Mit Sandra Hoffmann zwischen Stadt und Land | #MYNCHEN – 2

Das Haus auf dem Land, Foto: Sandra Hoffmann

Die Münchner Autorin Sandra Hoffmann lebt abwechselnd in der Stadt und auf dem Land. Wie das funktioniert und warum sie sich trotzdem nie ausschließlich für ein Leben auf dem Land entscheiden könnte, darüber schreibt sie exklusiv für #MYNCHEN in ihrem Beitrag zu Stadt-Land-Geld. Eine literarische Hommage an Rehe im Garten und Valentino-Kleider hinter Großstadt-Schaufenstern.

Sandra Hoffmann: Ich würde nicht aufs Land ziehen. Nicht für ganz und nicht für immer.

Und das sage ich heute, obwohl ich die Natur liebe. Ich sage das, obwohl wir seit fünf Jahren ein kleines, hübsches Holzhaus am Rand des Bayerischen Walds besitzen, in dem ich wirklich gerne bin. Seit der Pandemie noch viel lieber und viel mehr.

Ich sage das, obwohl ich hier draußen, also auf dem Land, einen Schreibtisch habe, von dem aus ich in den Wald schauen kann, von dem aus ich die Rehe, die Vögel, die Katzen auf der Pirsch, die ersten Zitronenfalter nach dem Winter beobachten kann und manchmal sogar einen Fasan, der die Lichtung quert.

Rehe im Garten, Foto: Sandra Hoffmann
Rehe im Garten, Foto: Sandra Hoffmann

Ich sage das, obwohl ich, wenn wir hier ankommen, bemerke, wie wunderbar die Luft riecht und im Sommer nach ätherischen Ölen, obwohl ich bemerke, wie schnell und wie leicht ich mich entspanne beim Blick in den Wald, beim Weg durch den Wald, wie leicht es geht, alleine zu sein.

Ich sage das, obwohl ich erlebe, dass hier draußen Raum ist zum Alleinsein, weil die Grundfläche für jeden Menschen eine vielfach größere ist, weil ich einen Garten habe, ein Hochbeet, eine Erle vor dem Haus, unter der im Sommer der Tisch steht, an dem wir essen, an dem wir arbeiten, zusammen sitzen.
Ich sage das in Kenntnis der Priviligiertheit, in der ich lebe. Sie ist groß.

Ich wohne in der Stadt. Wenn ich möchte, wohne ich auf dem Land, wohne ich in der Natur.

Ich wohne in der Stadt.
Wenn ich möchte, wohne ich auf dem Land, wohne ich in der Natur.
Ich gehöre zu einer nicht besonders großen Gruppe von Menschen, die das Glück hat, das zu können, sich das leisten zu können.

Das Haus auf dem Land, Foto: Sandra Hoffmann
Das Haus auf dem Land, Foto: Sandra Hoffmann

Wir sind hier die einzigen Städter.
Das kleine Haus am Rand des Bayerischen Walds steht irgendwo in Niederbayern in einem Dorf, wo außer dem Apotheker (vermutlich) nur Einheimische leben.
Es steht in einer Gegend, für die sich keine Münchner*in wirklich interessiert, weil die Fahrzeit aus der Innenstadt 90 Minuten beträgt, weil es kein spektakuläres Alpenpanorama, keine bedeutenden Seen, kein Gucci und Pradageschäft weit und breit gibt, und auch keinen Laden, der irgend etwas Glamouröses verkauft.

Es steht in einer Gegend, wo es im Umkreis von dreißig Minuten Fahrzeit keine Spitzengastronomie, kaum schöne Biergärten gibt, geschweige denn Golfplätze.
Es steht in einer Gegend, in der man weit fahren muss, um einen Spa oder eine Sauna zu finden, die dem entspricht, was wir aus der Stadt kennen
Es steht in einer Gegend, in der so gut wie keine echten Kulturereignisse stattfinden.
Es steht in einer Gegend in der Kultur und glamourös Wörter sind, die quasi nicht vorkommen.
Wie sind hier weit und breit die einzigen Städter.

