Das Archiv der deutschen Frauenbewegung kooperiert mit der Monacensia zur Ausstellung Frei leben! Die Frauen der Boheme 1890–1920. Was plant das AddF zu #FrauenDerBoheme? Welche Parallelen gibt es zwischen der Frauenbewegung und der Boheme? Wie entstand die Kooperation mit uns? Und was hat das mit #FemaleHeritage zu tun? Das verrät Laura Schibbe vom AddF im Folgenden.
Die Kontaktaufnahme von Anke Buettner und Sylvia Schütz zur Ausstellung Frei leben! traf uns im Archiv der deutschen Frauenbewegung nicht ganz unvorbereitet. Das AddF ist seit der Blogparade #femaleheritage 2020 immer wieder in Kontakt und hält die digitalen Formate der Monacensia stets im Blick. Auch war die Kuratorin Laura Mokrohs bereits in einer frühen Phase der Ausstellungsvorbereitung für eine Recherche in den Beständen des AddF nach Kassel gekommen.
Die Themenvielfalt beider Häuser ergibt spannende Schnittmengen zwischen der Monacensia als Literaturarchiv und dem AddF als Bewegungsarchiv. Der Austausch und die Partizipation an den (digitalen) Formaten, die sich aus der Programmatik des fünfjährigen Projekts #femaleheritage der Monacensia ergeben, sind für das AddF anregend sowie ein offenes Angebot zur punktuellen Zusammenarbeit.
Die Offerte Anfang dieses Jahres zum gemeinsamen Brainstorming für eine mögliche Kooperation und der lebhafte Ideenaustausch haben recht schnell gezeigt, dass die „Kapitel“ und Narrative, nach denen die Ausstellung Frei leben! organisiert ist, sehr anschlussfähig an die vorhandenen Materialien des AddF sind. Denn in ihnen spiegeln sich auch die Diskurse der Frauenbewegung.
Sammlungsschwerpunkte des Addf – Diskurse der Frauenbewegung
Seit 1983 sammelt das AddF Zeugnisse der organisierten Frauenbewegung und ihrer Protagonist:innen aus der bürgerlichen, radikalen und proletarischen Frauenbewegung. Diese diskutierten intensiv die Themen Frauenleben und Frauenfrage. Davon zeugen in unserer Bibliothek und den Magazinen:
- über 38.000 Monografien
- über 2.500 Zeitschriftentiteln
- zahlreiche frühe Zeugnisse der verbandlichen Organisation, wie Unterlagen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins oder des Deutschen Evangelischen Frauenbundes und deren Protagonistinnen
In der Pressemitteilung zur Ausstellung #FrauenDerBoheme heißt es:
Kritisch hinterfragt werden daher auch Leerstellen in Archiv und Forschung. Die Ausstellung lädt dazu ein, diese zu füllen.[1]
Auch wir sehen den Part des AddF darin, die Narrative und Aspekte, die in der Ausstellung aus Sicht der Boheme und der Literatinnen beleuchtet werden, um eine weitere Perspektive zu ergänzen. Dabei können persönliche und personelle Überschneidungen zwischen den Akteurinnen in der Frauenbewegung und der Boheme aufgezeigt werden, wie sie zum Beispiel bei der Grenzgängerin Gabriele Reuter klar zu sehen sind. Außerdem wird schnell deutlich, dass die in der Ausstellung verhandelten Themen Unabhängigkeit – Bürgerliche Ehe / Freie Liebe – Freie Mutterschaft – Prostitution – §218 sowie Netzwerke mitten hinein in die Frauenbewegung führen.
Begegnung schaffen – Standpunkte zur Frauenfrage
Weder die Münchner Boheme noch die deutsche Frauenbewegung agierten im luftleeren Raum. Die Beschäftigung mit der Frauenbewegung zeigt unmittelbar, dass Ideen, politische Forderungen und Visionen zur Verbesserung von Frauenleben im Austausch, im Netzwerk mit Gleichgesinnten oder in der Abgrenzung zu Kritiker:innen entstanden. Das Reisen und transnationale Netzwerken bereicherte die Entwicklung einer künstlerischen und individuellen Position und Persönlichkeit von Frauen. Zudem beförderte es die Haltungen und gesellschaftliche Stärke der Frauenbewegung. Die Frage, wie Frauenleben zu verbessern seien, hat diese vielstimmig und breit, im Diskurs und im Streit beantwortet.
Die dahinterliegenden Fragen nach der Gestaltung der Geschlechterverhältnisse und der grundsätzlichen Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft stellten sich die Akteur:innen der Frauenbewegung teils schon selbst. Das belegt mitunter ein Blick in das Werk der Frauenrechtlerin Lily Braun „Die Frauenfrage. Ihre geschichtliche Entwicklung und wirtschaftliche Seite“ (1901). Und diese Frage ist bis heute aktuell. Warum können Frauen nicht frei leben, sondern sind stattdessen weltweit in Unterdrückungsverhältnissen gefangen? Die Suche nach der Genese des Patriarchats und geeigneter Gegenmittel ist – wie wir alle wissen – bis heute nicht abgeschlossen.
Die Aufgabe des AddF ist es zu dokumentieren und zu erforschen,
- was die deutschen Frauenbewegung seit 1848 beschäftigte,
- was sie antrieb,
- welchen Herausforderungen, Problemstellungen und Zielen sie sich verschrieben hatten
– und natürlich daraus abgeleitet: diese Erkenntnisse öffentlich zugänglich zu machen.
