Ida Junginger – Münchner Kunststudentin in den 1930er Jahren | #femaleheritage

Ida Junginger: Weg im Frühjahrsschnee im Allgäu; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 51/3 | #femaleheritage

Ida Junginger – eine begabte junge Frau studiert in den 1930ern Kunst in Nürnberg und München. Mit 100 Jahren hinterlässt die Künstlerin und Kunstpädagogin einen Schatz an Bildern, Skizzen und vielen Briefen aus der Münchner Studienzeit. Was enthalten sie? Ihr Großneffe Dieter Birmann zeichnet Lebensstationen und Engagement nach und lässt die Studentin durch Zitate zu Wort kommen. 

Ida Junginger: Weg im Frühjahrsschnee im Allgäu; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 51/3 | #femaleheritage
Ida Junginger: Weg im Frühjahrsschnee im Allgäu; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 51/3 | #femaleheritage

Der Gastbeitrag von Dieter Birmann zur Blogparade „Frauen und Erinnerungskultur | #femaleheritage“ erreichte uns noch in der Laufzeit der Aktion. Technische Sackgassen brachten ihn erst jetzt wieder hervor, daher reichen wir Euch den Artikel nach. Aktuell bleibt er, auch vor dem Hintergrund unserer neuen Website zum mehrjährigen Kulturerbe-Projekt #femaleheritage mit dem neuen Monacensia – Dossier „Jüdische Schriftstellerinnen in München“ – unser Beitrag zum Festjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland | #2021JLID“. Was uns die nächsten Jahre beschäftigt, das erfahrt Ihr dort und in der Nachlese der Blogparade mit Ausblick Anke Buettners

Jetzt wünschen wir Euch viel Lesevergnügen mit Ida Junginger!

Ida Junginger

„Auf zum Kampf. Durchs Feuer koḿt man doch zum Ziel.“

Gleich vorweg, bevor erst am Schluss die Autorennennung Erstaunen auslöst: ja, ich bin in dieser Blogparade wohl einer der wenigen Männer. Ich möchte mit diesem Beitrag an eine talentierte Frau erinnern, die keine Karriere gemacht hat und die nicht berühmt wurde: an meine Großtante Ida Junginger (1911-2012), in Nürnberg-Schoppershof geboren, getauft, eingeschult, konfirmiert, gestorben und begraben. Die aber mutig war und eine der wenigen Frauen ihrer Zeit, die, ausgestattet mit viel Begabung, 1929-1933 in Nürnberg und München Kunst studierte. Aus der Zeit lasse ich sie mit Zitaten zu Wort kommen. So schrieb sie zu einem Problem im November 1931: „Auf zum Kampf. Durchs Feuer koḿt man doch zum Ziel.“ 

Und Ida Junginger hat gekämpft, um 

  • gerechte Benotung des Examens 1933, 
  • eine Stelle, 
  • ihre Gesundheit, 
  • ihr Atelier nach dem Krieg 
  • und 1953 mit Kolleginnen um gleiche Bezahlung für Kunsterzieherinnen wie für die männlichen Kollegen bei gleicher Arbeit.
Bild 1, 2: Ida (3) mit Mutter Therese; Bleistiftzeichnung Ida Junginger (15): Boot auf einem Fluss 1926; Quellen: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. nn und 51/3 | #femaleheritage
Ida (3) mit Mutter Therese; Bleistiftzeichnung Ida Junginger (15): Boot auf einem Fluss 1926; Quellen: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. nn und 51/3 | #femaleheritage

Selbstbestimmte Frauen in der Familie

Schon Idas Mutter Therese und ihre Großmutter waren selbstbestimmte Frauen. Ihre Töchter hatten eine starke Beziehung zu ihnen. Die Großmutter, Margaretha Freiin von Reitzenstein, wollte nicht standesgemäß heiraten und zog mit 21 Jahren zu einem Förster, der eigentlich Künstler werden wollte. Ihre Mutter verließ mit 18 ihre Stiefeltern und ging für drei Jahre zu ihrer Tante, einer Schwester ihres verstorbenen Vaters. Bewundernswert, dass die Tante sie zu ihren zwei Stiefkindern mit aufnahm. 

