Irene Georgii-Hildebrand war zeitlebens Bildhauerin und ist heute nur wenigen bekannt. Wie kam sie zu ihrem für Frauen ungewöhnlichen Beruf? Sie passte ihren Weg stets dem sich verändernden Lebensumfeld an. Welche Ziele verfolgte sie? Welche Einflüsse prägten sie? Ein Beitrag von Caroline Sternberg zur Dauerausstellung „Maria Theresia 23. Biografie einer Münchner Villa“.
Irene Georgii Hildebrand – Eine Künstlerin im Schatten großer Männer
Beginnen wir mit einem Foto der Bildhauerin Irene Georgii-Hildebrand in früher Jugend. Es zeigt eine selbstbewusste junge Frau um 1900. In einem schicken Kleid sitzt sie, an einen Stuhl gelehnt, mit Hut auf einer Decke auf dem Boden. Ihre in den Vereinigten Staaten lebende Schwägerin schreibt später über sie:
[…] a full-fledged artist, a gifted sculptor […] She also had a fascinating personality, warm, unconventional, in love with life and beauty. She radiated a joie de vivre […].1
„eine vollwertige Künstlerin, eine begnadete Bildhauerin […] Sie hatte auch eine faszinierende Persönlichkeit, warmherzig, unkonventionell, verliebt in das Leben und die Schönheit. Sie strahlte „joie de vivre“ [Lebensfreude] aus.2
Irene Hildebrand-Georgii war die Tochter des in München unvergessenen Bildhauers Adolf von Hildebrand. Zudem war sie die Ehefrau des Bildhauers Theodor Georgii. Während sie bei ihren Zeitgenoss*innen als junge Bildhauerin durchaus wahrgenommen wurde, geriet sie später in Vergessenheit. Dieses Schicksal teilt sie mit vielen weiteren Künstlerinnen. Gehen wir also auf die Suche nach der Bildhauerin Irene Georgii-Hildebrand.
Eine Jugend in der Künstlerfamilie
Irene Hildebrand (genannt Zuzi) wird 1880 als drittes von sechs Kindern des Bildhauers Adolf von Hildebrand geboren. Die Familie lebt zu dieser Zeit in Florenz. Der Vater hat sich hier mit seiner Frau Irene im Kloster San Francesco am Rande von Florenz ein wunderschönes Künstlerdomizil eingerichtet. Die Kinder wachsen in inspirierender Atmosphäre auf. Die Kunsthistorikerin Mary Berenson berichtet begeistert von der freiheitlichen Erziehung der Kinder:
Those girls are brought up what I call perfectly […]. They have never read but fine books (in all languages), never seen anything but the greatest works of art, never heard anything but the best music.3
Die Mädchen wuchsen aus meiner Sicht perfekt auf. […] Sie lasen nur ausgewählte Bücher (in allen Sprachen), hatten nur qualitätvolle Kunst gesehen und nur die beste Musik gehört.4
Zwei der fünf Töchter haben ein Interesse für die bildende Kunst und werden entsprechend gefördert:
- Die zwei Jahre ältere Elisabeth wird Malerin.
- Irene wird Bildhauerin.
Davon zeugt bis heute ein Wandbild in der Florentiner Villa der Familie. Elisabeth und Irene fertigen es 1892 während der Abwesenheit des Vaters in dessen Schlafzimmer: Ein Festzug vor der hügeligen Landschaft der Toskana, inspiriert von Meistern der Renaissance wie Benozzo Gozzoli im Florentiner Palazzo Medici.
Ab 1891 entsteht ein zweiter Lebensmittelpunkt der Familie in München. Adolf von Hildebrand gelingt es 1891, einen Großauftrag für den Wittelsbacher Brunnen in München zu gewinnen. Dies öffnet ihm alle Türen zum Münchner Kunstleben. Aufträge, die Aufnahme in den Adelsstand sowie eine Professur an der Münchner Kunstakademie folgen. Die Familie zieht 1898 in das eigens für sie erbaute Hildebrandhaus, die heutige Monacensia. Für die zu diesem Zeitpunkt achtzehnjährige Irene und ihre Schwester Elisabeth werden im ersten Stockwerk des Hildebrandhauses Ateliers eingerichtet.
