Katharina Lommel war „Die beste Kopistin von Felsbildern“, so ihre Kolleg*innen am Frobenius Institut. Ohne ihre Mitarbeit und Erfahrungen wäre die Expedition nach Down Under in Australien gar nicht durchführbar gewesen, so das Museum Fünf Kontinente in seinem Beitrag für die Blogparade #femaleheritage. Andreas und Katharina Lommel waren sogar bereit, sich scheiden zu lassen, um überhaupt mitzudürfen. Denn tatsächlich durften Ehefrauen nach den Statuten der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht mitreisen.
Katharina Lommel – „Die beste Kopistin von Felsbildern“
Hinter den Kulissen des Museums mit seiner über 150-jährigen Tradition gibt es viele Geschichten und Persönlichkeiten zu entdecken. Eine starke Frau, die meist im Verborgenen blieb, aber mit umso mehr Enthusiasmus, Hingabe und Talent einen wichtigen Beitrag zum erfolgreichen Neuanfang des Museums nach dem 2. Weltkrieg leistete, war Katharina Lommel.
Lediglich als Direktorengattin bezeichnet zu werden, würde Katharina Lommel nicht gerecht werden. „Die beste Kopistin von Felsbildern“ war sie, wenn es nach der Meinung ihrer ehemaligen Kolleg*innen am Frobenius Institut geht, als eine „unermüdliche und ideenreiche, anonyme Helferin beim Wiederaufbau des zerstörten Staatlichen Museum für Völkerkunde, München“, schätzte sie ihr Ehemann Andreas Lommel, Direktor des Staatlichen Museum für Völkerkunde München von 1957 bis 1977, dem heutigen Museum Fünf Kontinente.
Katharina Lommel wurde am 27. Mai 1911 in Hamburg als Tochter des Frankfurter Soziologie Professors Heinrich Marr geboren. Nach dem Schulabschluss 1929 begann sie bei Willi Baumeister an der Frankfurter Kunstschule für freie und angewandte Kunst, der späteren Städelschule, Freie Grafik und Werbegestaltung zu studieren. Es folgte ein achtmonatiger medizinisch-wissenschaftlicher Zeichenkurs am Senckenbergischen Institut für Pathologie der Frankfurter Universität und ihre erste Anstellung als Reklamemalerin und Bühnenbildnerin.
Felsmalereien als früheste Dokumente menschlicher Kultur
Als sie sich 1934, jung und mit klopfenden Herzen, als wissenschaftliche Zeichnerin am Institut für Kulturmorphologie von Leo Frobenius bewarb, sagte er zu ihr:
Wenn du meinen Leuten gefällst, kannst du gleich dableiben.
Sie blieb 14 Jahre, schon nach 11 Wochen durfte sie die erste Expedition begleiten. Leo Frobenius (1873-1938), der 1923 dieses Institut gegründet hatte, interessierte sich besonders für Felsbilder als früheste Dokumente menschlicher Kultur. Er versuchte diese zu entziffern, zu vergleichen und ein Archiv mit Kopien von Felsbildern aus aller Welt anzulegen. Um dieses „Weltfelsbildarchiv“ aufzubauen, organisierte er Expeditionen nach Afrika, Spanien, Norwegen, den Mittleren Osten, Indonesien und schließlich Australien.
Die etwa 5.000 Felsbildkopien, die von den 16 Expeditionen des Instituts zwischen 1913 bis 1939 stammen, wurden von professionellen Kunstmalerinnen und Kunstmalern unter – aus heutiger Sicht – kaum vorstellbaren Bedingungen angefertigt. Über Katharina sagten ihre Kolleg*innen, sie sei „die beste Kopistin von Felsbildern, die wir hier bei uns in Deutschland haben“ und vor allem eine Frau mit „einem ausgeprägten gesunden Menschenverstand“, die „mit beiden Beinen auf der Erde“ stand.
Im Frobenius Institut zählten neben der Illustration der Publikationen von Frobenius und seinen Mitarbeiter*innen, die Magazinierung der Sammlungen, das Abzeichnen ethnographischer und prähistorischer Gegenstände in Museen, sowie die Mitarbeit an Ausstellungen im Frankfurter Völkerkundemuseum, dem heutigen Weltkulturen Museum, zu ihrem Aufgabenbereich.
Der Wiederaufbau des Staatlichen Museums für Völkerkunde
Ihre Lebenseinstellung und Berufserfahrung „qualifizierten“ Katharina bestens für ein Leben an der Seite des Ethnologen Andreas Lommel, den sie 1937 am Frobenius-Institut kennen und lieben lernte. Er hatte die letzte Frobenius-Expedition 1938/39 ins Kimberley-Gebiet von Nordwest Australien begleitet, 1939 bei Frobenius promoviert und bis zur Einberufung in die Wehrmacht 1940 als wissenschaftlicher Assistent am Institut gearbeitet. Nach seiner Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft 1946 arbeitete er zunächst beim Bayerischen Rundfunk, bevor er 1948, dem Jahr in dem er Katharina heiratete, seine wissenschaftliche Laufbahn als Konservator am Staatlichen Museum für Völkerkunde München begann.
