Elsa Bernstein war eine der erfolgreichsten Bühnenautorinnen um 1900. Sie war Mitglied im Verein für Fraueninteressen und empfing als Münchner Salonnière bedeutende Gäste. Ihr Leben war „gezackt“ und von Dramen geprägt: hoch anerkannt, deportierten sie die Nationalsozialisten nach Theresienstadt, zudem erblindete sie fast vollständig. Heute ist Elsa Bernstein weitgehend vergessen. Ein Beitrag von Dr. Kristina Kargl zur Blogparade #femaleheritage.
Elsa Bernstein: tragisches Schicksal einer Dramatikerin und Salonnière
„Wissen Sie, was scharf gezackte Schicksale sind? Sehr scharf gezackte? Und was das heißen will, immer seinem Ideal treu zu bleiben?“, lässt Elsa Bernstein ihre Protagonistin Mina in Te Deum, einer „Gemütskomödie“, fragen. Das Schicksal, das der Autorin selbst zugedacht war, war auf jeden Fall ein derartig gezacktes. Bezeichnend für ihr Leben ist der Titel ihrer in den letzten Lebensjahren verfassten biografischen Erinnerungen, hauptsächlich über ihre Zeit im Konzentrationslager Theresienstadt: Das Leben als Drama.[1] Es war wahrhaft ein Leben, das man sich kaum dramatischer hätte vorstellen können, das sich von höchster Anerkennung und Respektiertheit bis hin zur tiefsten Herabwürdigung im Nationalsozialismus erstreckt hat ̶ und in dem auch ihre Krankheit stets gegenwärtig war.
Heute ist Elsa Bernstein vergessen, obwohl sie um 1900 unter ihrem männlichen Künstlernamen „Ernst Rosmer“ in Theaterkreisen schon durchaus erfolgreich und bekannt war. Hinter diesem Namen, der vom Drama Rosmersholm ihres naturalistischen Vorbilds Henrik Ibsen abgeleitet war, konnte sie sowohl ihr Frausein als auch ihr Judentum verbergen, was ihr zu dieser Zeit wohl sinnvoll erschien. Allerdings wurde das Pseudonym schon sehr bald aufgedeckt.
Geboren 1866 in Wien, wuchs sie in München als Tochter von Heinrich Porges auf, einem von König Ludwig II. nach München berufenen Kapellmeister, einem Musikschriftsteller und Chorleiter, einem Freund und Mitarbeiter Richard Wagners, einem großem Verehrer und Vertrautem von Franz Liszt, einem Musikliebhaber, in dessen Münchner Salon Komponisten wie Peter Cornelius, Richard Strauß, Siegfried Wagner, Felix Weingartner, aber auch Schriftsteller wie Rainer Maria Rilke verkehrten.
Seine Tochter mit dem Wagnerschen Namen Elsa sah ihre Zukunft jedoch nicht in der Musikwelt, sondern wollte bereits als 16-Jährige auf die Bühne. Sie absolvierte 1881/82 eine zweisemestrige Schauspielausbildung an der „Königlichen Akademie der Tonkunst“ in München und bekam 1883 ein erstes Engagement in Magdeburg.[2] Viele größere Rollen wie die Königin Elisabeth in Maria Stuart und die Adelheid in Götz von Berlichingen spielte sie dann bis 1886 am Herzoglichen Hoftheater in Braunschweig.[3]
Erblindung und Neuanfang als Dramatikerin
Wegen eines schmerzhaften Augenleidens, unter dem sie ab 1887 litt und das in den nächsten Jahrzehnten zur fast völligen Blindheit führen sollte, musste sie ihre erfolgreiche Schauspielkarriere aufgeben. 1890 heiratete sie den zwölf Jahre älteren und schon sehr renommierten Rechtsanwalt und Theaterautor Max Bernstein (1854-1925). Sie kannte ihn schon seit ihrer Kindheit, und er hatte ihr schon länger geraten, ihre „große poetische Begabung nicht der geringeren schauspielerischen zu opfern“.[4]
Elsa Bernstein kann als eine der bedeutendsten Dramatikerinnen lange vor Else Lasker-Schüler oder Marieluise Fleißer gelten. Nur wenige Bühnenautorinnen waren um 1900 so erfolgreich wie sie. Von 1891 bis 1910 schrieb Elsa Bernstein 14 Bühnenstücke, von denen viele aufgeführt wurden, außerdem Novellen und Gedichte, die meist bei S. Fischer verlegt wurden. Bereits ihr zweites naturalistisches Drama Dämmerung, das autobiographische Bezüge, wie zum Beispiel die zunehmende Erblindung der Protagonistin oder die Wagnerbegeisterung des Vaters im Stück zeigte, wurde am 30. März 1893 an der Freien Bühne in Berlin uraufgeführt; später wurde es auch im Münchner Akademisch Dramatischen Verein inszeniert.
