Ada Otto, eine mysteriöse Frau, Rennfahrerin und Typus der Neuen Frau – wer war sie wirklich? Birgit Donhauser begibt sich auf eine besondere Spurensuche in ihrem Münchner Stadtteil Neuhausen. Ein Beitrag zur Blogparade #femaleheritage.
Am Anfang stand da nur: Ada Otto, Rennfahrerin.
Bei meiner Suche nach einer Frauenfigur, die mit dem Münchner Stadtteil Neuhausen – in dem ich arbeite – verbunden ist, fielen vom Leiter der Neuhauser Geschichtswerkstatt Franz Schröther große Namen wie Lena Christ (Schriftstellerin), Rosa Aschenbrenner (Politikerin) und Hermine von Parish (Gründerin der Kostümbibliothek). Neben diesen bekannten Persönlichkeiten war aber eben auch der Name Ada Otto, Rennfahrerin. Sie war auf dem Titelblatt der Neuhauser Werkstatt-Nachrichten Heft Nr. 36 abgebildet: eine junge Frau mit einem weißen Hund auf dem Arm, die selbstbewusst vor einem Automobil steht und in die Kamera lächelt.
Ein Name und ein Bild reichten also, um mich anzuspornen, mehr über diese Frau herauszufinden. Denn weder im Internet noch in Bibliothekskatalogen gab es bei einer ersten Recherche viele Hinweise auf sie.
Ada Otto – Leben und Wirken
Ada wurde am 3. Februar 1892 in Leipzig als Marie Antoinette und Tochter von Franz und Maria Wagner geboren. Unklar ist, warum auf der Hauptliste für den Inreichs-Ausländer ihre Eltern mit „Wagner“ aufgeführt sind, während sie – auch später – immer eine geborene Haugg genannt wird, die Tochter des Stabsarztes Dr. Haugg[1]. Sie hatte einen Bruder, den „bekannten Sportmann und früheren Rittmeister Haugg“[2]. Eine Klärung erhoffe ich mir hier vom Stadtarchiv Leipzig, die Anfrage ist noch in Bearbeitung. Weiteres über Adas Familie, Kindheit und Jugend oder wie sie schließlich nach München gelangte, liegt im Dunkeln.
Erst 1912 treten wieder Spuren von ihr zu Tage; mit 20 Jahren heiratete sie Gustav Otto, der mit Ada einen aufsehenerregenden Hochzeitsflug von München nach Freising und zurück unternahm. Gut inszeniert sorgte dieser für großes Aufsehen:
Gustav Otto, der Besitzer der bekannten Flugmaschinenwerke unternahm gestern kurz nach der Trauung mit seiner Frau, einer Tochter des Stabsarztes Dr. Haugg, von Oberwiesenfeld aus im Aeroplan einen Hochzeitsflug. Er landete nach herrlicher Fahrt wieder glücklich auf Oberwiesenfeld. Hier nahm das junge Paar die Glückwünsche seiner Freunde entgegen.[3]
Adas Name wird nicht einmal erwähnt, sie ist Tochter und jetzt Ehefrau – dieses Schicksal teilte sie mit vielen Frauen der damaligen Zeit.
Ada Ottos Gatte: Gustav Otto – Pionier der deutschen Luftfahrtindustrie
Der Ehemann von Ada Otto Gustav war und ist bis heute bei weitem kein Unbekannter, sondern Sohn von Dr. Nikolaus August Otto, dem Erfinder des Viertakt-Verbrennungsmotors und seiner Frau Emilie. Gustav Otto wurde am 12. Januar 1883 als jüngstes von sechs Kindern in Köln-Mühlheim geboren und studierte Maschinenbau – wohl ohne Studienabschluss. „Im Jahr 1906 zog er, von seiner Mutter mit einem ansehnlichen Vermögen ausgestattet, nach München.“[4] Er brachte sich selbst das Fliegen bei und hat im Oktober 1910 sein Flugzeugführer-Zeugnis erworben – als 34. deutscher Pilot überhaupt.