Im Auftrag von Heinrich Ubbelohde-Döhring, dem kommissarischen Direktor, sollte Lommel den Wiederaufbau des im Krieg zerstörten Museums organisieren. Im Westflügel der Ruine wurden nach und nach Büro- und Arbeitsräume unter Notdächern eingerichtet. Die Objekte, die glücklicherweise rechtzeitig ausgelagert worden waren, sollten zurückgeführt werden, und nach Möglichkeit die Ausstellungen wieder aufgebaut werden. Viel Arbeit für so wenig Mitarbeiter*innen: vom Personal waren nur der Heizer, der Hausmeister und die Putzfrau übrig geblieben. Für weitere Mitarbeiter*innen gab es kein Budget. So blieb Katharina nur übrig unentgeltlich, dafür mit viel Begeisterung und Liebe eine Ausstellung nach der anderen mit aufzubauen.
Die große Expedition nach Down Under
1954 bereiteten Katharina und Andreas Lommel ihre erste gemeinsame Expedition für das Museum nach Australien vor. Ziel war, Felsbilder der Aborigines im Kimberley-Gebiet von Nordwest Australien zu kopieren und nach München zu bringen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft war bereit die Expedition zu finanzieren, allerdings durften neuerdings Wissenschaftler nicht von ihren Ehefrauen begleitet werden. Man hatte wohl nicht mit derart entscheidender fachlicher Kompetenz gerechnet. Die Expedition wäre ohne die Mitarbeit und Erfahrung von Katharina Lommel gar nicht durchführbar gewesen. Da die Deutsche Forschungsgemeinschaft nicht bereit war, von ihrem Verbot Abstand zu nehmen, boten Andreas und Katharina Lommel an, sich scheiden zu lassen. Diese Einsatzbereitschaft überzeugte und Katharina Lommel durfte mitreisen.
Körperlich verlangte die fünfzehnmonatige Reise den Beiden so einiges ab. Hatten sie erst einmal nach tagelangen Ritten den richtigen Ort erreicht, mussten die entsprechenden Felsen mit durchsichtigen Folien beklebt und die noch erkennbaren Umrisse nachgezeichnet werden. Andreas Lommel machte Kontrollfotos. Aber in vielen Fällen ist es nicht möglich die Bilder exakt zu fotografieren, da der Stein Krümmungen und Vertiefungen aufweist. Diese können nur gepaust aber nicht fotografisch erfasst werden. Das war oft mit abenteuerlichen Kletterpartien verbunden. Teilweise musste die Folie mit beiden Händen gegen die Decke gestemmt werden, da die Bilder unter überhängenden Felsen gemalt wurden. Im Anschluss wurden die Bilder auf Aquarellpapier übertragen. Manchmal wurde direkt kopiert. Das war keineswegs einfach bei Bildern von einer Größe von zwei Metern und einem Feldbett als Tisch und dem ständig wehenden australischen Wind.
Katharina erzählte:
Die Strapazen der Expedition – trotz Hitze, leprakranker Führer und manchmal tagelangem, nervenaufreibendem Warten im Busch, trotz Kampf mit Regengüssen, abergläubischer Geistesfurcht der Eingeborenen und waghalsigen Kletterpartien – waren nichts gegen die Energie, die ich aufbringen musste, um die Stimmung wieder heraufzubeschwören und die Gestalten bis in die kleinsten Nuancen farbgetreu zu kopieren.
Die Felsbilder haben für die Aborigines übernatürliche Kräfte, die auch heute noch wirken. Es bedurfte diplomatisches Verhandlungsgeschick und Ausdauer, um an ein Bild mit machtvollen Krokodilen zu kommen. Der Führer wollte die Stelle nicht preisgeben, schon gar nicht an eine Frau, noch dazu eine Weiße. Nur weil Katharina zart wie ein Schilfrohr den Aborigines nicht robust genug erschien, durfte sie an den geheimnisvollen Ort letztendlich vordringen und die wertvolle Kopie mit nach München bringen.
Es ist gar nicht so einfach, die großartige Leistung dieser zarten Dame richtig zu würdigen, weil sie so wenig Aufhebens davon machte. Wie viele Stunden sie täglich arbeitete, pauste und zeichnete, daneben noch die Mitglieder der Expedition bekochte – alles aus Leidenschaft für die wissenschaftliche Forschung.
In den eineinhalb Jahren Australien-Expedition entstanden 37 Felsbilder, das Größte mit einer Länge von sechs Metern, sowie 30 Kopien von Rindenbildern, die 1959 zum ersten Mal in München in der Ausstellung „Die Kunst des fünften Erdteils“ gezeigt wurde. Die war der erste und einer der wenigen großen Auftritte der Frau des Direktors mit „Arbeiten, die ganz im Stillen entstanden“.
Autorinnen: Dr. Michaela Appel, Leiterin der Abteilungen Südasien, Südostasien und Australien, und Ricarda Berendson, Abteilung Marketing / Social Media
Adresse und Kontakt des Museums
Museum Fünf Kontinente
Maximilianstraße 42
80538 München
ricarda.berendson@mfk-weltoffen.de
www.museum-fuenf-kontinente.de
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