Der bedeutende Kritiker und Publizist Maximilian Harden beschied ihr einen durchaus „sicheren Theaterinstinkt“ und lobte ihre „Keckheit“ und ihre „muntere, oft sogar kernhaft derbe Sprache“, hielt aber das Stück selbst aber für ein „neurasthenisches Idyll“[5] ̶ vermutlich weil es ein aktuelles Frauenthema zum Inhalt hatte. In diesem Drama wie auch in ihrem ersten Theaterstück Wir Drei spielen nämlich berufstätige Frauen in ihrer Lebendigkeit und Unabhängigkeit eine wichtige Rolle. Sie werden den im traditionellen Klischee verhafteten Hausfrauen, Müttern oder Töchtern des Hauses gegenübergestellt. In den jeweils entstehenden Dreieckskonstellationen sind die Männer zwar von der berufstätigen Frau fasziniert und fühlen sich zu ihr hingezogen, kehren aber letztendlich doch wieder – wie es das gesellschaftliche Umfeld verlangt – in den Schoß der Familie und zu ihrer Verpflichtung zurück.
Fast alle ihrer vielen Bühnenstücke, wie beispielsweise das Totengedicht Mutter Maria oder die Dramen Johannes Herkner, Maria Arndt oder Achill, wurden an großen Theatern in Berlin, München und anderen deutschen Städten inszeniert. Elsa Bernsteins größter Erfolg war 1897 die Aufführung ihres Melodrams Königskinder, zu dem der Freund ihres Vaters, der Komponist Engelbert Humperdinck, die musikalische Umrahmung komponierte. Später entwickelte er aus Elsa Bernsteins Text das Libretto seiner berühmten Oper Königskinder, die 1910 in der Metropolitan-Oper in New York ihre glorreiche Uraufführung erlebte.
Ab 1910 schrieb sie keine Dramen mehr, veröffentlichte aber zahlreiche Gedichte und Kurzgeschichten. Neben ihrem Salon widmete sie einen Hauptteil ihrer Zeit der Ausbildung ihrer Tochter Eva im Ausland, die sich zu einer bedeutenden Geigenvirtuosin entwickelte.
Aktiv im „Emancipationstreiben der Zeit“
Elsa Bernstein war, wie man auch an ihren Theaterstücken und Novellen erkennen kann, sehr interessiert an der Frauenfrage. Sie war seit 1897 Mitglied im Verein für Fraueninteressen, besuchte zahlreiche Vortragsabende der Frauenbewegung in München, wie ihre Freundin Hedwig Pringsheim in vielen Tagebucheinträgen festhält, und hielt selbst einen Vortrag über „Die kulturellen Aufgaben der Frau in der Gegenwart“[6] im Verein.