Gustav war extrem umtriebig – „nicht immer mit Glück, aber mit stetiger Rührigkeit“[5], er gründete die „Bayer. Auto-Garage GmbH“, die „Akademie für Aviatik“ und den „Aeroplanbau Otto & Alberti/Gustav Otto Flugmaschinenwerke“. Durch seine Herkunft und sein Wirken verkehrten er und seine Frau Ada in der upper class. Im Jahr 1916 „ging aus seinem Betrieb die ‚Bayer. Flugzeugwerke AG‘ unter Führung von Anton v. Rieppel hervor, aus der 1917 die ‚Bayer. Motorwerke GmbH‘ (BMW) entstanden. Das BMW-Signet, ein zum Propeller stilisiertes bayer. Rautenwappen, verweist noch heute auf die Anfänge des Unternehmens im Flugzeugbau.“[6]
Gustav Otto zählt also bis heute zu den Pionieren der deutschen Luftfahrtindustrie, er ist eng mit der BMW-Geschichte verbunden und hat zahlreiche Spuren hinterlassen. In den Texten über Gustav Otto ist Ada jedoch immer eine Randfigur: „Verheiratet mit Ada, die selbst als Fahrerin von Wagen und Motorrädern an Sportveranstaltungen erfolgreich teilnahm.“[7]
Wer war Ada Otto?
In einem Nachruf auf Ada Otto fand ich etliche Hinweise auf ihre sportlichen Leistungen:
Ada Hof[f] war eine Sportlerin allerersten Ranges, gleichviel ob es sich um Auto, Segel, Flugzeug oder sonst einen Sport handelte, der hohe Anforderungen an Können und Nerven stellte. Viele Anekdoten, die ihre Unerschrockenheit und Kaltblütigkeit bewiesen, sind von ihr bekannt.[8]
AZ am Morgen, 1925
So rettete Ada Otto sich bei einem Sturm aus ihrem Segelboot und schwamm eine halbe Stunde lang an Land. Das Boot wurde später leer entdeckt und als Polizisten der Familie telefonisch den Tod Adas mitteilen wollten, sprachen sie unwissentlich mit der vermeintlich Ertrunkenen. Sie überlebte einen Flugzeugabsturz und barg ihren toten Begleiter, bis Hilfe eintraf. Und auch als Rennfahrerin machte sie Schlagzeilen:
Bei einem großen Autorennen lagen die zwei Spitzenfahrzeuge fast dicht nebeneinander nicht weit mehr vom Ziel. Plötzlich schoss Frau Otto hinter einer Kurve hervor in rasendem Tempo. Die beiden vorne liegenden Autos überholen war unmöglich, da diese die ganze Straßenbreite einnahmen. Frau Otto schoss nichtsdestoweniger vor, jäh in einen Graben hinein – ein Schrei des Entsetzens auf den Tribünen, – und auf derselben Seite zum starren Erstaunen der Zuschauer wieder empor vor die beiden Konkurrenten als Erste durchs Ziel.[9]
AZ am Morgen, 1925
1923 gewann sie das Ruselberg-Rennen, eine 5,8 km langen Strecke mit 480 Meter Gesamtsteigung. Auch hier war sie die einzige Frau auf dem Siegertreppchen. Ihre Zeit – in einem Otto-Wagen – betrug 4:49:3 und der Siegerpreis betrug 750,- Mark.[10] Auch das Jochpassrennen entschied sie am 16. September 1923 unter 80 Teilnehmern für.[11]
