Wer war Stefanie Zweig? Wie prägte das kenianische Exil ihre Schriften, nachdem sie und ihre Familie 1947 nach Deutschland zurückkehrten? Ein Beitrag zur Blogparade #femaleheritage.
“Mut ist im Leben viel wichtiger als Schokolade“[1]
Stefanie Zweig
Die Autorin Stefanie Zweig im Deutschen Exilarchiv
Begibt man sich in den Beständen des Deutschen Exilarchivs 1933─1945 auf die Suche nach weiblichen Biografien, begegnen einem zahlreiche beeindruckende Frauen, zu denen auch Spuren in der Stadt Frankfurt am Main führen. Eine von ihnen ist die spätere Bestsellerautorin Stefanie Zweig.
Ihr Erstlingswerk ist ein schmales, querformatiges Heftchen, mit Wollfaden grob gebunden. Eine Schiffszeichnung unterstreicht die Ortsveränderung, die der Titel anzeigt: „From Mombasa to Leobschütz“. In Leobschütz, Oberschlesien (heute Głubczyce, Polen) wurde Stefanie Zweig am 19. September 1932 geboren. Nicht für sie, wohl aber für ihren Vater war diese Stadt zeitlebens ein Sehnsuchtsort. Deutlich ist das schmale Bändchen als Erinnerungswerk gekennzeichnet: „Weißt du noch?“ fragt die Verfasserin auf dem Umschlag. Der 54. Geburtstag ihres Vaters im September 1958 war für Stefanie Zweig Anlass, zum ersten Mal Erinnerungen an das kenianische Exil der Familie Zweig niederzuschreiben.
Es sollten mehr als zwanzig Buchveröffentlichungen folgen, darunter etliche Bestseller, in viele Sprachen übersetzt. Die Verfilmung ihres autobiografischen Romans „Nirgendwo in Afrika“ durch Caroline Link wurde 2003 mit einem Oscar als bester ausländischer Film ausgezeichnet. 1958 war all das noch nicht abzusehen.
Leben im kenianischen Exil
Im Juni 1938 war die 5-jährige Stefanie Zweig mit ihrer Mutter Lotte nach Kenia emigriert. Ihr Vater, der Notar und Rechtsanwalt Walter Zweig, arbeitete dort seit Anfang 1938 als Farmverwalter. Im nationalsozialistischen Deutschland war er im September 1937 seinen Ämtern enthoben worden.
Die Farm, auf der wir alle drei leben werden, wird Dir bestimmt gefallen. Es sind nämlich sehr viele Kinder hier. Du mußt nur ihre Sprache lernen, ehe du mit ihnen spielen kannst. […] Aber eins mußt du wissen: Er werden nur Kinder nach Afrika hereingelassen, die keine Angst vor Hunden haben. Üb also, tapfer zu sein. Mut ist im Leben viel wichtiger als Schokolade“, zitiert die Autorin ihren Vater in „Nirgendwo in Afrika“.[1]
Stefanie Zweig, 1995
Stefanie Zweig lebte im ersten Jahr ihres kenianischen Exils mit den Eltern auf der Farm, etwa 200 km nördlich von Nairobi. Was den Erwachsenen nicht gelang, fiel ihr leicht. Sie war fasziniert vom Leben in Kenia, fasste es als Abenteuer auf und erlernte rasch Suaheli: „Als wir nach Kenia kamen, musste ich Suaheli lernen, sonst hätte ich ja mit keinem auf der Farm sprechen können. Das ging aber sehr schnell“, erinnerte sie sich in einem Interview.[2]
Nach der Einführung der Schulpflicht verbrachte Stefanie Zweig die überwiegende Zeit in einem Internat, das Englische musste nun zu ihrer Alltagssprache werden. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs brachte erneut Veränderungen, die Familie wurde getrennt. Walter Zweig wurde zunächst interniert, 1942 trat er der East African Army bei. Nach Kriegsende erreichten die Nachrichten über das, was sich im nationalsozialistischen Machtbereich zugetragen hatte, auch die Familie Zweig. Sie erfuhren von der Ermordung ihrer Familienangehörigen.
