preis bekommen sollte. Dies führte zu einer mehrmonatigen Auseinandersetzung und zusätzlichen Kosten für die Stadt München.
Der Preis war mit 10.000 DM dotiert, und das Gutachten, das eingeholt wurde, kostete weitere 10.000 DM. Nach fünf Monaten erhielten wir schließlich den Preis, auf den wir sehr stolz sind, denn es ist die einzige Auszeichnung, die wir je von der Stadt München erhalten haben.“
Eine preisunabhängige Geschichte begleitet ein ganzes Buchhändlerinnenleben
Andrea Gollbach: „Wir haben als einer der ersten Frauenbuchläden eine Veranstaltung mit Barbara Kavemann „Väter als Täter“ in der Filmhochschule gemacht, weil unser Buchladen viel zu klein war. Trotzdem sind wir überrannt worden. Die Veranstaltung war naturgemäß, wie alle unsere Veranstaltungen, nur für Frauen gedacht. Nach der Lesung kamen Reaktionen aus dem Publikum von Frauen, die sich gemeldet haben, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Das hat uns wachgerüttelt. Damals war das kein Thema. Heute kann man offen darüber reden. Es gibt Beratungsstellen aus der autonomen Frauenbewegung oder aus den Institutionen heraus. Früher gab es das in dieser Form nicht. Für mich war die Veranstaltung eine Initialzündung, um in das Thema einzusteigen. Leider hat sich in dieser Hinsicht immer noch nicht viel getan und es ist nach wie vor notwendig, den Frauen Unterstützung und Raum für ihre Geschichten zu geben.“
Soziale Netzwerkarbeit über Veranstaltungen und Austausch – Einfluss auf die Frauenbuchhandlung
Ursula Neubauer: „Wir haben immer mit dem BLATT, mit den „Wilden“ zusammengearbeitet, mit Trampelpfad, mit der Basis. Wir waren die nicht bürgerliche Buchhandlung und darauf haben wir Wert gelegt, dass wir immer ein bisschen sticheln und nicht in der Spur sind. Das waren immer schöne Veranstaltungen. Wir haben uns gegenseitig unterstützt. Der Austausch untereinander war frei von Konkurrenzdenken und hat uns großen Spaß gemacht.
Unsere Veranstaltungen und Lesungen richteten sich ausschließlich an Frauen. Das war nicht von Anfang an so, sondern es hat sich herausgestellt, dass es fast unmöglich ist, wenn Männer im Raum sind, dass Frauen anfangen zu reden, weil es immer Besserwisser gibt. Das hat uns gereicht. Deshalb wollten wir einen Ort für Frauen schaffen, wo sie ohne Scheu reden können, ohne gleich bewertet zu werden. Und dafür waren unsere Veranstaltungen und Lesungen immer ein ganz toller Ort. Die waren stets sehr gut besucht und oft wahnsinnig humorvoll. Vor allem, wenn Luisa Francia gelesen hat, die hatte einen wunderbaren Humor. Sie hat immer so ein lebendiges Flair in die Veranstaltungen gebracht und es wurde wahnsinnig viel gelacht.
Es gab auch seltsame Rituale auf der Straße, die die Leute völlig irritiert haben. Wir Frauen haben zum Teil obskure Sachen gemacht, die absolut lustig waren.“
Lillemors Ausstellungen – Frauen in der Kunstwelt
Ursula Neubauer: „In unserer Buchhandlung war es wichtig, Frauen, die in der Kunst tätig sind, eine Plattform zu bieten. Unser Anspruch war aber, dass wirklich Professionalität dahintersteckt, und da ich aus einem Künstler-Haushalt komme, habe ich mir zugetraut, das doch ein bisschen beurteilen zu dürfen. Wir organisierten Ausstellungen verschiedenster künstlerischer Disziplinen, von Fotografie über Kleinplastik bis hin zu Malerei.
Wir haben alle möglichen kulturellen Sachen in unserem kleinen Laden gemacht, wie Masken basteln oder sich verkleiden. Da kommen plötzlich Dinge zum Vorschein, die man sich unverkleidet gar nicht trauen würde und die Maske gewährt auch Schutz. Das waren zum Teil Experimente, die sehr lebendig waren. Für uns war es sehr wichtig, dass die Frauen einfach mal raus aus ihrem Käfig oder aus ihrer Zuschreibung rauskommen und einfach mal etwas auf den Tisch legen, ohne gleich sanktioniert zu werden. Das hat Riesenspaß gemacht, weil da wirklich die tollsten Sachen zum Vorschein kamen.
Wir haben zusammen in der ehemaligen Lothringer Fabrik Kunstveranstaltungen gemacht, damals noch mit Monika Neuser, die ja eine Gründerin des Frauenbuchladens war. Leider ist sie verstorben. Künstlerisch war sie sehr aktiv als Filmemacherin und als bildende Künstlerin. Sie hat unheimlich viel bewegt.
Wir haben auch mit anderen Frauenbuchläden in Deutschland zusammengearbeitet. Die Solidarität untereinander, das Miteinander und die Auseinandersetzung waren uns unheimlich wichtig.“
Drohungen und Angriffe – „Wir waren gerne Störenfriede“
Ursula Neubauer: „Und was zum Teil sehr schlimm war, das muss ich kurz erwähnen, waren Drohbriefe, dass wir vergast werden sollten und schlimmste Drohungen, die ich jetzt so nicht wiederholen möchte. Das haben wir natürlich zur Anzeige gebracht. Unser Schaufenster wurde auch eingeworfen. Das war für uns eine Art Alltag. Wir haben nirgendwo reingepasst. Wir waren einfach Störenfriede. Und das waren wir gerne.“
Beratungsarbeit am festen Ort – Frauen ermutigen
Andrea Gollbach: „Ich denke, was Lillemors ausgezeichnet hat, war der feste Ort und die festen Zeiten. Soweit ich mich erinnern kann, haben wir letztes Jahr zum ersten Mal eine ganze Woche geschlossen. Ansonsten waren wir immer zu unseren Öffnungszeiten da. Wir waren ansprechbar. Wir waren verlässlich. Und das wurde in vielerlei Hinsicht genutzt. Wir haben in den ersten Jahren sehr viel Beratungsarbeit geleistet, Unterstützung angeboten, Adressen von Ärztinnen vermittelt.