1924 nahm Ada an der Sternfahrt des Automobil-Clubs an den Walchensee teil; die erfolgreichsten Teilnehmer*innen erhielten je ein Zigarettenetui mit den Clubinitalen, so auch in Klasse III Frau Otto mit einem 27 PS starken Otto-Wagen – und damit dem stärksten Fahrzeug im fünfzig Autos zählenden Teilnehmerfeld.[12]
Ihre Künste am Steuer ließen also aufmerken, im Nachruf auf Gustav Otto wird kurz zusammengefasst:
Frau Otto war eine hervorragende Automobilistin, eine Herrenfahrerin von Geschicklichkeit und Schneid, die sich mit jedem Berufsrennfahrer messen konnte.[13]
Münchner Zeitung, 1926
Frauen und Automobile
Seit 1888 Berta Benz die erste Langstreckenfahrt mit einem Automobil unternahm, waren Frauen immer an Automobilen interessiert und an der Entwicklung beteiligt. Dennoch waren Autos auf den Straßen zunächst Exoten und Frauen am Steuer etwas Unheimliches:
Eine Mahnung für Automobilistinnen. Zu den vielen männlichen Automobilfahrern, die die gesamte Mitwelt zerschmettern möchten, sind in Paris jetzt noch Kraftwagen lenkende Damen hinzugekommen, die noch rücksichtsloser gegen ihre Nebenmenschen loswüten, sintemal sie zwar fahren, aber nicht fahren können.[14]
Allgemeine Zeitung, 1924
1903 drohten Gemeinderäte in Wien, Frauen den Gebrauch motorisierter Fahrzeuge zu verbieten. Die Argumentation der Ratsherren könnte sogar noch aus unseren Tagen stammen: Sie begründeten den Antrag mit der mangelnden Fahrroutine der Damen.[15]
Susanne Vieser
Dennoch waren Automobilistinnen schon bald zumindest in Großstädten vertreten:
In Frankreich namentlich in Paris ist die Chauffeuse, das ist die Automobilistin, keine seltene Erscheinung mehr, und so darf es uns nicht wundernehmen, wenn wir erfahren, dass es in Paris 127 Damen gibt, die ihr Automobil nicht nur besitzen, sondern es auch lenken können.[16]
Allgemeine Zeitung, 1904
In den folgenden Jahren übernahmen mehr und mehr Frauen auch das Steuerrad des Automobils. Es verwundert daher nicht, dass am 18. Mai 1926 in Berlin der „Deutsche Damen Automobil Club“ (DDAC) gegründet wird:
Trotz einer zunehmend aufgeklärten Gesellschaft war der DDAC eine sehr mutige, freiheitliche orientierte Idee.“[17] Zu dieser Zeit waren auch Frauen und Autos endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 1925 erschien bspw. im Münchner Hirth Verlag in der Reihe „Illustrierte Technik für jedermann“ auch ein Band mit dem Titel „Ausbildung der Frau zur Automobilistin.[18]
AZ am Morgen, 1925
Wichtig zu wissen ist auch, dass sich ein solches Gefährt ursprünglich nur diejenige leisten konnten, die Vermögen besaßen:
Um 1904 kostete ein Automobil zwischen 8000 und 25.600 Reichsmark – in etwa so viel, wie auch ein Haus kostete.[19]
Susanne Dieser
Erst mit Ende des Ersten Weltkrieges kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und immer mehr Menschen konnten sich – was bis dahin ein unerschwingliches Statussymbol war – einen eigenen Wagen leisten.
