90 Jahre Bücherverbrennung – Reaktionen 1933 in München und vergessene Autorinnen wiederentdeckt | #FemaleHeritage

Eine Auswahl der Original-Zeitungen aus dem Jahr 1933, die in der Monacensia Bibliothek verwahrt werden. Foto: Silvia Klein. Bücherverbrennung

Wie verlief die Bücherverbrennung in München? Wie fiel die Reaktion von Münchner Bürger*innen und der Presse aus? Und wie hat die Verbrennung ihrer Werke die Autorinnen beeinflusst, die in der Diskussion um die Ereignisse oft übersehen werden?

Eine Auswahl der Original-Zeitungen aus dem Jahr 1933, die in der Monacensia Bibliothek verwahrt werden. Foto: Silvia Klein. Bücherverbrennung
Eine Auswahl der Original-Zeitungen aus dem Jahr 1933, die in der Monacensia Bibliothek verwahrt werden. Foto: Silvia Klein. Bücherverbrennung

Hintergründe zur Bücherverbrennung von 1933

Fackelzug zum Königsplatz

Organisiert wurde die sogenannte Aktion wider den deutschen Geist von Studierendenverbänden. Bereits am 6. Mai 1933 wurde sie auf der „Feier der nationalen Revolution“ angekündigt. Am 10. Mai erfolgte dann die Übergabe des neuen Studentenrechts in der Universität München. Vermutlich zeitgleich fand eine Kundgebung an der Technischen Hochschule statt.[i]

Nach dem Festakt schloss sich ein Fackelzug zum bereits errichteten Scheiterhaufen auf dem Königsplatz an.[ii] Dort versammelten sich zwischen 50.000 und 70.000 Menschen.[iii]

Notiz zum Fackelzug der Studierenden in ‚Das Bayerische Vaterland‘ vom 11.05.1933, S. 22 (Signatur: D Mon 7/66 ). Foto: Dorothee Zaismann. Bücherverbrennung.
Notiz zum Fackelzug der Studierenden in ‚Das Bayerische Vaterland‘ vom 11.05.1933, S. 22 (Signatur: D Mon 7/66 ). Foto: Dorothee Zaismann. Bücherverbrennung.

Werner Treß hält fest: 

Nur an wenigen deutschen Universitäten zeigte sich die bedingungslose Hingabe der Wissenschaften an ihre politische Gleichschaltung mit einer solchen Rasanz und vor allem mit einer derartigen Offenheit wie an der Universität München.[iv]

Am Tag zuvor ging ein Rundbrief der Deutschen Studentenschaft aus Berlin an die Einzelstudentenschaften. Er enthielt eine Liste von Büchern, die verbrannt werden sollten, und die Gründe dafür. Keine der Listen erhob Anspruch auf Vollständigkeit, sodass bis heute nicht eindeutig geklärt ist, welche Bücher genau verbannt wurden.[v]

Nach dem 10. Mai fanden sogenannte Säuberungen in Bibliotheken statt und schwarze Listen mit verbotenen Autor*innen wurden erstellt.[vi]

Das Ende der Pressefreiheit

Die Bevölkerung beteiligte sich bereitwillig an der Bücherverbrennung. Doch gab es auch kritische Reaktionen? Was schrieb die Münchner Presse? Dazu habe ich mit meiner Kollegin Dorothee Zaismann aus der Bibliothek der Monacensia zahlreiche Zeitungen vom Mai 1933 ausgewertet. 

Schon vor 1933 war ein Großteil der Publikationen konservativ und kritisch gegenüber der Weimarer Republik eingestellt. Anfang 1933 gehörten 2,5 Prozent der deutschen Zeitungen zur Parteipresse der NSDAP. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren es 80 Prozent. 

Die Presse war ein zentraler Bestandteil des Propagandasystems der Nationalsozialisten. Schon im Februar 1933 verboten sie 250 kommunistische und sozialistische Zeitungen, Journalist*innen, die nicht auf Parteilinie lagen, wurden diffamiert und verfolgt, während bis dahin neutrale Verlage systematisch in das Pressesystem der NSDAP eingegliedert wurden. 

