Capri und die Selbstbefreiung der Monika Mann – „Monascella“ | #FemaleHeritage

Monika Mann auf der Veranda der Villa Monacone auf Capri. Signatur: Münchner Stadtbibliothek/Monacensia, M/Sp F2 Foto 1. #FemaleHeritage

Mutter-Tochter-Drama, „male chauvinists“, Selbstbefreiung auf Capri: Einsichten und Irrtümer über Monika Mann, die Außenseiterin der Familie Mann – von wegen das „dumpf-wunderliche Mönle“! Kerstin Holzer schreibt über ihre Recherchen zu „Monascella – Monika Mann und ihr Leben auf Capri“ (dtv, ab 16.11.2022).

Monika Mann hatte es in der Künstlerfamilie ihres Vaters Thomas Mann nicht leicht. Schon als Kind stand sie im Schatten ihrer schillernden Geschwister und galt später als untalentierter Sonderling, traumatisiert von einem Schiffsunglück im Zweiten Weltkrieg. In den 1950er Jahren entdeckte sie den Sehnsuchtsort Capri für sich – und fand dort ein Zuhause, die Liebe und ihre Stimme als Schriftstellerin.

Buchcover von “Monascella": Monika Mann auf der Veranda der Villa Monacone (Münchner Stadtbibliothek/Monacensia, M/Sp F2 Foto 1) #FemaleHeritage
Buchcover von “Monascella“: Monika Mann auf der Veranda der Villa Monacone (Münchner Stadtbibliothek/Monacensia, M/Sp F2 Foto 1) #FemaleHeritage

Monika Mann, Capri, Selbstbefreiung und Schriftstellerin

Auf den Spuren der Außenseiterin

Ein Ausflug auf die Insel Capri, Frühling 2019. Die Via Pizzolungo führte mich aus dem Dorf hinaus an die Steilküste. Links vom Panoramaweg Gestein, rechts der Abhang mit blühendem Ginster, von unten leuchtendes Blau. Dann stand ich plötzlich vor der Villa Monacone mit ihren weißen Säulen. Vis-à-vis ruhen die Faraglioni-Felsen im Mittelmeer, umkreist von Möwen. Kein anderes Haus bietet das Wahrzeichen der Insel so zum Greifen nah. Es ist still hier, an der Villa führt nur der Spazierweg vorbei. 

Ich wusste, dass die Schriftstellerin Monika Mann, Tochter von Thomas Mann, mehr als 30 Jahre hier gelebt hatte. Mir war aber nicht bewusst, dass sie sich mit der Villa Monacone ein Zuhause gewählt hatte, das sie derart unmittelbar mit dem Meer konfrontierte. Damit verknüpfte sie doch, wie ich dachte, ihre niederschmetterndste Lebenserfahrung: ein schweres Schiffsunglück im Zweiten Weltkrieg, bei dem ihr Ehemann Jenö Lányi vor ihren Augen ertrunken war. 

Als ich vor der Villa Monacone stand, wurde mir klar: Diese Frau muss über mehr Resilienz verfügt haben, als es die bekannten Schilderungen vermuten ließen. Über den Mut, in dieser Abgeschiedenheit einen Neubeginn zu wagen, und über die Kraft, so viel Stille und Schönheit auszuhalten. Das machte mich neugierig. So begann meine Reise zu Monika Mann und ihrer Zeit auf Capri.

Monika Mann auf der Veranda der Villa Monacone auf Capri. Signatur: Münchner Stadtbibliothek/Monacensia, M/Sp F2 Foto 1. #FemaleHeritage
Monika Mann auf der Veranda der Villa Monacone auf Capri. Signatur: Münchner Stadtbibliothek/Monacensia, M/Sp F2 Foto 1. #FemaleHeritage

Neubeginn in der Mitte des Lebens 

An einem Dezembertag 1954 war sie auf der Insel angekommen, immerhin schon 44 Jahre alt. Hinter ihr lagen mehr als 20 Jahre Exil. Das Verhältnis zur Familie: extrem angespannt. Monika Mann war die Außenseiterin der „amazing family“ und galt als labiler Sonderling. Sie war heimatlos, verwitwet, ohne jede berufliche Perspektive: „Der Wind hat mich hergetragen.“ 

Auf den ersten Blick verliebte sie sich in das Haus, die Aussicht – und in Antonio Spadaro, ihren Mitbewohner und Sohn der Hausbesitzer. Die Spadaros waren Fischer und Maurer, Monika die Tochter eines Literaturnobelpreisträgers. Ein enormes Gefälle. Aber diese Beziehung hielt bis zu Antonios Tod 1985. Auf Capri fand Monika Mann ein Zuhause und ihre Stimme als Schriftstellerin. Hier entstanden fünf Bücher und Hunderte von Feuilletons. Gleich im ersten Jahr auf Capri schrieb sie ihre Erinnerungen „Vergangenes und Gegenwärtiges“. Und definierte darin, was das Leben sein sollte: „eine Selbstbefreiung“