1924 rumpelten bereits mehr als 130.000 Personenkraftwagen über die holprigen Straßen Deutschlands. Fast 100.000 Motorräder knatterten durch die Städte und Dörfer.[20]
Und lange konnten Frauen nur mit der Genehmigung des Vaters oder Ehemanns überhaupt einen Führerschein machen.[21] In Deutschland galt diese Regel bis in die 1950er Jahre, in Saudi-Arabien dürfen Frauen bspw. erst seit wenigen Jahren Auto fahren.[22]
Die passende Kleidung am Steuer
Doch Frauen ließen sich von Anfang an nicht vom Fahren abhalten. So kam es, dass bereits 1904 in der Zeitung über die richtige Mode für das Steuern eines Wagens berichtet wurde – in der Rubrik „Von Frauen – für Frauen“:
Die passionierte Automobilistin kleidet sich am liebsten ganz in Leder, um gegen Regen, Sturm und Kälte gleich gut gewappnet zu sein. Für eine gelegentliche Spazierfahrt im Auto genügt ein das Kleid gut bedeckender Schutzmantel und ein den Kopf einhüllender Schleier am Hut oder an der Kappe.[23]
Allgemeine Zeitung, 1904
Zunächst erschien es ein großer Spagat, in den eher praktischen, aber doch sehr männlichen Kleidungsstücken dennoch feminin zu bleiben. Doch bereits in den 20er Jahren schafften es auch Rennfahrerinnen, elegant auszusehen: Ernes Merck stieg 1927 im Ziel in einem kurzen Charleston-Kleid und mit feinen Schuhen aus dem Wagen.[24]
In den 20er Jahren war das Aussehen der Frauen in einem Automobil sogar häufig der entscheidende Faktor:
In der Inflationszeit wurden schöne Frauen mit schönen Autos zu Statussymbolen einer schmalen Schicht von Neureichen, die Dame am Beifahrersitz wurde zum Symbol der Automobilkultur, angestrebt wurde höchste Eleganz und exquisiter Luxus. Beim Concours d’Elegance des Österreichischen Automobil-Clubs im Park des Schlosses Belvedere im Juni 1922 bewertete eine Jury den Gesamteindruck von Fahrzeug, Ausrüstung und Toiletten. Zugelassen waren offene und geschlossene Fahrzeuge, neben jedem Lenker saß mindestens eine Dame in Sportkostüm oder Sommertoilette.[25]
Die industrielle Revolution hatte Jahre zuvor dafür gesorgt, dass sich auch die Mode revolutionierte.
Mit den neuen, weniger eng anliegenden Kleidern ohne Korsetts konnten Frauen der gehobenen Schichten sich allein anziehen, konnten frei atmen und sogar Sport treiben, ohne unter Atemnot zu leiden, und sie liefen nicht mehr Gefahr, in Ohnmacht zu fallen, weil ihnen der Brustkorb zusammengepresst wurde. Anstatt zur ornamentalen Untätigkeit verdammt zu sein, genossen viele Frauen ihre neue Freiheit. Frauen in weiten Hosen, die allein mit dem Fahrrad herumfuhren, waren nicht nur ein typisches Bildmotiv der damaligen Presse, sondern auch eines der Lieblingsbeispiele konservativer Untergangspropheten.[26]
Philipp Blom
Denn ja, mit einem Fahrrad oder gar einem Automobil konnten Frauen mobil sein und waren nicht mehr so abhängig von Ihren Vätern und Ehemännern. Das Auto versprach nicht nur Freiheit, sondern war auch ein Mittel, um die Welt zu entdecken, neue Orte zu erkunden, einen Beruf auszuüben (bspw. als Taxifahrerin wie bereits seit 1905 [27] oder als Journalistin wie Erika Mann) oder eben um Rennen zu fahren.
Frauen und Autorennen
Deutschland ist in den Zwanziger Jahren süchtig nach Geschwindigkeit wie nach einer Droge.[28]
Christoph Scheuermann
Fahrrad- und Autorennen hatten die Geschwindigkeit der Aristokratie mit ihren Pferderennen in die Mitte des Volkes geholt und die Zeitungen berichteten begeistert von neuen Rekorden.