Faszinosum der Bilder

Ich war von den Aquarellen und Skizzen meiner Großtante – ihr Vater und mein Großvater waren Brüder – fasziniert, bei einer Bandbreite von fein und zart bis plakativ farbig: Ich bewundere an der Winter-Skizze die Leichtigkeit und Farbgebung. Beim Betrachten spüre ich die Kühle des Schattens und den Duft und die Wärme des aufziehenden Frühjahrs. 

Ida Junginger – Ausbildung in Nürnberg und München

Förderung der Begabung in Nürnberg

Kurse im „Offenen Arbeitssaal“, dem Vorläufer der Nürnberger Volkshochschule, förderten die begabte Schülerin. Dadurch vorbereitet studierte Ida, unterstützt von der Mutter, 1929-1931 an der Staatsschule für Angewandte Kunst in Nürnberg. Ihr Vater war wegen der Moral gegen das Kunststudium. Ihr humorvolles „Dackelquartett“ aus dem ersten Semester ziert in den letzten Jahren die Programme und Plakate der von mir 1984 gegründeten „Lochhausener Abendmusik“, die heuer wie vieles andere ausfallen musste. Sie spielte übrigens versiert Klavier und war eine gute Sopranistin, unterrichtet vom Komponisten und Musikschriftsteller Erich Rhode.

Ida Junginger „Dackelquartett“, Lithographie 1. Semester 1929; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 84/1
Ida Junginger „Dackelquartett“, Lithographie 1. Semester 1929; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 84/1

Kunststudentin in München

Ida setzte, wieder unterstützt von ihrer Mutter trotz finanzieller Belastung, 1931-1933 an der Münchner Staatsschule für angewandte Kunst ihr Studium fort. Es gehörte sich damals, dass sie, wie sie es nannte, unter eine Obhut kommt. Das übernahm fürsorglich die Schriftstellerin Anna Blum-Erhard (1867 – 1947), Frau des Malers und 1919 pensionierten Professors der Kunstgewerbeschule München, Hans Blum. 

Was hat Ida während des zweiten Teils ihres Studiums in München erlebt? In ihrem Nachlass fand ich einen regen und lebendigen Briefwechsel 1931 – 1933 mit ihrer Mutter, die den Vater in Nürnberg aufopfernd pflegte. Alles in Sütterlinschrift geschrieben! Zum Glück hatte ein musisch prägender, von mir geschätzter Volksschullehrer uns die „deutsche Schrift“ beigebracht. Ich schrieb sie damals freiwillig ein Jahr lang. Somit präpariert las ich mühsam die Briefe, die mich als Münchner besonders interessierten. Sind sie doch ein Beitrag zur Zeitgeschichte einer Kunststudentin im München der 1930er Jahre, jetzt im Stadtarchiv Nürnberg E10/202 hier zu finden. 

Studienausweis von Ida Junginger für 4 Semester 1931 – 1933; mit dem Radl unterwegs in München; Quellen: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 120 und Nr. 143/29
Studienausweis von Ida Junginger für 4 Semester 1931 – 1933; mit dem Radl unterwegs in München; Quellen: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 120 und Nr. 143/29

Ida schildert ihre 

  • Unterbringung in Untermieter-Zimmern, 
  • Studienbedingungen, Mensa als Treffpunkt, 
  • Frage wegen Einladung zu einem Atelierbesuch, 
  • Erlebnisse bei Tanzveranstaltungen, 
  • Gerüsteinsturz nach dem Brand des Glaspalastes 1931, 
  • eigene Beiträge zu Semesterausstellungen, 
  • Bewertungen der Professoren, aber auch Stimmungshöhen und –tiefen. 

Das Kassenbuch zeigt, wie sparsam sie lebte bzw. leben musste. Als Nebenverdienst fertigte sie filigrane Scherenschnitte für Zeitungen und Verlage. 

Auszüge aus Idas Briefen

Geprägt und gefördert wurde sie besonders von der a. o. Professorin für Aquarellieren, Else Brauneis. Auszüge aus Idas Briefen in Transkription von Dieter Birmann belegen das:

Denk dir, Frl. Brauneis sagte heute zu meinem Aquarell „Das ist reizend, das mag ich furchtbar gern. Es ist aquarellistisch.“ Ich soll nur in dem Stil bleiben. Es gefiel ihr furchtbar gut. 

