Dominik Wendland spricht im Interview über den Comic als Schnittmenge vieler Medien, über die Gestaltung von Arbeitsprozessen und darüber, wie das Erwerbsportfolio von Comic-Kunstschaffenden aussehen kann. Zudem geht es um die Frage, ob sich der Comic für politische Themen besonders eignet – zehnte Folge der #AtelierMonaco-Szene der Monacensia.*
Dominik Wendland ist Comic-Künstler*in. 1991 im Nordschwarzwald geboren, studierte Wendland an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und zog nach dem Diplom in Illustration nach München. Hier gründete Wendland 2019 die Kunst- & Zine-Werkstatt ArtZi, unterrichtet seit 2020 an der Technischen Universität, war 2022 Teil des Gründungsteams von «Comic in Bayern» und ist seit 2024 Mitkurator*in und -moderator*in der Reihe «Comic Bar». Die Comics «Tüti», «EGOn» und das «Antidepri Tagebuch» von Dominik sind im Jaja Verlag erschienen und erhielten zahlreiche Preise. Für das aktuelle Projekt «Immer alles anders» wurde Wendland jüngst mit dem renommierten Berthold Leibinger Comicbuchpreis 2025 ausgezeichnet.
Dominik Wendland: Über den Traum einer Comic-Professur in Bayern, Kollaborationen mit anderen Kunstschaffenden und mehr Sichtbarkeit für den Comic
Wir haben uns in deinem Atelier im städtischen Atelierhaus in der Baumstraße zum Gespräch getroffen. Hier arbeiten vorwiegend bildende Künstler*innen, gleichzeitig wird der Comic häufig der Literatur zugerechnet. Ist seine Ansiedlung zwischen den Sparten für dich Fluch oder Segen?
Ich finde es super, mit vielen unterschiedlichen Medien connecten zu können. Der Comic bildet eine große Schnittmenge aus Bild, Text, Film, Fotografie, Grafikdesign, Typografie. Als Medium ist der Comic schwierig einzugrenzen, genau das sehe ich als Chance.

Kamst du vom Zeichnen oder Schreiben zum Comic?
Ich habe schon immer Comics gelesen und wie die meisten Kinder auch gern gezeichnet. Nur kam bei mir nie der Punkt, an dem ich damit wieder aufgehört hätte. Und ich habe Geschichten und Gedichte geschrieben, aber das nicht mit dem Zeichnen zusammengebracht. Den Erweckungsmoment hatte ich durch den amerikanischen Künstler James Kochalka, der ungefähr zwölf Jahre lang ein Online-Comictagebuch geführt hat. Davor war der Comic für mich ausschließlich mit Komik assoziiert, aber in Kochalkas Einträgen gab es auch Traurigkeit oder Langeweile. Das hat mir gezeigt, dass der Comic ein Medium ist, mit dem man alles erzählen kann.
Du hast dann selbst über sechs Jahre ein Online-Comictagebuch mit über 2000 Strips geführt.
Inspiriert von Kochalka fand ich das Tagebuchformat sehr sinnvoll, um mich jeden Tag mit etwas Kleinem im Handwerk zu üben. Bis irgendwann der Moment kam, in dem ich Sachen erzählen wollte, für die ich mehr Platz brauchte. Daraufhin habe ich mit dem Tagebuch aufgehört und mit längeren Geschichten begonnen. Daraus ist tatsächlich mein erstes Buch «Tüti» entstanden.
Und wie sieht dein Arbeitsprozess an einem Buch aus?
Ich mache meistens 20 bis 30 Seiten am Stück, bis es nicht mehr richtig fließt. Dann hänge ich die Seiten an die Wand und schaue immer mal wieder darauf. Es ist für mich sehr wichtig, die Sachen ein bisschen liegenzulassen, denn ich habe kein Skript, sondern am Anfang nur eine grobe Idee, wohin ich will. Wenn auf dem Weg Dinge passieren, mit denen ich vorher nicht gerechnet habe, wollen die im weiteren Verlauf der Geschichte auch berücksichtigt werden.
Überarbeitest du dann die vorherigen Teile?
Manchmal mache ich eine Seite neu. Aber ich will nicht zu sehr von dem Weg abweichen, den ich von Anfang an gesehen habe. Spannender ist es für mich, Kompromisse zu finden zwischen dem, was ich ursprünglich wollte, und dem, was neu hinzukommt.