Was kann uns die Beschäftigung mit diesen Themen für die Gegenwartsgesellschaft bringen? Ich bin davon überzeugt, dass das Zitat von Gerda Lerner weiterhin gilt – und dass es für die Geschlechtergeschichteallgemein anwendbar ist:
Jede Frau ändert sich, wenn sie erkennt, dass sie eine Geschichte hat.[2]
Denn die heutige Form der partner:innenschaftlichen Elternschaft mit Anspruch auf ein Mindestmaß an finanzieller Absicherung, wie sie in Deutschland umgesetzt ist, ist nicht denkbar ohne
- einen gesetzlichen Schutz von Schwangeren,
- die freie Mutterschaft,
- die Anerkennung unehelicher Kinder und auch
- die Etablierung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten, wie sie bereits in der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts analysiert, formuliert, kontrovers debattiert, gefordert und erstritten wurden.
Frau sein heißt politisch sein
Frau sein heißt politisch sein. Unser ganzer Alltag ist von der ersten bis zur letzten Stunde Politik.
Dieses Zitat, das auf die Politikerin Marie Elisabeth Lüders zurückgeht, fasst sehr schön zusammen, dass der Alltag von Frauen und ihre Lebensrealitäten hochpolitisch sind, aber gerne ausgeblendet, unterschätzt und verlacht wurden und werden.
Die Beiträge des AddF werfen in den kommenden Monaten begleitend zur Ausstellung einen Blick zurück in die historischen Quellen der Frauenbewegung. Sie zeigen uns, wie sehr der Einfluss auf Kultur, Politik und Gesellschaft reglementiert war, aber auch wie viele Freiräume, Partizipationsmöglichkeiten und Vervielfältigung von Lebensentwürfen für Frauen entstanden sind seit Mitte des 19. Jahrhunderts.
Archiv der deutschen Frauenbewegung – AddF
Gottschalkstraße 57
34127 Kassel
info(at)addf-kassel.de
www.addf-kassel.de
Gastbeiträge des Addf bei uns im Blog:
- Dr. Kerstin Wolff, Prostitution um 1900 – Anna Pappritz und der Abolitionismus (24.11.2020)
- Mirjam Höfner, Dr. Dorothee von Velsen (1883-1970): #femaleheritage und #sichtbarmachen (12.01.2021)
- Dr. Kerstin Wolff, Kann ein Archiv ein autonomer Ort sein? #PopPunkPolitik (10.12.2022)
Was plant das Addf zur Ausstellung #FrauenDerBoheme?
Das Addf wird im Verlauf der Ausstellungsdauer von Frei leben! Die Frauen der Boheme 1890–1920 Essays und Blogartikel zu Frauenpersönlichkeiten der Frauenbewegung sowie Themenschwerpunkte im Social Web gemeinsam mit der Monacensia bringen.
Bisher geplante Essays des AddF sind:
- Gabriele Reuter (1859-1941) – Bestsellerautorin ihrer Zeit
- Ehe aus Sicht der bürgerlichen Frauenbewegung
- Finanzierungsstrategien der bürgerlichen Frauenbewegung
Die weiteren Blogposts und Themen ergänzen wir zu eurer Orientierung hier fortlaufend. Zum Hashtag #FrauenDerBoheme passiert einiges im Social Web – schaltet euch sehr gerne in die Gespräche ein! Auf der Social Wall zur Ausstellung könnt ihr die Beiträge komprimiert nachverfolgen.
* Die Artikel-Serie im Online-Magazin mon_boheme zu #FrauenDerBoheme verlängert die Ausstellung Frei leben! Die Frauen der Boheme 1890–1920 der Monacensia in den digitalen Raum hinein. Sie vertieft und ergänzt die Themen der damaligen Zeit um heutige literarische und wissenschaftliche Perspektiven.
[1]Pressemitteilung, Monacensia / Frei leben! Die Frauen der Bohme 1890–1920, S. 1.
[2]Die Historikerin Gerda Lerner hat die Standardwerke „Die Entstehung des Patriarchats“ (1986) und „Die Entstehung des feministischen Bewusstseins“ (1993) verfasst und gilt als Pionierin der US-amerikanischen Women‘s History.
SAVE THE DATE: 20. Juli ab 18 Uhr Blogger*innenWalk #FrauenDerBoheme
Am 20. Juli, ab 18 Uhr werden 20 Teilnehmende am Blogger*innenWalk #FrauenDerBoheme durch die Ausstellung von uns geführt, unser Archivar stellt ausgewählte Dokumente von Franziska zu Reventlow vor und Florian Kreier rundet den Abend mit einer Lyrik-Performance ab. Ihr könnt unter dem Hashtag #FrauenDerBoheme mitlesen. Schaut auch gerne auf die Social Wall zur Ausstellung, da fließen die Meldungen zum Thema von Twitter und Instagram ein, auch eure, wenn ihr mitmacht von daheim.
Habt ihr Fragen zur Ausstellung, dann stellt sie uns! Wir leiten diese an die Kuratorinnen weiter. Tauscht euch auch gerne mit den Teilnehmenden aus. Wer weiß, was diesen im Nachgang des BloggerWalks noch alles einfällt in ihren Blogs und auf ihren Social-Media-Kanälen – es lohnt sich definitiv, digital dabei zu sein!