Deshalb können wir uns hier Eigentum leisten.
Wir können uns sogar als Kulturschaffende und ohne Erbe Eigentum leisten.
Allerdings interessiert sich hier fast niemand für Kulturschaffende.
Was nichts ausmacht, denn wenn wir hier draußen sind, arbeiten wir am Schreibtisch, lesen wir, streifen wir durch die Natur und den Garten.
Wir schaffen.
Uns fehlt nichts.

Was ABER wäre, wenn wir ausschließlich hier leben würden?

Was ABER wäre, wenn wir ausschließlich hier leben würden?
Was aber wäre, wenn wir uns nur einen Ort leisten könnten, weil das Leben hier draußen viel günstiger ist, als in der Stadt?

Das wäre kein Problem.
Es gibt eine Apotheke, zwei Arztpraxen, einen Bäcker, einen Laden für Handwerk und Haushalt. Es gibt einen Edeka (an dem man ablesen kann, was das Dorf isst; auch wieviel das Dorf bereit ist für das Essen auszugeben).
Es gibt ein Gasthaus (an dem man ablesen kann, wie es hier aussieht mit der kuliarischen Rezeption der Welt).
Es gibt einen Blumenladen (der keine Schnittblumen führt, außer solche fürs Grab, denn Blumen hat man im Garten).
Es gibt eine Tankstelle.
Es gibt das Feuerwehrfest, die Party der Katholischen Jugend, einen Adventsmarkt.

Hühner im Garten, Foto: Sandra Hoffmann
Hühner im Garten, Foto: Sandra Hoffmann

Die Menschen, die uns begegnen sind zugewandt, sehr freundlich und neugierig.
Ich hatte noch keinen einzigen Augenblick das Gefühl, hier nur gelitten zu sein.
Ich bin hier sehr gerne.
Es fehlt mir hier gar nichts.

Ich bin dreiundfünfzig Jahre alt.
Ich bin ein gutes Paar mit meinem Mann.
Ich brauche keinen Gleichgesinnten.
Ich brauche keine Mütter und Väter, die ähnlich über die Sozialisation der (kleinen) Kinder nachdenken wie ich, ich brauche keine Kinderkrippe, keine Kita, die schon mein Einjähriges aufnimmt, damit auch ich meine Arbeit tun kann.
Ich bin an einem Punkt meines Lebens angelangt, wo ich wochenlang mit meinem Partner, dem Schreibtisch und der Natur alleine sein.

Ein Schreibtisch im Wald, Foto: Sandra Hoffmann


Ich halte es aus, wenn meine Freund*innen nicht in meiner Nähe sind.
Ich bin gern alleine.
Ich kann hier gut leben, weil ich Arbeit habe, die aus meinen eigenen Ideen entsteht und für die sich zum Glück meistens jemand interessiert. Ich kann damit ausreichend Geld verdienen.

Ich kann sehr gut auf dem Land leben, wenn ich auf dem Land leben will, weil vor unserer Tür ein Auto steht.Ich kann sehr gut auf dem Land leben, weil wir in der Stadt, weil wir in München eine bezahlbare Wohnung in optimaler Lage haben.
Ich kann mir das Benzin leisten, um dorthin zu fahren, jederzeit. Müsste ich öffentliche Verkehrsmittel nehmen, bräuchte ich drei Stunden. (Nur) Vier mal am Tag fährt ein (Schul-)Bus aus dem Dorf in die gut zwanzig Minuten entfernte Kleinstadt.

Wenn ich in München bin, sehe ich immer wieder alles neu.

Wenn ich in München bin, sehe ich immer wieder alles neu. Ich kann herumlaufen, die Stadt spüren, die Geräusche der Stadt hören, die Menschen der Stadt sehen, die Möglichkeiten der Stadt nutzen. Ich kann (wenn keine Pandemie ist) ins Kino, ins Theater, in Literaturstätten, Cafés, Restaurants, Geschäfte gehen, ich kann in der Stadt bleiben, so lange ich möchte – und bis mir all der Feinstaub die Lunge so verpestet, dass ich auf Land hechle.