Für die sogenannten kleinen Leute blieben nur die Zuschauertribüne und die Zeitungen mit ihren täglichen Berichten von der Tour de France, mit ihren Spekulationen über die Zukunft des Luftkriegs, das Verkehrschaos, das private Autos in Großstädten auslösten, über Pilotinnen und Rennfahrerinnen, die den Männern ihre Domänen streitig machen wollten, […].[29]
Blom, Philipp
Denn in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts holten Frauen – auch im Sport – in einer männerdominierten Welt immer weiter auf: Lilli Henoch wurde zehnmal Deutsche Meisterin im Kugelstoßen, Clärenore Stinnes umrundete 1927 bis 1929 als erster Mensch überhaupt im Auto die Welt, Käthe Paulussprang mit einem von ihr selbst erfundenen Fallschirm aus Fesselballons in die Tiefe und Gertrude Ederledurchschwamm 1926 als erste Frau den Ärmelkanal.[30]
Insgesamt darf auch nicht vergessen werden, dass das Fahren eines Automobils in jenen Zeiten ein echter Kraftakt für den ganzen Körper und damit durchaus eine sportliche Betätigung war: Das Lenken war anstrengend, ungenügende Federung sowie Metall- oder Vollgummireifen gaben gnadenlos jeden Stoß der häufig unbefestigten Straßen wieder. Mangelnde Isolierung des Motorraums und Überhitzung des Motors führte zu Verbrennungen an den Beinen. Autos mussten – auch unterwegs – angekurbelt werden und Pannen gehörten zum Alltag.[31] Ganz abgesehen davon, dass in Autos kaum Sicherheitsvorkehrungen vorhanden waren, was zu unzähligen Toten und Verletzten im Straßenverkehr führte.
Gaslaternen und Fackeln waren noch die gängigen Beleuchtungseinrichtungen. Für Fußgänger, Radfahrer und die alltäglichen Pferdekutschen und Ochsenkarren wurde es zunehmend eng. Im selben Jahr [1924] kamen bei Begegnungen der ungleichen Verkehrsteilnehmer 1356 Menschen ums Leben.[32]
1929 wurden in Deutschland schon 5.867 Verkehrstote gezählt.[33]
Dennoch waren auch bei Autorennen Frauen von Anfang an mit im Teilnehmerfeld. Als erste Motorsportlerin gilt die Französin Camille du Gast. 1903 […] meldete sie sich in der Kategorie schwerer Wagen für das Langstreckenrenne Paris-Madrid an.[34] Oder da ist Elisabeth Junek, die 1923 zunächst als Beifahrerin ihres erfolgreichen Mannes angemeldet war und dabei selbst vom Rennfieber angesteckt wurde:
Gleichzeitig wusste ich, dass ich nicht nur meine Ehre zu verteidigen hatte, sondern auch gegen ein prähistorisches Vorurteil über Frauen und Sport kämpfte.[35]
In Deutschland war Ernes Merck 1926 wohl die erste Profirennfahrerin. Voraussetzung diesen Sport betreiben zu können, war aber über viele Jahre hinweg der Besitz von Vermögen.
Die neue Frau
Es verwundert also nicht, dass sich in den 20er Jahren ein neuer Begriff etablierte, der diesen neuen Frauentypus umschrieb:
Die ‚Neue Frau‘ war sportlich-schlank, kleidete sich in einem praktischen, androgynen Chic, trug einen Jungenhaarschnitt und war selbständig. […] die eleganten Damen aus der DAME und der VOGUE, die Künstlerinnen, Juristinnen, Schriftstellerinnen wirkten auch deshalb so emanzipiert, weil sie aus reichen Familien stammten und finanziell abgesichert waren. Die ‚neue Frau‘ gab es also, aber nicht oft.[36]
Ada Otto darf aber sicher diesem neuen Typus Frau zugeordnet werden, war sie doch vermögend, modisch gekleidet und erfolgreich. Und – was ihre Begeisterung für Autos anging – war sie nicht allein: Erika Mannbeispielsweise hat „bereits einige Zeit zuvor die Fahrprüfung bestanden – sich [1930] in einer Münchner Werkstatt die wichtigsten Kenntnisse über Motor und Getriebe eines Automobils angeeignet, um im Notfall die eine oder andere Reparatur ausführen zu können.“[37] Denn auch Erika war eine talentierte Autofahrerin:
Sie fährt schwungvoll, bisweilen auch rasant, und wird ein Jahr nach der Marokko-Reise sich noch als Rallyefahrerin hervortun. [38]
1931 gewinnt sie zusammen mit Ricki Hallgarten in einem Ford die 10.000 km Rallye nach zehn Tagen Fahrt quer durch Europa.