03.11.1931

Frl. Brauneis war mit meinen Zeichnungen furchtbar zufrieden. Sie sagte, diese Köpfe und Akte seien vorzügliche Arbeiten und ebenso meine Zeichnungen. Sie war ebenfalls voll davon. Sehr gut gefielen ihr auch meine Gedächtniszeichnungen. Sie sagte ich solle mich darin nur  … weiter üben. Ich sollte doch iḿer meiner Begabung nach arbeiten. 

15.11.1931

Frau Professor Brauneis war auch recht nett zu mir. Sie sagte mir gleich, ich könnte zu jeder Zeit zu ihr kommen um Versäumtes [wegen Krankheit vor der Prüfung] von ihr erklären zu lassen. …. 

07.11.1932

Neulich habe ich bei Brauneis meine Aquarelle raussuchen lassen für die Prüfungsmappe. Sie fand alle furchtbar gut u. hat mir 26 Stück ausgesucht. ….Von den Nürnberger Sachen hat sie mir 36 rausgesucht. Sie meint, sie würde nur die allerbesten aussuchen, ich hätte wirklich gute Sachen. 

23.01.1933
Ida Junginger - vorgegebenes Thema: Schnakenjagd 1931, Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 90(GF)/4; Pfingstrosen 8. Sem. 1932, privat © Dieter Birmann | #femaleheritage
Ida Junginger – vorgegebenes Thema: Schnakenjagd 1931, Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 90(GF)/4; Pfingstrosen 8. Sem. 1932, privat © Dieter Birmann | #femaleheritage

Bezüglich Professoren hätte sie zu #metoo auch beitragen können: Sie gab einem Professor ihres Kurses eine Watschn, als er ihr – wie anderen Studentinnen – zu nahekam, wie sie mir mit Namensnennung erzählte. Mutig. 

Ich habe Dich was ganz dringendes zu fragen. ..……. Also loß!: Udo Hußla hat mich zu einem Atelierfest eingeladen. Es ist aber ganz privat und zwar bei einem Freund von ihm. Er heißt Kunstmaler Göschel. In dem seinen Atelier wird es abgehalten. Es kommen so ungefähr 12 – 14 Leute. Verpflichtung habe ich keine deswegen   …. 2. Ist München in der Beziehung lang nicht so spießig [wie Nürnberg] / 16.06.1931

Ida Junginger an die Mutter wegen einem Atelierfest-Besuch; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 161
Ida Junginger an die Mutter wegen einem Atelierfest-Besuch; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 161

Die Mutter riet postwendend vom Besuch ab 

…. Ich würde Dir das Vergnügen gerne gönnen. Jedoch ein Atelierfest bei einem Herrn ist etwas bedenklich. Herrn können überall hingehen; Aber der Ruf eines Mädchens ist gleich gefährtet. …; aber Du hast Deinen Eltern versprechen müssen bei ledigen H[erren] keine Einladung anzunehmen. (Du kañst es ja etwas umformen) kañst noch bemerken meine Eltern sind noch etwas spießbürgerlich aber mit der Zeit werden sie schon anders.

Wie entschied sich Ida? Sie folgte dem Rat, wie aus einem der folgenden Briefe hervorgeht. 

Ida Junginger, Stillleben 6. Semester 1931; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 90(GF)/1
Ida Junginger, Stillleben 6. Semester 1931; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr. 90(GF)/1

Ich höre sie mit ihrem zurückgenommenen Nürnberger Akzent schimpfen, wenn sie an die kranke Mutter zum Prüfungsergebnis an der Staatsschule für angewandte Kunst am 26.3.1933 schreibt: 

… Ich habe leider eine II gekriegt. Bis 1,5 geht die I u. ich habe 1,6. Das finde ich gemein. Und ich lasse mir´s nicht gefallen. Ich tue Schritte. ….. Ich will einfach eine Nachprüfung. Wenn´s bei Dozententöchtern geht, so köñen sie bei mir keine Ausnahme machen. …. Ich werde mir da meinen Abschluß verpatzen lassen von dieser Affenbande. ….. Ich unternehme es morgen. Auf in den Kampf. …..Und habe eine 1,6 in Ehren als 1,5 und meine Ehre u. Mädchenreine an Professoren verkauft…..