Zum Zeitpunkt der Bücherverbrennung war die deutsche Presselandschaft vollständig gleichgeschaltet.[vii]

Münchner Stimmen

Manche Zeitungen erwähnen die Bücherverbrennung überhaupt nicht. Am ehesten findet man kurze Berichte, wie im Bayerischen Vaterland. Die Aktion wird einige Tage vorher angekündigt und danach wird beschrieben, was passiert war. (Beispiel: Die Sonntagmorgenpost). Sie lesen sich oft wie ein reiner Abdruck von Pressemitteilungen.

Ein Blick in die München-Augsburger Abendzeitung vom 11. Mai 1933, S.9 (Signatur: D Mon 6/1933,2). Foto: Silvia Klein
Ein Blick in die München-Augsburger Abendzeitung vom 11. Mai 1933, S.9 (Signatur: D Mon 6/1933,2). Foto: Silvia Klein

Kurz vor der Bücherverbrennung fand der „Tag der deutschen Jugend“ statt. Die Jugend als „Zukunft des deutschen Volkes“ spielte in der NS-Propaganda eine besondere Rolle. So finden sich Berichte über Bücherverbrennung, die organisiert wurden von Studierenden, auch in diesem Zusammenhang. 

Wir stoßen auf Zeitungen, die ausführlich die Bücherverbrennung huldigen. Darunter auch der Völkische Beobachter, der 1920 in München von der NSDAP aufgekauft wurde und ab 1933 zu einem der wichtigsten Presseorgane avancierte.[viii]

Ganze acht Artikel werden zwischen dem 05. und dem 12. Mai über die Bücherverbrennung veröffentlicht. Sie tragen Überschriften wie

  • „Am Anfang einer neuen Epoche. Das Gelöbnis der Studenten auf dem nächtlichen Königsplatz“[ix] oder 
  • „Rauchsäulen finden den Flammentod der Zersetzungspest“[x].

Am 09. Mai findet sich ein Kommentar, der darauf hinweist, dass Bücherverbrennungen eine historische Tradition hätten – und legitim wären.[xi]

Kritische Stimmen kommen aus dem Ausland. In der deutschen Presse sucht man sie vergeblich. Auch Leserbriefe haben wir kaum gefunden. Auffällig ist: In den Zeitungen von 1933 wird nichts verschleiert. Der Zweck der Bücherverbrennung wird klar benannt: 

  • Die Vernichtung alles „Undeutschen“, 
  • ein Auftakt und ein erster symbolischer Schritt, aber keineswegs der letzte.
Die Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-14597 via WikiCommons
Die Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-14597 via WikiCommons

Vergessene Autorinnen wiederentdeckt

In den Presseartikeln werden kaum die Namen der Schriftsteller*innen genannt, deren Bücher ins Feuer geworfen werden. Einige davon, wie Karl Marx, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, kennen wir natürlich. Wer auch heute kaum genannt wird, sind die Autorinnen, die auf schwarzen Listen landeten, ins Exil gingen und von denen viele heute vergessen sind. Von den 300 Autor*innen, die in der Bibliothek der verbrannten Bücher, verzeichnet sind, sind 63 weiblich. Sie existieren und es lohnt sich, sie näher zu betrachten. 

Anhand einer Liste der „wichtigsten Autorinnen und Autoren“ aus der Bibliothek der verbrannten Bücher, die in der Universitätsbibliothek Augsburg aufbewahrt wird, habe ich mich auf die Suche nach Münchner Autorinnen gemacht. Vielleicht habt ihr von ihnen schon an anderer Stelle auf unserem Blog gelesen. Es sind Annette KolbElisabeth Castonier und Erika Mann.