Während der Recherche las ich Monika Manns Texte und Briefe. Ein Großteil befindet sich im Literaturarchiv der Monacensia. Hier liegen auch rund 80 bisher unveröffentlichte Briefe und Postkarten an Antonio Spadaro. Für ihn war sie nicht „das arme Mönle“, sondern seine „Monascella“; ihm konnte sie sich anvertrauen, wenn sie wieder von depressiven Schüben gequält wurde. Das Halten seiner Hand, schrieb sie ihm, sei etwas „Magisches und Heiliges“: „Sie ist zärtlich, sie ist enorm, sie ist traurig, sie ist das Leben.“ Ohne Antonios Nähe fühlte sie sich verloren „wie ein Apfel ohne Baum“. Um diese Briefe zu sichten, war die Genehmigung der Urheberrechtsinhaber erforderlich. 

Ich sprach mit Zeitzeugen, die Monika Mann auf Capri erlebt hatten, und mit Mitgliedern der Familie Mann. Und ich mietete mich in der Wohnung im ersten Stock der Villa Monacone ein, in der sie gelebt hatte. 

Der Blick von der Veranda der Villa Monacone auf die Faraglioni-Felsen, Capri (Foto: Kerstin Holzer) #FemaleHeritage
Der Blick von der Veranda der Villa Monacone auf die Faraglioni-Felsen, Capri (Foto: Kerstin Holzer) #FemaleHeritage

Die Villa Monacone: eine Insel auf der Insel

Die Architektenfamilie aus Neapel, der die Wohnung heute gehört, hat behutsam renoviert. Man läuft über denselben rot-weißen Steinboden wie Monika Mann, kocht in ihrer winzigen Küche, blickt von der Veranda auf die Faraglioni-Felsen und läuft Monikas täglichen Spaziergang ab: den Panoramaweg hoch über dem Meer entlang, bis zur Casa Malaparte. Auf dem Kaminsims im Wohnzimmer steht noch heute ein rotes Flaschenschiffchen, gefertigt von Antonio Spadaro. 

Die Villa Monacone ist eine Insel auf der Insel: versteckt und friedlich. Vom Dolce-Vita-Lebensgefühl auf der berühmten Piazza hielt sich Monika Mann fern. Wie schrieb die 59-Jährige ihrer Mutter mit einiger Bitterkeit: 

Ich bemühe mich mit mir und meinem Leben ohne Aufsehen fertig zu werden.

Das große Mutter-Tochter-Drama war das unerwartete Narrativ, das sich während meiner Spurensuche ergab. Es war weniger der angeblich so kühle Vater Thomas Mann, sondern seine Frau Katia, deren Ablehnung Monika früh zur Ungeliebten machte. Für Katia war sie das „dumpf-wunderliche Mönle“, das „dumme, ihr recht sehr verleidete Kind“. Diese Meinung wurde Familiendoktrin. Nur Klaus und Michael, Monikas Lieblingsgeschwister, versuchten schwach, dagegenzuhalten. Der Vater Thomas klagte im Tagebuch mehrfach über „das recht trübe Problem Moni“ – lästig, weil sie seiner Frau unendlich auf die Nerven ging. 

Womit eigentlich? Zum einen tat sich Monika schwer, ihren Weg zu finden. Sie probierte es mit Zeichnen, Klavierspiel, schließlich mit dem Schreiben. Vermessen fand man das. Und ärgerlich, dass die widerständige Monika sich nicht wenigstens so schnell wie möglich verheiraten lassen wollte, wenn ihr schon die Gaben fehlten.     

„Male chauvinists“: die Eltern Thomas und Katia Mann 

Auch Monikas allzu klassisch konnotierte Weiblichkeit war ein Störfaktor. Ihre langen Locken, ihre fahrigen Briefe, ihre als hysterisch verrufene Emotionalität waren im Hause Mann verpönt. Sie nahm sich das Recht heraus, ihre Verletzlichkeit zu zeigen. Die anderen Familienmitglieder bändigten ihre Gefühle mit Disziplin, Produktivität und Stimulanzien aus der Hausapotheke. 

Tendenziell misogyne Tendenzen im Mann’schen Kosmos hat auch die jüngste Schwester Elisabeth beobachtet. Sie nannte ihre Eltern einmal „male chauvinists“, alle beide. Über das Thema Gleichstellung schrieb Elisabeth Mann Borgese später das Buch „Ascent of Woman“ und empfahl einer Frau, die ernst genommen werden wolle: Sie müsse eben „ein Mann werden“. 

Tatsächlich stand Monikas Weiblichkeit in krassem Gegensatz zum androgynen Auftritt ihrer Geschlechtsgenossinnen in der Familie: Katia, Erika und Elisabeth. Aber an diesen drei Mann-Frauen hing das Herz des „Zauberers“. 

