POP PUNK POLITIK. Die 1980er Jahre in München – eine Ausstellung der Monacensia zur Subkultur und Literatur | #PopPunkPolitik

Plateau "Protest und Identität": Die Luxuslüge, #PopPunkPolitik. Foto: Eva Jünger.

Die Ausstellung „POP PUNK POLITIK. Die 1980er Jahre in München“ (30.04. – 31.03.2022) der Monacensia präsentiert eine in den 1980er Jahren junge, vielfältige Textproduktion in München. Text, Medium und Haltung sind hier aufs Engste ineinander verwoben. Pop und Punk geht es darum, auf spielerische Weise die bürgerliche Medienwelt zu dekonstruieren. Eine radikale Ästhetik wird zum Transportmittel politischer Ansprüche. So entstehen alternative Medien, die Blogs und Social-Media-Kanäle vorwegnehmen.

Ästhetik und Revolte: Mit vielen Dokumenten, Fotografien, Medien und Geschichten ruft die Ausstellung die 1980er Jahre in Erinnerung. Sie zeigt ein Jahrzehnt neuer sozialer und urbaner Bewegungen, das intensiv gesellschaftspolitische Konflikte austrägt. Gleichzeitig skizziert sie ästhetische Verfahren der Subkultur für eine heutige Debatte über Emanzipation und die Verwegenheit der Revolte. Welche Themen werden angestoßen? Welche Relevanz besitzen sie heute? Welche Impulse will die Monacensia setzen? Was gibt es zu sehen und zu erfahren? 

„Pop Punk Politik“ ist als langfristiges Projekt konzipiert. Die Ausstellung versteht sich als erster Impuls und als Einladung zur Beschäftigung mit der medialen ästhetischen Praxis der Subkultur der 1980er Jahre in München. In den nächsten Monaten wird sich die Monacensia weiterhin in den Austausch begeben, um die Lücken im literarischen Gedächtnis der Stadt zu schließen. Überraschende Wendungen sind eingeplant. Die Geschichte wird weitererzählt: digital und analog. Begleitet uns dabei!

Wer sich an die 80er Jahre erinnern kann, hat sie nicht miterlebt.

Falco

Pop Punk Politik – worum geht es?

Die 1980er Jahre waren ein Jahrzehnt der Neubildung sozialer und urbaner Bewegungen. Dazu gehört der Kampf für selbstbestimmte Räume, für eine eigene Öffentlichkeit und gegen die Kriminalisierung gesellschaftlicher Alternativen. Im Spannungsfeld zwischen Pop und Punk bestimmt die Entscheidung zwischen „Gefühl und Härte“ und „Mode und Verzweiflung“ das halbe Leben.

Zu dieser „Gründerzeit“ der neuen sozialen Bewegungen zählen der Aktivismus der Schwulenbewegung gegen Diskriminierung und rigide AIDS-Politik ebenso wie der Einsatz der Frauen- und Lesbenbewegung für Aufklärung und Autonomie. Darüber hinaus werden folgende Themen und ihr Umgang im gesellschaftspolitischen Diskurs angesprochen:

  • das Oktoberfest-Attentat 1980 
  • Thatcherismus und Neoliberalismus 
  • „Züri brännt“ und Jugendunruhen
  • atomare Hochrüstung und Friedensbewegung 
  • die Gründung der Grünen 1980 und umweltkritische Literatur 
  • die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 
  • Anti-Atomkraft-Bewegung und Protest in Wackersdorf 
  • Volkszählung und Datenschutz
  • Diskriminierung sogenannter Randgruppen und Minderheiten 
  • Herstellung einer Gegenöffentlichkeit 
Blick in die Ausstellung #PopPunkPolitik. Datenschutz in den 1980er Jahren in München. Foto: Eva Jünger.
Blick in die Ausstellung #PopPunkPolitik. Datenschutz in den 1980er Jahren in München. Foto: Eva Jünger.