Annette Kolb (1870–1967)

Annette Kolb vertritt bereits während des Ersten Weltkriegs pazifistische Positionen. Sie geht ins Exil und kehrt 1919 nach Deutschland zurück.[xii] Nach der Machtergreifung schreibt sie in ihrem Beschwerdebuch gegen Antisemitismus und Nationalismus.[xiii] 1933 muss sie erneut fliehen, zunächst nach Paris, später nach New York. Erst 1961 kehrt sie nach München zurück.[xiv]

Auch wenn Annette Kolb zu Lebzeiten für ihre Schriften geehrt wird, zeigt ihre Biografie mit den mehrfachen Fluchterfahrungen, wie gefährlich Protest im Deutschland des 20. Jahrhunderts war.

Annette Kolb, Quelle: Münchner Stadtbibliothek/Monacensia
Annette Kolb, Quelle: Münchner Stadtbibliothek/Monacensia

Lesetipp:

Elisabeth Castonier (1894–1975)

Elisabeth Castonier kommt als junge Frau zum ersten Mal nach München.[xv] Sie erlebt die Bücherverbrennung in Berlin und beschreibt das mulmige Gefühl, das sie dabei überkommt. Dass auch ihre Bücher darunter waren und sie nun zu den „verbotenen Autoren“ gehört, erfährt sie erst später. Immer wieder schreibt sie satirisch gegen den Nationalsozialismus, außerdem gilt sie laut den Nazis als „Vierteljüdin“.[xvi]

Castonier flieht nach England, wo sie jahrzehntelang im Exil lebt, erst im Alter kehrt sie nach München zurück.[xvii]Kurz vor ihrer Flucht hatte Castonier ihren größten Erfolg. Das Exil stellte eine Zäsur dar. Viele ihrer Schriften sind heute verstreut und schwer auffindbar. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs steht sie Deutschland kritisch gegenüber. So bemängelt sie die unvollständige Entnazifizierung.[xviii]

Ein Teil von Elisabeth Castoniers Werk kann gerade in der Münchner Stadtbibliothek in Bogenhausen entdeckt werden. Foto: Dorothee Zaismann. #Femaleheritage
Ein Teil von Elisabeth Castoniers Werk kann gerade in der Münchner Stadtbibliothek in Bogenhausen entdeckt werden. Foto: Dorothee Zaismann. #Femaleheritage

Lesetipp:

Erika Mann (1905–1969)

Erika Mann war eine hochpolitische Publizistin und Kabarettistin. Am 1. Januar 1933 gründet sie das Kabarett „Pfeffermühle“ und spricht sich gegen Hitler und den Nationalsozialismus aus. Unmittelbar nach der Machtergreifung geht die Familie Mann ins Exil, Erika Mann tourt mit ihrem Kabarett noch einige Jahre durch Europa, bis sie sich 1936 in den USA niederlässt. 

Im Exil schreibt sie politische Bücher und ist Kriegsreporterin für die BBC. Nach dem Krieg zieht sie 1952 mit ihren Eltern in die Schweiz, wo sie sich verstärkt dem Werk ihres Vaters widmet.[xix]

Trotz ihres bedeutenden Vermächtnisses ist Erika Mann heute mehr als Tochter des berühmten Thomas Mann bekannt und weniger für ihr eigenes politisches und literarisches Wirken. Unsere vergangene Sonderausstellung „Erika Mann. Kabarettistin – Kriegsreporterin – Politische Sprecherin“ rückte sie als politische Stimme der Familie Mann in den Mittelpunkt. Sie ist noch online auf der Website von Künste im Exil zu sehen, außerdem gibt es zahlreiche, vertiefende Blogbeiträge zu Erika Mann – unser Lesetipp für euch. 

Erika Mann gründete mit anderen das politische Kabarett "Die Pfeffermühle". Erika Mann als Harlekin, Ausstellung, Monacensia
Erika Mann gründete mit anderen das politische Kabarett „Die Pfeffermühle“.

Was nun? 

Auch wenn es zweifellos ein Privileg war, an einem sicheren Ort weiterleben und schreiben zu können, hinterließ das Exil Spuren im Leben der Autorinnen. Nicht selten mussten Frauen im Exil auch einen größeren Karriereknick hinnehmen als ihre männlichen Kollegen.