Laufbahn als Schriftstellerin in Deutschland
1947 kehrte die inzwischen vierköpfige Familie Zweig, 1946 war Stefanies Bruder in Kenia geboren worden, dennoch nach Deutschland zurück. „Nicht nur aus romantischen Gründen“, wie Stefanie Zweig berichtete, „dafür hat uns Deutschland zu viele Wunden geschlagen. […] Hier […] konnte [mein Vater] in seinem ursprünglichen Beruf arbeiten“.[3] Walter Zweig trat am 1. Juli 1947 seinen Dienst als Hilfsrichter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main an.
Für die 15-jährige Stefanie Zweig bedeutete die Rückkehr nach Deutschland einen erneuten Sprachwechsel und das Zurechtfinden in einem ihr gänzlich fremden kulturellen Umfeld. „Ich verliere mein Land, meine Freunde, meine Kraft und mein Herz. Ich verliere aber nicht die Bilder, die in meinem Kopf sind“, schreibt sie in ihrem Erinnerungsbuch „Nirgendwo war Heimat“.[4] Dass ihr der Sprachwechsel erfolgreich gelang, belegt nicht zuletzt ihre Berufswahl. Sie wurde Journalistin, zunächst bei der Jüdischen Allgemeine in Düsseldorf, später bei der Frankfurter Abendpost und der Abendpost-Nachtausgabe, wo sie als Feuilletonleiterin tätig war.
Erst nachdem die Abendpost-Nachtausgabe das Erscheinen eingestellt hatte, begann Stefanie Zweig ihre Laufbahn als Schriftstellerin. Mit ihrem autobiografischen Roman „Nirgendwo in Afrika“ gelang ihr 1995 der Durchbruch. Es folgten zahlreiche weitere Werke, etwa die vierbändige „Rothschildsaga“ über eine Familie in der Frankfurter Rothschildallee, mit der Stefanie Zweig dem jüdischen Bürgertum Frankfurts ein Denkmal setzte.
Als letztes Werk erschien 2012 ihr Erinnerungsbuch „Nirgendwo war Heimat“, in dem sie die Geschichte ihrer Familie in Briefen erzählt. Eine ungewöhnliche Wahl, zumal die Autorin aus ihrem Gedächtnis zitieren musste, denn materiell überliefert sind die meisten dieser Briefe nicht.
Es sind […] Briefe […], die ich sehr genau im Gedächtnis habe. Die Briefe spielten in meinem Leben eine sehr, sehr große Rolle. Im Leben meiner ganzen Generation wurden natürlich sehr viel mehr Briefe geschrieben, aber wir, die wir auf einer Farm lebten – [für uns] waren Briefe die einzige Verbindung zum Leben. Und später, ich musste ja mit sieben Jahren in ein Internat, die Schule war viel zu weit weg von der Farm, auf der wir lebten, und da waren die Briefe meiner Mutter und meines Vaters – das war wirklich ein Stück Heimat. […] Natürlich waren die Briefe dann auch [die Verbindung zu] den Verwandten, die in Deutschland geblieben waren, bis zu dem Moment, wo sie deportiert wurden. Und auch zu den Bekannten, die in andere Länder emigriert waren, waren […] die Briefe die Verbindung. Es kamen ja damals Briefe aus aller Welt zu uns nach Kenia, und die hat man so oft gelesen, […] sie waren sehr wichtig.[5]
Stefanie Zweig, 2012
Der Nachlass Stefanie Zweigs im Deutschen Exilarchiv
Im Gegensatz zu den Familienbriefen haben sich andere Erinnerungsstücke erhalten. Nach dem Tod von Stefanie Zweig am 25. April 2014 in Frankfurt am Main hatte damit zunächst niemand gerechnet. Die Familie glaubte, dass materielle Familienerinnerungen durch die Emigration verloren seien und staunte umso mehr, dass sich im Verborgenen wichtige Erinnerungsstücke erhalten hatten. In einem Interview, das der hr 2018 für einen Beitrag über das Deutsche Exilarchiv mit Walter Zweig, dem Neffen Stefanie Zweigs, führte, berichtet dieser über die unerwarteten Entdeckungen in der Wohnung seiner Tante: https://www.hr-inforadio.de/podcast/wissen/das-deutsche-exilarchiv-in-frankfurt,podcast-episode-30222.html
Stefanie Zweig, die sich schreibend intensiv mit dem Exil in Kenia auseinandergesetzt hat, hatte sich in ihrer Wohnung in der Frankfurter Rothschildallee 9, wohin sie mit ihren Eltern bereits kurz nach der Rückkehr nach Deutschland gezogen war, einen Bereich eingerichtet, der ganz der Erinnerung an ihr kenianisches Exil gewidmet war. Dort bewahrte sie beispielsweise Holzfiguren auf, die sie aus dem Exil mitgebracht hatte. Auch Mützenbänder von den Schiffspassagen nach Kenia erinnerten sie an die Zeit des Exils.