Leben in München als junge Bildhauerin unter männlichen Kollegen
Irene Hildebrand arbeitet in diesen frühen Jahren an Reliefs und stehenden Figuren. Ein Bronzeabguss einer weiblichen Aktfigur befindet sich heute, geführt als „Flora“, im Kunstmuseum Krefeld:
Ganz unbekleidet steht sie auf dem linken Bein und blickt nach rechts unten. Mit der rechten Hand streicht sie sich die langen herabfallenden Haare aus dem Gesicht. Der bronzen glänzende Körper ist ebenmäßig. Die Formen der Figur folgen imaginären Linien. Eine dieser Verbindungen läuft von der rechten Hand über die linke Brust zur linken Hand. Verbunden sind auch die Brüste mit dem rechten Ellenbogen in einer leicht schrägen Verbindungslinie. Genau so zieht sich eine Linie vom rechten Fuß zur linken Schulter.
In ihrer Auffassung von Skulptur steht Irene Georgii-Hildebrand ihrem Vater sehr nah. Sein Credo ist, dass die Plastik sichtbaren Gesetzmäßigkeiten folgen muss. Für ihn ist wichtig, die Form zu betonen und auf störende Details zu verzichten. Entsprechend schreibt Irene Georgii-Hildebrand noch 1952/53 ihrem Neffen Bernhard Sattler: Das Kunstwerk müsse „die Naturform in ihrer Verklärung“ zeigen, „also nicht in ihrem Alltagsgewand, sondern im Hochzeitlichen Gewand. Das ist die eigentliche Aufgabe jeder Kunst.“5
Ab 1902 beginnt Irene Hildebrand ihre Werke auch öffentlich zu präsentieren. Sie nimmt an Kunstausstellungen im deutschen Raum teil. Bedeutsam ist für die Bildhauerin auch der Auftrag für die Madonnenstatue des Wittelsbacherbrunnens in Eichstätt 1905.
Hier ist Irene Hildebrand meist als einzige Künstlerin vertreten – gemeinsam mit ihrem Vater oder später mit ihrem Ehemann, dem Bildhauer Theodor Georgii. So heißt es 1907 zu einer Ausstellungsbeteiligung in Mannheim: Neben Vater Hildebrand stellt auch seine „hochbegabte Tochter“ eine weibliche Bronzefigur aus.6 Andernorts nennt man ihre Werke in einem Atemzug mit denen ihres späteren Ehemannes Theodor Georgii:
Am meisten direkte Natur steckt in den Tieren von Theodor Georgii, am meisten künstlerisch-poetische Empfindung in den Plastiken von Irene Georgii-Hildebrand.7
Zur Madonnenstatue von Eichstätt steht in der Presse:
Sie ist von Irene Hildebrand, der Tochter des berühmten Meisters, ausgeführt.8
Eine Ausnahme zeigt die Ausstellung von Münchner Künstlerinnen anlässlich des 3. Frauentages im Münchner Künstlerhaus 1903. Hier heißt es:
Irene Hildebrand war mit einem Bildnisrelief gut vertreten.9
Dazu tauchen erstmals Bildhauerinnen an ihrer Seite auf, Emilie von Egidy und Sophie Fessy Hormann.
Heirat und Familiengründung
1907 heiratet Irene Hildebrand mit dem Bildhauer Theodor Georgii einen Schüler ihres Vaters. Das Paar bekommt zwischen 1908 und 1922 fünf Kinder. Die Familie wohnt von 1910 bis 1934 im ersten Stock des Hildebrandhauses. Theodor Georgii erhält das ursprünglich für Irene eingerichtete Bildhaueratelier. Zudem lebt im Haus auch Irenes Bruder Dietrich Hildebrand mit seiner Familie.