Immerhin erreichte sie, dass der Direktor Prof. Carl Sattler eine Verbesserung der Zeichenlehrer-Prüfung von 1,6 auf 1,5 wegen Krankheit befürwortete und damit die Note 1 statt 2. Die Prüfungskommission lehnte aber ab. 

Portrait von Ida Junginger ca. 1939, wahrscheinlich ein Bewerbungsfoto; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr.145/1
Portrait von Ida Junginger ca. 1939, wahrscheinlich ein Bewerbungsfoto; Quelle: Stadtarchiv Nürnberg E10/202 Nr.145/1

Beruf und Berufung

Da der Vater kurz vor Studienende gestorben war, sucht sie gleich nach dem Examen eine Stelle als Zeichenlehrerin in Nürnberg. Sie macht stundenweise Vertretungen und wird endlich in Fürth angestellt. Im Krieg arbeitet sie als Rot-Kreuz-(Ober)Helferin und versucht Zeichnungen zu verkaufen. Nach dem Krieg wird die Kunsterzieherin an der Städt. Mädchenoberschule Fürth wie andere Frauen als Studienrat Zeichnen, Kurzschrift geführt. 

Sie malt Aquarelle, Sepiazeichnungen und selten Ölbilder für den spärlichen Verkauf. Als Buben ins Helene-Lange-Gymnasium Fürth aufgenommen werden sollen, geht sie 1970 als bei den Schülerinnen beliebte Studienrätin für Kunsterziehung mit 59 frühzeitig in Pension. Sie gibt ihr profundes Wissen weiter und hält bis zum 98. Lebensjahr kunstgeschichtliche Führungen und Vorträge. Sie war eine gute Zuhörerin und gebildete Gesprächspartnerin.

Ida Junginger, Zeichnung in Sepiatechnik nach Prof. Rudolf Schiestl von Ida Junginger: Flusslandschaft 1949, privat © Dieter Birmann
Ida Junginger, Zeichnung in Sepiatechnik nach Prof. Rudolf Schiestl von Ida Junginger: Flusslandschaft 1949, privat © Dieter Birmann

Ausstellungen der Künstlerin Ida Junginger

Ida Junginger hatte keine eigene Ausstellung, dafür beteiligte sie sich 1950 bis 1955 an Ausstellungen des „Berufsverband Bildender Künstler“ in der Fränkischen Galerie Nürnberg. Als Hommage kuratierte ich posthum drei Ausstellungen in Nürnberg, Flachslanden und schließlich in München. Die Süddeutsche Zeitung widmete ihr eine ¾ Seite unter dem Titel „Briefe an Muttl“.

Interessiert?

Zu Ida Junginger habe ich eine ausführliche Biographie „Ida Junginger (1911-2012) – Kunststudentin, Künstlerin und Kunsterzieherin“ mit 130 Seiten und 340 Bildern und Fotos erstellt. Ich hoffe, sie bald drucken zu können. Ihr Nachlass mit Œuvre in vielen Techniken wie Bleistift, Kohle, Feder, Linolschnitt, Scherenschnitt, Aquarell, Öl, Radierung, Lithographie und vielen Dokumenten wird derzeit vom Stadtarchiv Nürnberg unter der Signatur E10/202 erfasst. In der Online-Ausstellung „Neu im Stadtarchiv“ wird sie unter 18. „Werke einer Nürnberger Künstlerin“ vorgestellt.

Autor: Dr.-Ing. Dieter Birmann

Dr.-Ing. Dieter Birmann (München-Lochhausen) ist pensionierter Bauingenieur der TU München, Autor wissenschaftlicher Publikationen im Verkehrswegebau, Chorleiter i.R., Großvater mehrerer Enkel, entwirft hier und restauriert Sonnenuhren und ist immer noch fasziniert von den Bildern seiner Großtante. Kontakt:http://www.sonnenuhren-manufaktur.de

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