Daneben fanden sich Lebensdokumente, auch der Eltern Lotte und Walter Zweig, und Alben mit Familienfotos. Sie dokumentieren eindrucksvoll die durch Emigration und Rückkehr entstandenen Brüche im Leben Stefanie Zweigs und ihrer Familie.
Wie stark der durch die Remigration hervorgerufene Bruch war, dokumentieren etwa zwei erhalten gebliebene Zeugnisse Stefanie Zweigs. Während ihr die Kenya High School, Nairobi, 1947 bescheinigt, intelligent, fleißig und für ein späteres Studium geeignet zu sein, weist das Zeugnis der Frankfurter Herderschule von 1951 sie als mittelmäßige Schülerin aus, deren Sprachbegabung allerdings schon sichtbar wird: Das einzige „Sehr gut“ hat sie in Englisch erhalten, die einzigen „Gut“ in Deutsch und Französisch. Erhalten geblieben ist auch Stefanie Zweigs „Sonderausweis, für Personen, die während des Nazi-Regimes aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in Haft waren“. An der Stelle, an der die Dauer der Inhaftierung im Dokument einzutragen ist, weist der Sonderausweis handschriftliche Änderungen auf. Statt der Dauer der Inhaftierung ist dort die Dauer des Exils angegeben: „9 Jahre in der Emigration in Afrika“. Für die erzwungene Emigration gab es offenbar im frühen Nachkriegsdeutschland keine Vordrucke.
Die Familie von Stefanie Zweig übergibt seit 2016 Teile des Nachlasses an das Deutsche Exilarchiv. Exponate aus diesem Bestand sind seit 2018 in der Dauerausstellung des Deutschen Exilarchivs „Exil. Erfahrung und Zeugnis“ zu sehen. Hier ist die Lebensgeschichte von Stefanie Zweig eine von acht Biografien, die ausführlich erzählt werden. Und auch in der begleitenden virtuellen Ausstellung wird Stefanie Zweig vorgestellt: https://exilarchiv.dnb.de/DEA/Web/DE/Navigation/MenschenImExil/zweig-stefanie/zweig-stefanie.html
Im Interview mit dem hr führt Stefanie Zweigs Neffe Walter Zweig aus, dass er sich nach anfänglichem Zögern ganz bewusst entschieden habe, den Nachlass seiner Tante ans Deutsche Exilarchiv zu geben, um ihn dort zu konservieren und den Menschen zugänglich zu machen.
Als Gedächtnisinstitution gehört es zu den Aufgaben unseres Archivs, Erinnerungen nicht nur zu bewahren, sondern auch wach zu halten – etwa durch Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen oder durch Blogbeiträge wie diesen.
An dem Haus in der Rothschildallee 9 in Frankfurt am Main gehe ich nun anders vorbei – nie, ohne dabei an Stefanie Zweig zu denken und oft fällt mir dabei ein: „Mut ist im Leben wichtiger als Schokolade“ – sehr wahr.
Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek
DNB FRANKFURT
Adickesallee 1
60322 Frankfurt am Main
Lest auch gerne den ersten Gastbeitrag von Dr. Sylvia Asmus und Theresia Biehl bei uns im Blog:
[1] Stefanie Zweig: Nirgendwo in Afrika. Autobiografischer Roman. München, 1995, S. 20.
[2] Stefanie Zweig im Gespräch mit Birgit Spielmann, hr2, Das aktuelle Kulturgespräch, 19. September 2012.
[3] Ebd.
[4] Stefanie Zweig Nirgendwo war Heimat. Mein Leben auf zwei Kontinenten. München, 2012, S. 296.
[5] Stefanie Zweig im Gespräch mit Birgit Spielmann, hr2, Das aktuelle Kulturgespräch, 19. September 2012.