Nach dem Tod des Vaters 1921 erben Irene und Dietrich die Villa. Anfang der 1930er-Jahre verschlechtert sich die Lage der Familie. Die Bildhaueraufträge für Theodor Georgii gehen stark zurück. 1934 muss das Hildebrandhaus aus finanziellen Gründen verkauft werden. Dietrich von Hildebrand flieht aus politischen Gründen. Der Bauernhof, den die Familie Georgii seit 1919 in Höhenrain bei Bad Aibling besitzt, wird nun zum Hauptwohnsitz. Die Situation der Familie bleibt angespannt. So schreibt Irene 1935 an die Malerin und Freundin Helene Raff zu deren 70. Geburtstag:
Es schmerzt uns sehr, daß wir durch unsere pecuniär sehr gedrückte Lage Dich keineswegs gebührend feiern können.10
Konversion zum katholischen Glauben und religiöse Plastik
Ab der Familiengründung stellt Irene Georgii-Hildebrand nur noch selten aus. Künstlerisch arbeitet sie stetig weiter. Bedeutsam ist die Hinwendung der Familie zum Katholizismus. In den 1910er-Jahren konvertieren alle Kinder von Adolf von Hildebrand vom Protestantismus zum Katholizismus. Sie suchen nach einer Neuorientierung im Sinne einer Versöhnung zwischen Sozialismus und Christentum hin zum Pazifismus. Irene Georgii-Hildebrand konvertiert 1916, ihr Ehemann 1922.
Irene und auch ihr Mann wenden sich jetzt der christlichen Kunst zu. Beide beginnen religiöse Kunstwerke zu schaffen. Viele dieser Werke finden sich in der Umgebung des Wohnorts der Familien in Großhöhenrein. 1928 gestalten sie eine Lourdeskapelle für den Kirchhof in Höhenrain. Vor einer Wand aus Tuffstein, die die Grotte in Lourdes andeutet, sieht man die Madonnenfigur von Irene Georgii-Hildebrand aus Holz, farbig gefasst. Die Gestaltung der Figur folgt denselben Gesetzmäßigkeiten wie die 20 Jahre früher angefertigte Bronzefigur.
Ein Leben für Familie und Bildhauerei
1961 stirbt Irene Georgii-Hildebrand im Alter von 81 Jahren in Großhöhenrain. In einem Artikel anlässlich ihres Todes wird sie mit dem Satz zitiert:
Es war ein Leben in lauter Schönheit.11
Zu ihrem künstlerischen Austausch mit ihrem Ehemann sagt sie:
Uns interessieren die gleichen Probleme und wir sind uns gegenseitig die besten Kritiker.12
Ähnlich nah steht sie dem Werk ihres Vaters, dessen künstlerische Auffassung sie lebenslang begleitete.
Leben und Werk von Irene Georgii-Hildebrand sind bisher kaum aufgearbeitet. Beeindruckend ist das Durchhaltevermögen, mit dem die Bildhauerin ihre künstlerische Arbeit lebenslang verfolgte. Ihre enge Beziehung zu den Bildhauern ihrer Familie hat sie hierbei sicher sehr unterstützt.
Sicher ist: Die figurative Münchner Bildhauerschule, die Adolf von Hildebrand begründete, gerät angesichts des Fokus der Kunstgeschichte auf die gegenstandslose Kunst in der Nachkriegszeit aus dem Blick.
Und sicher ist auch: Bildhauerinnen hatten es besonders schwer in der Kunst. Die Bildhauerei wird lange als Männerberuf angesehen, zu dem Frauen weder den Geist noch die Kraft hatten. Familienmitglieder oder befreundete Bildhauer*innen übernehmen den Unterricht. Die Leben verlaufen unterschiedlich. Unsichtbare Grenzen und gläserne Decken sind und waren vorhanden.