Der Salon
Ab 1894 ging Hedwig Pringsheim häufig zum jour[7] in Bernsteins musikalisch-literarischen Salon in München, zunächst in der Bürkleinstraße 16, ab 1899 in der Briennerstr. 8a.[8], anfangs am Dienstag, später am Sonntagnachmittag. Bedeutende Gäste konnte sie hier empfangen, darunter Thomas und Katia Mann, deren Eltern Alfred und Hedwig Pringsheim, Hugo von Hofmannsthal, Ludwig Thoma, Ludwig Ganghofer, Otto Julius Bierbaum, M.G. Conrad, Olaf Gulbransson, Felix Weingartner, Hermann Levi, Franz Stuck und August von Kaulbach und viele andere mehr.[9] Bis zum Ende der zwanziger Jahre bestand der Salon noch weiter. Einer der letzten großen Abende, diesmal an einem Samstag im Mai 1927, war die Lesung von Ernst Penzoldt aus seinem Buch Der arme Chatterton, der nach eigener Aussage vor einem „Parkett von Königen“ las.[10]
Antisemitische Hetze
Nach dem Tod von Max Bernstein 1925, der sie infolge der Inflation mit Schulden zurückgelassen hatte, konnte sie den großen Salon nur noch ein paar Jahre lang und teils nur in größeren Abständen aufrechterhalten. Immer stärker beeinflusste die Geldnot und die zunehmende antisemitische Hetze der Nationalsozialisten das Leben von Elsa Bernstein. Weiterhin scharten sich auch in den folgenden Jahren viele Freunde, Schriftsteller und Studenten um sie, diskutierten mit ihr und lasen der fast vollständig Erblindeten vor. 1937 musste sie schließlich ihre große Wohnung verlassen und in die Schellingstraße umziehen. Zwei Jahre später erzwangen die Nationalsozialisten einen Umzug in eine noch kleinere Wohnung in der Barerstraße. Von dort wurde sie 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie dank Fürsprache von Winifred Wagner in einem ‚Prominentenhaus‘ das Konzentrationslager überleben konnte. Auch hier hatte sie, wie sich die junge Mitinsassin und spätere Schriftstellerin Gerty Spieß erinnerte, immer einen Kreis von Literaturbegeisterten um sich.[11]
Nach Ende des Krieges lebte Elsa Bernstein bei ihrer Tochter in Hamburg. Auch hier waren wieder Gleichgesinnte um sie, mit denen sie lesen und diskutieren konnte. Hier schrieb sie ihre Erinnerungen und starb 1949. Ihre Urne wurde im Grab der Eltern am Münchner Ostfriedhof beigesetzt.
Lest auch gerne den ersten Gastbeitrag von Kristina Kargl im MON_Mag:
[1] Bernstein, Elsa, Das Leben als Drama. Erinnerungen an Theresienstadt, hrsg. und eingeführt von Rita Bake und Birgit Kiupel, Hamburg, 2005, S. 15.[2] Bernstein: Das Leben als Drama. S. 15.
[3] Joachimsthaler, Jürgen, Max Bernstein. Kritiker, Schriftsteller, Rechtsanwalt (1854-1925), Frankfurt, 1995, S. 336.
[4] Kurt Wiener: Die Dramen Elsa Bernsteins (Ernst Rosmers), Diss. [Wien, 1923], S. 4.
[5] Maximilian Harden unter der Rubrik Theater. In: Die Zukunft, 1893, S. 78-81.
[6] 4. Jahrbuch des Vereins für Fraueninteressen, 1898, S. 13.
[7] Hedwig Pringsheim: Tagebücher 1892-1897. Bd. II. Hg. und kommentiert von Cristina Herbst. Göttingen 2013, S. 229.
[8] Pringsheim: Tagebücher 1898-1904. , Bd. III. Hier: 27.3.1904, S.562f
[9] Vgl. auch Friedrich von der Leyen: Leben und Freiheit der Hochschule. Erinnerungen. Köln 1960, S. 121.
[10] Ernst Penzoldt: Freundliche Begegnung: Frau Elsa. In: Ders.: Causerien. Frankfurt am Main 1969, S. 219-221, hier S. 219.
[11] Gerty Spieß: Erinnerungen an Elsa Bernstein. In: Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. Hg. von Hans Lamm, München [o.J.], S. 359-361, hier S. 361.