Die Idee des Tagebuchs hast du in deinem 2022 erschienenen «AntidepriTagebuch» wieder aufgegriffen. Warum hast du dafür diese Form gewählt, nachdem deine beiden Bücher zuvor fiktive Geschichten waren?
Das war tatsächlich nicht so geplant. Als ich bei meiner Ärztin saß und sie mir Antidepressiva verschrieben hat, hat sie mir erklärt, dass sich während der ersten sechs bis acht Wochen Nebenwirkungen zeigen könnten, über die ich ihr dann berichten sollte. Und um mir das alles zu merken, habe ich angefangen, das für mich selbst zu notieren.
Und wie kam es zur Entscheidung, damit in die Öffentlichkeit zu gehen?
Irgendwann habe ich Freund*innen die Notizen gezeigt. Dadurch haben sich Gespräche eröffnet, in denen sie von eigenen Erfahrungen erzählt haben. Das hat mir geholfen, mich in dem Prozess weniger allein zu fühlen. Und es hat mich darin bestärkt, die Einträge auf Instagram zu stellen. Daraufhin sind fremde Leute auf mich zugekommen, haben sehr persönliche Sachen geteilt und sich dankbar gezeigt, weil sie sich gesehen gefühlt haben. Ich habe erkannt, dass es vielleicht gut ist, mit einer gewissen Öffentlichkeit darüber zu reden. Und auch wenn es natürlich sehr persönlich ist, dass man Antidepressiva nimmt, geht es in dem Comic selbst ja nur um die Medikamente und ihre Nebenwirkungen. Er ist wie ein subjektiver Beipackzettel.
Gibt es Themen, die dich in deiner Arbeit immer wieder beschäftigen?
Identitätsfragen und Selbstfindungsprozesse beschäftigen mich immer wieder. In meinem aktuellen Projekt «Immer alles anders» geht es um Fluidität und Genderfragen. Und «Tüti» dreht sich um die Frage, inwiefern eine Figur, die selbst nicht handelt und spricht, von außen bespielt werden kann. Das zweite Buch «EGOn» ist eine Sci-Fi-Geschichte, in der jemand eine Roboterkopie von sich selbst baut, um mit dieser Gespräche zu führen – rückblickend auch wie eine Art Therapie.
Du thematisierst in deinen Comics auch die – vor allem ökonomischen – Bedingungen des künstlerischen Schaffens.
Ich würde sagen, dass ich mich nicht nur spezifisch mit den Bedingungen für Künstler*innen beschäftige, sondern mit denen des Individuums im kapitalistischen System allgemein. Aber natürlich ist meine Perspektive darauf eine eher künstlerische oder freischaffende.

Ich habe den Eindruck, dass der Comic ein gutes Medium darstellt, um über politische Themen zu sprechen.
Vielleicht liegt das daran, dass der Markt für Comics extrem klein ist und deshalb ein bisschen freier von kapitalistischen Wirkkräften. Selbst wenn man – wie ich – behauptet, Comiczeichner*in zu sein, bedeutet das nicht, dass ich von den Comics leben könnte.
Womit wir bei meiner nächsten Frage nach deinem Erwerbsportfolio wären. Wie sieht das aus?
Mit Büchern und Lesungen verdiene ich keine zehn Prozent meines Einkommens. Auftragsarbeiten wie Comics oder Illustrationen für Bücher, Editorials etc. machen dreißig bis vierzig Prozent aus. Die andere Hälfte meines Einkommens verdiene ich mit meinem Lehrauftrag an der TU München und Workshops, die ich für Festivals oder Institutionen konzipiere oder selbst halte.
Macht dir die Lehre Spaß?
Ja, total. Leider habe ich die Studis immer nur für ein Semester. Wenn sie sich gerade warmgezeichnet haben, geht es schon wieder zur Tür raus. Ich würde sehr gern mal ein größeres Projekt betreuen. Aber vielleicht wird ja irgendwann irgendwo eine Professur für Comic frei. Es gibt Comic-Klassen an deutschen Kunsthochschulen in Berlin, Hamburg, Hannover, Kassel.
Oder du engagierst dich dafür, dass in München eine Professur für Comic geschaffen wird.
Das wäre toll! Bei «Comic in Bayern» ging es ja unter anderem auch darum, den wissenschaftlichen und universitären Wert von Comics darzustellen.