Und ich kann das Leben auf dem Land führen, weil ich jederzeit dort hin fahren kann, wo meine Freundinnen, Freunde sind.
Und ich kann das, weil ich gut genug vernetzt bin, um von hier aus meine Arbeit machen zu können.
Und ich kann das Leben auf dem Land führen, weil ich unter normalen Bedingungen oft in der Welt unterwegs und häufig genug eingeladen bin zu Lesungen und sonstigen kulturellen Veranstaltungen.

Und ich kann das Leben auf dem Land führen, weil ich in der Stadt und dort wo ich hinfahre genügend Menschen treffe, die Kulturschaffende sind, wie ich. Die die Welt reflektieren – ähnlich wie ich.

Und ich kann das Leben auf dem Land führen, weil es das Internet gibt.
Und ich kann es, weil ich per Zoom nahe Menschen, oder solche, mit denen ich arbeite, sehen kann, sprechen kann.

Und ich kann das Leben auf dem Land führen, weil ich immer weiß: irgendwo komme ich bald wieder hin, wo es nach großer Welt schmeckt, nach Asien, Afrika, oder wenigstens Italien.

Großstadt-Schaufenster, Foto: Sandra Hoffmann
Großstadt-Schaufenster, Foto: Sandra Hoffmann

Und ich kann das Leben auf dem Land führen, weil ich, wann immer ich das möchte, irgendwo in der Stadt ein oder zwei oder sieben Petit Four aus irgendeiner Vitrine aussuchen, irgendwo einen Cappuccino holen kann, mit dem ich mich dann – auch in Pandemiezeiten – zum Beispiel auf den Bordstein der Maximilianstraße würde stellen können, vor die Oper oder vor das Schaufenster von Valentino oder sonst wo, und denken: mit diesem Kleid würde ich sehr gern in die Kammerspiele hineintänzeln. Auch wenn ich nie das Geld haben werde, mir dieses Kleid zu kaufen.

Ich sehe es, und mich darin in der großen Welt.

Sandra Hoffmann (*1967 in Laupheim, Baden-Württemberg) schreibt für DIE ZEIT, den Bayerischen Rundfunk und den Südwestrundfunk. Sie hat bisher sechs Romane veröffentlicht. Neben zahlreichen Preisen und Stipendien wurde sie für ihren Roman „Paula“ mit einem Arbeitsstipendium des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, einem Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds und dem Hans-Fallada-Preis ausgezeichnet. Für ihr aktuelles Romanprojekt „Tage im Wald“ erhielt sie 2020 ein Arbeitsstipendium der Landeshauptstadt München. Sie leitet Schreibseminare am Literaturhaus München und unterrichtet u.a. an den Universitäten Karlsruhe und Augsburg, sowie für Goethe-Institute im Ausland.

Stadt – Land – Geld #MYNCHEN

Was kostet die Stadt? Was kostet das Land? Und zwar nicht nur finanziell, sondern auch sozial, kulturell und psychisch. Gemeinsam mit internationalen Kulturschaffenden fragen wir im zweiten Teil von #MYNCHEN : Stadt oder Land? Und: Kann man sich die Wahl überhaupt leisten?

Hier stellen wir Euch die beteiligten Künstler*innen und Schriftsteller*innen vor:

Bisher erschienen:


Das Projekt wird gefördert im Programm

Autor*innen-Info

Profilbild Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann (*1967 in Laupheim, Baden-Württemberg) schreibt für DIE ZEIT, den Bayerischen Rundfunk und den Südwestrundfunk. Sie hat bisher sechs Romane veröffentlicht. Neben zahlreichen Preisen und Stipendien wurde sie für ihren Roman „Paula“ mit einem Arbeitsstipendium des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, einem Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds und dem Hans-Fallada-Preis ausgezeichnet. Für ihr aktuelles Romanprojekt „Tage im Wald“ erhielt sie 2020 ein Arbeitsstipendium der Landeshauptstadt München. Sie leitet Schreibseminare am Literaturhaus München und unterrichtet u.a. an den Universitäten Karlsruhe und Augsburg, sowie für Goethe-Institute im Ausland. Foto © Peter-Andreas Hassiepen

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