Und was mir am Anfang immer sehr viel Spaß gemacht hat, ist, dass wir versucht haben, junge Frauen in der Presse und in den Medien zu fördern. Wir hatten wahnsinnig viele Anfragen bekommen: „Ich muss eine Seminararbeit schreiben, könnt ihr mir da helfen?“ Dann kamen sie und stellten ihre Fragen. Das letzte schöne Erlebnis war eine Seminararbeit. Die Studentinnen sollten einfach nur ein bisschen üben und dann kam so viel Filmmaterial zusammen, dass die jungen Frauen von der Filmhochschule die Erlaubnis und das Geld bekommen haben, einen Kurzfilm zu machen.
Und das ist etwas, wo ich mir gedacht habe, ja, genau dafür machen wir das auch. Also, auf unsere Art und Weise zu fördern und zu sagen, ihr könnt das! Geht in die Medien rein. Geht in andere Bereiche der Kultur, wie Uschi das mit den Künstlerinnen geschildert hat. Das war für uns eine wichtige Aufgabe, Frauen zu ermutigen und ihre Präsenz in verschiedenen Bereichen zu fördern.“
Die Monacensia über das Archiv von Lillemors Frauenbuchladen
Thomas Schütte, Leiter des Literaturarchivs der Monacensia, im Interview zur Übernahme des Lillemors-Archivs
Warum übernimmt das Literaturarchiv das Archiv von Lillemors Frauenbuchladen?
Das Literaturarchiv der Monacensia ist eine alte Institution. Seit fast hundert Jahren werden hier Zeugnisse des literarischen Schaffens in München gesammelt. Ein guter Zeitpunkt, um darüber nachzudenken, was und wen wir eigentlich sammeln, und ob wir die literarische(n) Szene(n) der Stadt eigentlich in ihrer Vielfalt tatsächlich abbilden.
Ein erster Anstoß zu dieser Reflexion ist das Projekt #FemaleHeritage, in dem wir nach den Lücken im weiblichen Kulturerbe der Stadt suchen und uns aufmachen, diese zu schließen. Und hier kommt Lillemors Frauenbuchladen eine besondere Bedeutung zu. Mit der Bewahrung des Archivs wird auch für künftige Generationen von Forschenden und Interessierten erfahrbar, welche Wirkung dieser literarische Ort auf die ganz konkrete Lebenswirklichkeit vieler Frauen und der Stadtgesellschaft hatte.
Wie hast du von der bevorstehenden Schließung des Frauenbuchladens erfahren? Was war dein erster Gedanke dazu?
In der Bibliothek der Monacensia werden jeden Morgen die Münchner Tageszeitungen nach Neuigkeiten aus dem literarischen Leben der Stadt ausgewertet. Als mir meine Kollegin Christine Hannig einen Artikel über die Suche nach Nachfolgerinnen für den Frauenbuchladen zeigte, war für mich klar: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um bei den Inhaberinnen anzufragen.
Was macht denn Lillemors Frauenbuchladen für die Nachwelt so interessant?
Als Spezialbuchhandlung mit einem für die damalige Zeit bahnbrechendem Sortiment ist Lillemors wichtig für die Buchhandelsgeschichte. Seine Funktion als sozialer, sicherer Ort für Frauen mit ihren spezifischen Fragen und Sorgen – zu einer Zeit, als solche Orte in München sehr rar waren – weist aber tief in die gesellschaftspolitische Sphäre. Und für die Neue Frauenbewegung war Lillemors noch viel mehr: Die Räume und die Aktiven waren Ankerpunkte für viele feministische Projekte und Initiativen, die in die Stadt München und darüber hinaus wirken und sie nachhaltig verändern können.
Es gibt also viele Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschungen: Die Literatur- und Kunstgeschichte findet Material zu den Lesereihen und Kunstausstellungen des Frauenbuchladens, die Buchhandelsgeschichte kann auf Sortimentskataloge, Verlagskorrespondenz und Unterlagen zu den Kämpfen um die Anerkennung durch Buchhandelsverbände zurückgreifen. Das Archivgut zu den feministischen Aktionen und dem sicheren Kommunikationsraum im Laden ist für die Gesellschaftsgeschichte und Gender Studies wertvoll. Viele weitere Ansätze sind denkbar.
Doch zunächst muss das Archiv von unseren Archivarinnen und Archivaren bearbeitet werden.
Lillemors Frauenbuchladen, ihre Geschichten und Erfahrungen inspirieren und erinnern uns daran, wie wichtig es ist, für Autonomie, Gleichberechtigung und die Förderung von Frauen in allen Bereichen einzustehen. Lillemors Frauenbuchladen wird ab Oktober von einem Studierendenkollektiv fortgeführt und weiterentwickelt.
Berichte zum Archiv von Lillemors Frauenbuchladen
- „Lillemors Frauenbuchladen“ kommt ins Archiv der Monacensia“ (11.08.2023)
- “Feminismus in München. Die nächste Generation“ (31.7.2023)