Nach unserer Erika-Mann-Ausstellung erforscht „Pop Punk Politik“ erneut den Zusammenhang von Literatur und Politik. Die Sonderausstellung betrachtet das Schaffen von Münchner Autor*innen und Künstler*innen vor dem Hintergrund der Umwelt-, Frauen-, Schwulen- und Jugendbewegungen der Zeit.

Wir müssen härter werden, ohne unsere Zärtlichkeit zu verlieren!

Freizeit 81

Neuer konzeptioneller Ansatz und Herausforderungen – die 1980er Jahre in München

Mit der Ausstellung „Pop Punk Politik“ geht die Monacensia neue Wege. Inwiefern? Als literarisches Gedächtnis der Stadt München hat die Monacensia bewusst die Lücken im Bestand von Literaturarchiv und Bibliothek in den Blick genommen.

  • Was wurde in den 1980er Jahren nicht gesammelt?
  • Zu welchen Medien hatten Bibliothekar*innen damals gar keinen Zugang?
  • Was entzog sich der Wahrnehmung?
  • Und wie können wir die Lücken schließen?

Wie ging das Kuratorenteam Ralf Homann und Sylvia Schütz vor? Sie haben sich mit vielen Künstler*innen, Fotograf*innen, Kulturschaffenden und Zeitzeug*innen in den Austausch begeben. Viele davon haben bei sich zuhause nachgesehen, Schubladen geöffnet, Kellerkartons gehoben und großzügig aus ihrem privaten Fundus zur Ausstellung beigetragen. Dafür danken wir allen herzlich!

So weit, so gut in normalen Zeiten. Aber was ist schon normal in einer pandemischen Situation mit Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und Hygieneauflagen? Geplant war natürlich die Einladung in die Monacensia, das Vorstellen unserer Institution, das direkte Gespräch am gemeinsamen Tisch, das bei einer Tasse Kaffee in entspannter Runde ein Eintauchen ins Thema erlaubt. Leider konnte all das bei den Vorbereitungen definitiv nicht realisiert werden. Selbst das engere Ausstellungsteam traf sich vorwiegend digital. 

Trotzdem, es hat geklappt. Auch wenn die Planungen und Vorbereitungen aus der Distanz heraus gewöhnungsbedürftig waren. Telefon, E-Mail und webex waren über lange Wochen die einzigen Kommunikationsmittel. Reale Treffen mit vielen Leihgeber*innen konnten oft erst nach der Öffnung der Ausstellung stattfinden. Und das gemeinsame Feiern bei einer rauschenden Vernissage musste natürlich auch entfallen. 

Als Punk sitzt man in der Stadt, weil man in eine Konfrontation gehen will mit der Gesellschaft. Man will gesehen werden. Und man will sehen, wer man nicht sein will.

Cornelia Siebeck
Plateau "Gegen die Mächtigen": Gefühl und Härte - eine Haltung in den 1980er Jahren in München. Foto: Eva Jünger. Pop Punk Politik
Plateau „Gegen die Mächtigen“: Gefühl und Härte – eine Haltung in den 1980er Jahren in München. Foto: Eva Jünger. Pop Punk Politik

Erinnerungskultur der Vielen und kuratorische Feldforschung: ins Feld gehen und gemeinsam entdecken

Das konzeptionelle Vorgehen bei den Recherchen zu „Pop Punk Politik“ entpricht der Methode der kuratorischen Feldforschung. Die Ausstellung erhebt keinen Anspruch auf endgültige Deutung und Abgeschlossenheit. Vielmehr ist sie ein Anlass, sich mit der Textproduktion der Zeit zu beschäftigen und den Bogen ins Heute zu schlagen. Was die kuratorische Feldforschung für die Monacensia bedeutet und was sie mit dem Kulturerbeprojekt #femaleheritage verbindet, beschreibt Anke Buettner im Monacensia-Manifest.  