Stichwort: «Comic in Bayern». Du hast die Plattform der bayerischen Comicszene 2022 mit aufgebaut. Was war der Anlass für die Gründung?
Es ging um Vernetzung, weil es in Bayern keine Institution gibt, um die sich eine Szene ansiedeln könnte. Die Comiczeichner*innen in Bayern waren sehr versprengt und hatten kaum Kontakt zueinander. Es war uns auch wichtig, politisches Gehör zu finden, weil der Comic oft zwischen den Stühlen steht – vor allem, was Förderungen angeht. Außerdem war es ein Anliegen, eine wehrhafte Struktur zu schaffen, um sich nicht mit Bezahlungen unter dem Mindestlohn abspeisen lassen zu müssen. Und es ging darum, das Medium Comic generell sichtbarer zu machen.
Ein weiteres Projekt, für das du dich engagierst, ist die ArtZi-Werkstatt. Worum geht es da?
Amelie Lihl und ich haben die Werkstatt 2019 mit der Idee gegründet, das Comicfestival München zu erweitern, da dieses einen relativ kommerziellen Fokus hat und vor allem die großen Verlage einlädt. Deshalb haben wir auf dem Festival einen Raum mit unserer Werkstatt bespielt, zu der wir vor allem den Comic-Nachwuchs der deutschen Kunsthochschulen eingeladen haben. Die ersten Jahre haben wir die Werkstatt abwechselnd beim Comic Salon in Erlangen und eben in München gemacht. Aber da wir größtenteils ehrenamtlich arbeiten, konzentrieren wir uns jetzt ausschließlich auf München. Uns erscheint die Connection zwischen den großen Verlagen auf dem Comicfestival und der Indie-Szene als sehr sinnvoll.
Seit 2024 bist du Teil des Veranstaltungsteams der Comic Bar im HP8, die von Barbara Yelin gegründet wurde.
Genau. Barbara Yelin hat im letzten Frühjahr Lisa Frühbeis und mich eingeladen, die Reihe mit ihr zu kuratieren und zu moderieren. Wir laden drei bis vier Mal im Jahr eine*n Comic-Künstler*in zu einer halbstündigen Lesung und einem einstündigen Werkstattgespräch ein – über die eigene Arbeit, aber auch über das Arbeiten als Comic-Künstler*in insgesamt. Beim Comiczeichnen gibt es nämlich nicht den einen Weg. Deswegen ist es für uns selbst immer genauso spannend wie für das Publikum.
Ich habe das Gefühl, Comic-Künstler*innen kollaborieren häufiger – auch mit Kunstschaffenden aus anderen Sparten. Wie ist die Comicszene denn mit den anderen Kunstszenen in München vernetzt?
Da der Comic überall einen halben Fuß drin hat, bietet es sich total an, mit anderen zu kollaborieren. Amelie Lihl macht zum Beispiel eine tolle Lesung zusammen mit dem Musiker Giovanni Raabe. Und ich habe zusammen mit Raphaela Bardutzky, die sonst vor allem Theatertexte schreibt, einen Comic gemacht. Da im Gegensatz zu Leipzig die Münchner Comicszene sehr klein ist und es keine zentrale Institution gibt, an die man sich hängen oder an der man sich reiben könnte, entsteht eine Art Leerstelle. Vielleicht lädt diese gerade dazu ein, medial übergreifende Kollaborationen einzugehen.

*AtelierMonaco-Szene
Die Reihe «Atelier Monaco-Szene» erscheint alle zwei Monate im Blog der Münchner Stadtbibliothek. In der ersten Staffel spricht Katrin Diehl (1–6), in der zweiten Christina Madenach (ab Folge 7) mit Autor*innen über ihre literarischen Tätigkeiten, Netzwerke, eigene Verlage und literarische Lesereihen in München – es entsteht eine Kartografie der «Atelier Monaco-Szene» in der Stadt.
- Malva Scherer: Über Songtexte, Musikvideos, Fotos und die Münchner Musik- und Literaturszene (4.12.2024) – 9
- Daniel Graziadei: Über Lyrik und Performance, Schreibwerkstätten und die Münchner Literaturszene (8.10.2024) – 8
- Fabienne Imlinger: Über subversive Prozesse, Empowerment und eine freie Literaturszene in München (26.6.2024) – 7
- Theresa Seraphin: Experimentelles Schreiben und das richtige Maß an Ablenkung (25.4.2024) – 6
- Lisa Jeschke über Lyrik, Performance und politisches Schreiben (7.2.2024) – 5
- Jan Geiger über erste Schreibversuche, Schreiben als Beruf und Theatertexte (1.12.2023) – 4
- Annegret Liepold über die „Bayerische Akademie des Schreibens“, Schreibprozesse und „Franka“ (26.10.2023) – 3
- Christina Madenach über Schreibroutinen, Romanwerkstatt und die freie Literaturszene Münchens (9.8.2023) – 2
- Tristan Marquardt über Lyrik, literarische Netzwerke und Lesereihen in München (14.6.2023) – 1