Wie sehr Monika Mann unter dieser Ausgrenzung gelitten hat, vor allem unter der Entfremdung von der geliebten Mutter, davon erzählen ihre Briefe. Über ihre Rolle als Frau hat sie nach dem Tod ihres Mannes Jenö Lanyi nachgedacht. Was ist eine Frau ohne Mann? Sei sie verloren, weil sie ihn verloren habe? Nein, denn sie sei nicht nur definiert durch ihre Tragödie, sondern „immer noch ich“. 

Die Häme über das „arme Mönle“ ist noch immer präsenter als deren eigene Perspektive. Das liegt auch daran, dass die Thomas-Mann-Expertenwelt die familiäre Abwertung lange reproduziert hat. Süffisant schrieb etwa Thomas-Mann-Biograf Hermann Kurzke über Monika Manns poetische Texte: „Gern würden wir etwas anderes sagen, aber sie sind herzlich unbedeutend.“ Ein Rezensent gratulierte dem Autor Tilmann Lahme dazu, in seiner Chronik „Die Manns. Geschichte einer Familie“ Monikas „eher trostlose Schreibversuche“ für sich sprechen zu lassen. Lahme erspare sich damit, „dem Mobbing der Familie gegen ,das Mönle‘“ einen „sinnlosen Widerspruch“ hinterherzuschicken. 

Interessanterweise stammen die einzigen Versuche, dem allgemeinen Monika-Bashing etwas entgegenzusetzen und auf ihre luziden Momente als Autorin hinzuweisen, von weiblichen Literaturwissenschaftlern: etwa von Monika-Mann-Biografin Karin Andert sowie von Inge Jens. So viel „sisterhood“ hatte Monika Mann von ihren Schwestern Erika und Elisabeth nicht zu erwarten. 

Ein Paar für 31 Jahre: Monika Mann und Antonio Spadaro (Copyright Luciano D'Alessandro Archive/Studio Bibliografico Marini). #FemaleHeritage
Ein Paar für 31 Jahre: Monika Mann und Antonio Spadaro (Copyright Luciano D’Alessandro Archive/Studio Bibliografico Marini). #FemaleHeritage

Liebe, Kreativität, mental health

Die Entwurzelung durch Krieg und Exil, die Suche nach Liebe und Kreativität, das zähe Ringen um das, was heute „mental health“ heißt“: Es war höchste Zeit für einen modernen, auch weiblicheren Blick auf Monika Mann. Sie ist das am meisten unterschätzte Mitglied der wohl faszinierendsten deutschen Künstlerfamilie. In ihren Briefen und Texten offenbarte sich Monika Mann als suchende, ambivalente Persönlichkeit. Wahrscheinlich war sie tatsächlich ein Sonderling. Aber Sonderlinge sind spannend – in der Literatur wie im Leben. 

Kerstin Holzer, geboren 1967, studierte Politikwissenschaft und lebt in München. Sie arbeitete als Journalistin u. a. für die „Süddeutsche Zeitung“ und war stellvertretende Chefredakteurin von „Madame“. Als Buchautorin verfasste sie die Spiegel-Bestseller „Elisabeth Mann Borgese – ein Lebensporträt“ und gemeinsam mit Léa Linster „Mein Weg zu den Sternen“. 

Weiterlesen von und über Monika Mann, eine kleine Auswahl 

  • Kerstin Holzer: Monascella – Monika Mann und ihr Leben auf Capri, München 2022 (das Buch erscheint am 16.11.2022)
  • Karin Andert: Monika Mann. Eine Biografie, München 2012 
  • Tilmann Lahme: Die Manns. Geschichte einer Familie, Frankfurt a. M. 2015 
  • Tilmann Lahme, Holger Pils und Kerstin Klein (Hrsg.): Die Briefe der Manns. Ein Familienporträt, Frankfurt a. M. 2016 
  • Andrea Wüstner: Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam. Thomas und Katia Mann als Eltern, München 2010 
  • Monika Mann: Vergangenes und Gegenwärtiges. Erinnerungen, München 1956 
  • Monika Mann: Das fahrende Haus. Aus dem Leben einer Weltbürgerin, hrsg. von Karin Andert, Reinbek bei Hamburg 2007 

Autor*innen-Info

Profilbild Kerstin Holzer

Dies ist ein Gastbeitrag von Kerstin Holzer

Kerstin Holzer, geboren 1967, studierte Politikwissenschaft und lebt in München. Sie arbeitete als Journalistin u. a. für die „Süddeutsche Zeitung“ und war stellvertretende Chefredakteurin von „Madame“. Als Buchautorin verfasste sie die Spiegel-Bestseller „Elisabeth Mann Borgese – ein Lebensporträt“ und gemeinsam mit Léa Linster „Mein Weg zu den Sternen“. Foto: © Markus Teskino

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