Es gehört zur Methode der kuratorischen Feldforschung, den dabei zum Vorschein tretenden Ereignissen oder Personen aus verschiedenen Perspektiven zu folgen und überraschenden Wendungen Raum zu geben. … Wesentlich für die kuratorische Feldforschung ist, München  … als eine Großstadt mit engem Bezug zum Zeitgeist und den aktuellen Ereignissen in der Welt zu betrachten.  

Anke Buettner
Brief von Andrea Wolf "1988 aus der Untersuchungshaft in Aichach an Andrea Hagen. Der 15jährigen Andrea Wolf wird "Bildung einer terroristischen Vereinigung" vorgeworfen. 1980er Jahre in München, Pop Punk Politik. Foto: Eva Jünger.
Brief von Andrea Wolf 1988 aus der Untersuchungshaft in Aichach an Andrea Hagen. Der 15-jährigen Andrea Wolf wird „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ vorgeworfen. 1980er Jahre in München, Pop Punk Politik. Foto: Eva Jünger.

Und unsere Leihgeber*innen? Wie finden sie die Ausstellung? Oft sehen sie ihre privaten Dokumente erstmals in einer Museumsvitrine  und begegnen so ihrem 40 Jahre jüngeren Ich. Wie ist das für sie? Ungewohnt? Verrückt? Befremdend? Erhebend? Vielleicht von allem ein bisschen. Wir freuen uns über ihre positiven Reaktionen. 

Auch wir zeigen zum ersten Mal Dokumente aus einem Nachlass, der sich schon lange in unserem Bestand befindet und bislang die angemessene Aufmerksamkeit bekommen hat. Es handelt sich um die Künstlerin Rabe Perplexum. Hier ziehen wir eine direkte Verbindung zu unserem Kulturerbe-Projekt #femaleheritage. Zu Rabe Perplexum entstanden im Zuge unserer Blogparade „Frauen und Erinnerungskultur“ gleich zwei Artikel:

Nicht Mann, nicht Frau, nur Rabe!

Rabe Perplexum
Nachlass von Rabe Perplexum, Monacensia, #PopPunkPolitik. Foto: Eva Jünger.
Nachlass von Rabe Perplexum, Monacensia. Foto: Eva Jünger.

Vier Plateaus zu Pop Punk Politik – die Textproduktion der 1980er Jahre in München

Die Ausstellung folgt keiner hierarchischen Logik. Sie ist in vier thematische „Plateaus“ aufgeteilt, die untereinander Verbindungslinien aufweisen, Vor- und Rückverweise erlauben und eine Projektionsfläche bieten für das Sich-in-Beziehung-Setzen des Ausstellungspublikums. Es entsteht der Eindruck eines gewissen Verflochtenseins von Themen, Texten und Personen. Die philosophische Metapher des Rhizoms als Methode der Wissensorganisation von Gilles Deleuze und Félix Guattari steht für die Konzeption ebenso Pate wie deren gemeinsames Buch „Tausend Plateaus“ von 1980 .

Welche Plateaus gibt es?

  1. Die 1980er Jahre
    Ein- und Überblick über den zeitpolitischen Hintergrund um 1980: atomare Bedrohung, Kongress von TUNIX als Gründungsereignis der alternativen Bewegungen, Neoliberalismus und Deregulierung der Märkte, Umweltbewegung, Aids-Politik, Kampf um autonome Freiräume, Friedensbewegung, Feminismus
  2. Gegen die Mächtigen
    Medien und Textsorten: Szene- und Stadtzeitungen, Fanzines, Mode & Verzweiflung, Elaste, Kultsendungen wie Pop Sunday, „Live aus dem Alabama“,  Kolumnen, Manifeste, private Texte wie Skizzenbücher oder Briefe aus dem Knast.
  3. Protest und Identität
    Bewegungen und Persönlichkeiten: Punk versus Pop oder NDW (Neue Deutsche Welle), Songtexte, Freiwillige Selbstkontrolle, Szeneorte wie Lipstick oder Tanzlokal Größenwahn, umweltkritische Literatur, Frauen, Lesben, Schwule, „Luxuslüge“, Cora Frost, Rabe Perplexum, Gustl Angstmann
  4. Do it Yourself
    Die Dinge selber in die Hand nehmen: DIY versus BWL. Kollektive Eigeninitiative statt individueller Karriere. Kreativität und Selbstermächtigung statt Konsumismus
Lorenz Lorenz und James Dean. Abbildung aus Elaste Nr 4, 1982. Foto: Eva Jünger.
Lorenz Lorenz und James Dean. Abbildung aus Elaste Nr 4, 1982. Foto: Eva Jünger.