Literatur:
- Ehrhardt, Felicitas: Ästhetisches Utopia. Adolf von Hildebrand und sein Künstlerhaus San Francesco die Paola in Florenz. Regensburg 2018.
- Gundel, Marc; Hartog, Arie; Schmidt, Frank (Hg.): Bildhauerinnen in Deutschland. Köln 2019.
- Kiessling, Hans: Begegnung mit Bildhauern. Münchner Kunstszene 1955–1982. Eine Dokumentation über 99 Bildhauer mit 491 Bildtafeln und Kurzbiografien. St. Ottilien 1982.
- Körner, Hans: Reuter, Guido: Reaktionär – konservativ – modern? Figürliche Plastik der frühen Nachkriegszeit in Deutschland. Theorie, Praxis und Geschichte der Kunst. Gemeinsame Forschungen der Heinrich-Heine-Universität und der Kunstakademie Düsseldorf. Bd. 1. Düsseldorf 2013.
- Thieme, Ullrich (Hg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler. Von der Antike bis zur Gegenwart. Bd. 13, S. 431.
- Kuller, Christian; Schreiber, Maximilian: Das Hildebrandhaus. Eine Münchner Künstlervilla und ihre Bewohner in der Zeit des Nationalsozialismus. München 2006.
- Vollmer, Hans (Hg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts. Leipzig 1955, Bd. 2, S. 226.
- Stefani, Regine: Der Bildhauer Theodor Georgii. 1883–1963. Biografie und Werkverzeichnis. München 2013.
Ich bedanke mich bei Johannes Wetzel, dem Enkel der Künstlerin für die kenntnisreiche und freundliche Unterstützung.
- Zitiert nach Ehrhardt 2018, S. 103, aus: Hildebrand, Alice von: The soul of a lion. Dietrich von Hildebrand. San Francisco 2000, S. 28. ↩︎
- Übersetzt von Caroline Sternberg. ↩︎
- Zitiert nach Ehrhardt 2018, S. 97, zitiert nach Brewster, Harry: The Cosmopolites. A Nineteenth-century Family Drama. Norwich 1994, S. 274. ↩︎
- Deutsche Übersetzung von Caroline Sternberg. ↩︎
- Handschriftliches Manuskript (4 Seiten) von 1952/53, in dem Irene Georgii-Hildebrand Fragen von Bernhard Sattler über Kunst und Plastik beantwortet. Münchner Stadtbibliothek/Monacensia, Schenkung Johannes Wetzel. ↩︎
- Mannheimer Kunstausstellung. In: Kunst für Alle, 1906/07 (1. August 1907), Bd. 22, H. 21, 489–501, hier S. 494. ↩︎
- Riezler, W., Von der Mannheimer Ausstellung. In: März. Eine Halbmonatsschrift zu Kunst und Kultur 1907, Bd. 3, 369–376, hier S. 374. ↩︎
- Denkmäler. In: Kunst für Alle, 1905/06 (1. Dezember 1905) Bd. 21, H. 5, S. 118 ↩︎
- Kleinere Ausstellungen. In: Die Kunst für Alle, 1902/03 (1. Juni 1903), Bd. 18, H. 17, 406–416, S. 414. ↩︎
- Brief von Irene Georgii-Hildebrand an Helene Raff am 29. März 1935, BSB, Raffiana IV. ↩︎
- Berthold, Margot: Ein Leben in lauter Schönheit. Irene Georgii, eine Hildebrandtochter in hohem Alter gestorben. In: Münchner Merkur, 28.01.1961. ↩︎
- Anon., Ein Leben für die Kunst. Zum 70. Geburtstag von Frau Irene Georgii. Mangfall-Bote des Oberbayerischen Volksblattes. Bad Aibling Stadt und Land, Samstag, den 21. Januar 1950. ↩︎
* Mehr zu Irene von Hildebrand in: „Adolf von Hildebrand und San Franceso di Paola in Florenz“ – Dr. Felicitas Ehrhardt (7.10.2024)
Förderung
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München Abt. 4 Public History.