Anlässlich des 90. Jahrestages widmen sich auch die Münchner Stadtbibliotheken den Werken der Autorinnen, die 1933 verbrannt wurden. Ab dem 2. Mai gibt es an verschiedenen Standorten Leseecken, in denen die Bücher entdeckt werden können. In der Stadtbibliothek Bogenhausen findet man etwa die Werke von Elisabeth Castonier, in Neuaubing die von Annette Kolb und in Fürstenried die von Erika Mann. 

Wer weiß, vielleicht findet ihr in den Werken der vergessenen Autorinnen ein neues Lieblingsbuch.

Autorin: Silvia Klein, Redaktionelle Assistenz, unter Mitarbeit von Dorothee Zaismann, Monacensia.


[i] Vgl. Sauter, Gerhard (Hrsg.): Die Bücherverbrennung. Zum 10. Mai 1933. München/Wien: Carl Hanser Verlag 1983, S. 106.
[ii] Vgl. Treß, S. 183.
[iii] Vgl. ebd., S. 182.
[iv] Ebd, S. 175 f.
[v] Vgl. Sauter, S. 78.
[vi] Vgl. ebd., S. 120 f., S. 131 ff.
[vii] Vgl. Presse in der Zeit des Nationalsozialismus. Eine digitale Ausstellung der Deutschen Digitalen Bibliothek, https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/ns-presse/# [zuletzt aufgerufen am 14.04.23].
[viii] Vgl. ebd.
[ix] Signatur: D Mon 12, 12. 05. 1933, Münchner Beobachter: S. 1.
[x] Signatur: D Mon 12, 12.05.1933, S. 3.
[xi] Vgl. D Mon 12, 09.05.1933, Münchner Beobachter, S. 3.
[xii] Vgl. Literaturportal Bayern: Annette Kolb, https://www.literaturportal-bayern.de/autorinnen-autoren?task=lpbauthor.default&pnd=118713698 [zuletzt aufgerufen am 27.04.23].
[xiii] Vgl. BR.de: Annette Kolb. Brückenschlagen zwischen den „Erbfeinden“, https://www.br.de/themen/kultur/inhalt/literatur/bayerische-schriftsteller-kolb100.html [zuletzt aufgerufen am 27.04.23].
[xiv] Vgl. Literaturportal Bayern: Annette Kolb.
[xv] Vgl. Bielinski, Brigitte: Elisabeth Castonier – Schriftstellerin, Landarbeiterin, Kosmopolitin, Blog der Münchner Stadtbibliothek, 04.01.2021, https://mon-mag.de/elisabeth-castonier-schriftstellerin-femaleheritage/ [zuletzt aufgerufen am 27.04.23].
[xvi] Vgl. Nithammer, Doris: Elisabeth Castonier – Journalistin und Schriftstellerin – Teil 2, Blog der Münchner Stadtbibliothek, 04.08.22, https://mon-mag.de/elisabeth-castonier-journalistin-und-schriftstellerin-femaleheritage/, zuletzt aufgerufen am [27.04.23].
[xvii] Vgl. Bielinski 2021.
[xviii] Vgl. Nithammer 2022.
[xix] Vgl. Literaturportal Bayern: Erika Mann, https://www.literaturportal-bayern.de/autorinnen-autoren?task=lpbauthor.default&pnd=118747436 [zuletzt aufgerufen am 27.04.23].

Autor*innen-Info

Profilbild Silvia Klein

Dies ist ein Gastbeitrag von Silvia Klein

Silvia Klein, geboren 1998, studiert Verlagspraxis, lebt zwischen München und Bayreuth und findet die Welt oft ziemlich ungerecht. Darüber schreibt sie, auf Instagram, in Texten, die zum Beispiel im Dishwasher-Magazin veröffentlicht werden, und in ihrem Roman „Nachts sind alle Gedanken grau“. Außerdem ist sie in der Anti-Klassismus-Arbeit aktiv. 

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