Wer kennt die Leistungen der Physikerin und Mathematikerin Lucy Mensing? Was haben diese mit der Quantenmechanik zu tun? Das verrät uns Dr. Thorsten Kellermann in seinem Beitrag zur Blogparade #femaleheritage. Erneut eine vergessene Heldin? Zumindest erneut eine Wissenschaftlerin, über die wenig bekannt ist.
Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren eine Hochzeit der Physik und der Mathematik. Die Lehrstühle und Forschungsinstitute waren fast ausschließlich von Männern besetzt. Gab es zu dieser Zeit in den Wissenschaften wirklich keine Frauen?
Es gab wenige, dafür waren sie umso bedeutender. Eine der führenden Mathematikerinnen der Zeit, Emmy Noether, musste Jahre darum kämpfen, damit sie sich habilitieren konnte. Eine eigene Professur bekam sie in Deutschland nie. Emmy Noether ist trotz ihrer Bedeutung für die Mathematik bis heute in der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt. Vielleicht hat man noch von Lise Meitner und der zweifachen Nobelpreisträgerin Marie Curie gehört.
Viele andere Frauen, die wesentlich Beiträge geleistet haben erscheinen heute noch nicht einmal in den Fachbüchern, oder haben sie schon einmal von Lucy Mensing gehört?
Wer war Lucy Mensing?
Lucy Mensing wurde am 11. März 1901 in Hamburg geboren und hat an der Universität Hamburg Mathematik, Physik und Chemie studiert. Sie promovierte 1925 bei Wilhelm Lenz in theoretischer Physik zu „Einfluss elektrischer Felder auf die Breite von Spektrallinien.“
Das große Thema der Physik der 20er Jahre war die Quantenmechanik. Die ersten Theorien waren abstrakte mathematische Konstrukte, die nur von wenigen verstanden wurden und kaum praktische Anwendungen hatten. Die herausragende Leistung von Lucy Mensing bestand darin, erste Berechnungen realer physikalischer Probleme durchzuführen, die durch Messungen bestätigt wurden. Sie war damit vielen ihrer Kollegen weit voraus.
Sie lebte mit ihrer Familie von 1929 bis 1936 in München. Mit der Geburt ihres ersten Sohnes beendete Lucy Mensing ihre Kariere. Die gesellschaftliche Ordnung des letzten Jahrhunderts hat viele erfolgreiche Karrieren von Frauen verhindert.
1936 zog Lucy Mensing mit ihrer Familie nach Königsberg, ihr Mann (Wilhelm Schutz) nahm dort eine Professur an. Der Krieg zwang die Familie zur Flucht nach Jena. An der Universität der Stadt konnte sie noch einmal wissenschaftlich tätig werden. Aufgrund von Reparationsforderungen der UdSSR wurde die Familie von 1946 im Rahmen der Aktion Ossawakim in die Sowjetunion deportiert. Lucy Mensing unterrichtete im Lager in der Nähe der Stadt Ostaschkow die Kinder der Internierten in Deutsch und Geschichte.
Erst 1952 konnte die Familie nach Jena zurückkehren. Eine wissenschaftliche Karriere nahm sie nicht mehr auf. Sie unterstützte aber die Arbeit ihres Mannes, dem in Jena nochmal eine Professur angeboten wurde.
Sie starb am 28. April 1995 in Meiningen.
Eine vergessene Heldin ihrer Zeit
Lucy Mensing ist für mich eine dieser vielen vergessenen Heldinnen dieser Zeit, eine Pionierin der Wissenschaft, eine Frau, die ihre Familie durch Krieg und Flucht brachte und anschließend sechs Jahre sowjetische Gefangenschaft erduldete. Ihr Name und Ihr Leben darf nicht vergessen werden. Sie steht symbolisch für viele Wissenschaftlerinnen des 20. Jahrhunderts, die ihr Potential anhand der gesellschaftlichen Ordnung nicht entfalten konnten.
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Die Vorstellung von Lucy Mensin erinnert an den Matilda-Effekt, den sowohl Melanie Jahreis als auch Leena M. Peters in ihren Beiträgen zu #femaleheritage beschreiben!
Literatur
- Prof. Dr. Gernot Münster Physik Journal 06/2020 (K)eine klassische Karriere?
- Wikipedia Lucy Mensing: https://de.wikipedia.org/wiki/Lucy_Mensing