Ich war der erste James Dean in unserem Häuserblock.

Lorenz Lorenz

#PopPunkPolitik im digitalen Raum

Lücken im literarischen Gedächtnis der Stadt werden aufgedeckt und angegangen, in der Ausstellung und im Digitalen. So ergänzte die Kuratorin Sylvia Schütz das Literaturportal Bayern um ein Autoren-Porträt zu Gustl Angstmann. Er gilt als einer der ersten offen schwul schreibenden Autoren Bayerns. Der Schriftsteller wächst im Stadtteil Haidhausen auf und verarbeitet seine Biografie 1982 in der Geschichtensammlung „Ein ganz normaler Mann“. In der Ausstellung zeigen wir einen Auszug daraus.

Plateau "Protest und Identität": Die Luxuslüge, #PopPunkPolitik. Foto: Eva Jünger.
Plateau „Protest und Identität“: Die Luxuslüge, #PopPunkPolitik. Foto: Eva Jünger.
„Zeit: 9.1.1980 – nach 20 Uhr, wochentags;
Ort: Wohngemeinschaft im Wohngemeinschafts-Stadtteil, 
ehemaliges Arbeiterviertel Haidhausen;
Anwesend: Persönlichkeiten, schwule, zehn oder fünfzehn; 
Alle und Kerngruppe; Schreibend; Hörende der Rest, Gustl kommt zu spät“
Gustl Angstmann: „Ein ganz normaler Mann“, Erzählung 1982

In der Ausstellung „Pop Punk Politik“ stecken tatsächlich Ideen für etliche weitere Sonderausstellungen. Wir mussten uns konzentrieren auf signifikante Aspekte. Deshalb ist „Pop Punk Politik“ von uns als ein erster Aufschlag gedacht, als Impuls für die weitere Auseinandersetzung mit dieser spannungsreichen Zeit und ihren Themen. Sie nimmt einige Diskurse vorweg, die wir heute wieder in anderer Art führen. 

Wir werden die Ausstellung während ihrer Dauer in den digitalen Raum hinein erweitern. Über den Hashtag #PopPunkPolitik erfahrt Ihr mehr und könnt mitgestalten. Folgt und tauscht Euch mit uns aus auf FacebookInstagram und Twitter.

Was ist im Digitalen angedacht?

  • Kurzvideos von Zeitzeug*innen
  • Artikel-Serie im Blog der Münchner Stadtbibliothek mit Hintergrundgeschichten und aktuellen Perspektiven 
  • institutionelle Vernetzungs-Aktion im Herbst
  • Mitmach-Aktion zur Sammlung von Literaturtipps
  • #MonMonday auf Facebook
  • Einblicke auf Instagram, O-Töne auf Twitter 

und vieles mehr. Wir halten Euch hier auf dem Laufenden.

Plakatmotiv zu Pop Punk Politik - die 1980er Jahre in München.
Plakatmotiv zu Pop Punk Politik – die 1980er Jahre in München. #PopPunkPolitik

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Hier veröffentlicht die Redaktion der Monacensia Beiträge zu den MON_Mag Kategorien.

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