Vielleicht wären sich Ada und Erika einmal bei einem Rennen begegnet – wenn Ada in den 1930er Jahren noch gelebt hätte. Doch Ada hat bereits 1925 ihrem Leben ein Ende gesetzt. Kurz zuvor hatte sie sich noch von Gustav Otto getrennt. Schwierige Charaktere waren wohl beide Ehepartner. Die AZ am Morgen vom 15.8.1925 weiß zu berichten „Frau Hoff hat schon in der ersten Ehe durch ihre maßlose Lebensführung und allerlei Extravaganzen Aufsehen erregt und ihren ersten Mann wirtschaftlich stark geschädigt“, während die AZ am Morgen vom 14. August 1925 von Auseinandersetzungen schreibt, die „bei dem zwar gutmütigen, aber jähzornigen Charakter des Mannes sehr heftig verliefen“. Scheinbar hatte Ada – wenn man der Presse der damaligen Zeit Glauben schenken darf – schon während ihrer Ehe mit Gustav Otto „Beziehungen zu ihrem späteren Mann unterhalten, die während des vorjährigen Automobilturniers in Baden-Baden, an dem sie sich als Konkurrentin aktiv beteiligte, zu Erörterungen führten.“[39]
Ada konnte Gustav schließlich zur Scheidung bewegen und heiratete 1925 den ehemaligen Generalvertreter der Mercedes-Gesellschaft, der „inzwischen zur Deutschen Handelsgesellschaft übergegangen ist“[40] – damit wurde sie zur Generaldirektorsgattin Hoff.
Am 11. August wurde Ada mit schweren Verletzungen in ihrer Frankfurter Wohnung aufgefunden. Sie gab zwar – kurz bevor sie verstarb – noch zu Protokoll, ein Mann hätte sie überfallen und die Schüsse auf sie abgegeben. Die Kriminalpolizei untersuchte den Fall und kam zu dem Urteil, dass es nur Selbstmord gewesen sein konnte. „Damit ist die Sensation um den Tod der auch in München wohlbekannten Frau Otto, später Hoff, beendet.“[41]
Nicht einmal ein Jahr später nahm sich auch Gustav Otto das Leben.
Die Gattin des genannten, eine bekannte Sportsdame, schied im vorigen Jahre in Frankfurt unter Aufsehen erregenden Umständen aus dem Leben. Otto hatte den Tod seiner Frau nicht überwunden und darin soll ein Hauptmotiv zu seinem Schritte gelegen sein.[42]
In seinem Abschiedsbrief gab er als Grund „Schwermut“ an.[43]
Wer also war Ada Otto? Sie war früh in einem Feld aktiv, das von Männern dominiert und nur Menschen mit Vermögen möglich war. Sie konnte gut Auto und Motorrad fahren. Sie wohnte ab 1912 eine Zeit lang in München Neuhausen, in der Zuccallistraße 3 in einem klassizistischen Haus. Sie war jung, sie war gutaussehend. Ihr Leben hat nur wenige Spuren hinterlassen. Aber war sie sympathisch? Oder ein Snob? Hat sie sich politisch interessiert? Hat sie ihr Vermögen auch für wohltätige Zwecke genutzt? Welche Extravaganzen hat sie sich erlaubt? War sie eine gelangweilte Ehefrau, die mit dem Automobil ihre Freiheit suchte oder eine abenteuerlustige Frau, die dem Rausch der Geschwindigkeit unterlag? Das werde ich wohl nie erfahren. Fest steht aber, dass sie den Aufbruch in eine Männerdomäne gewagt hat, denn zu Adas Lebenszeiten galt noch viel mehr als heute:
Weibliche Mobilität ist den meisten Männern suspekt. Sie zeigt Unabhängigkeit, Selbstbewusstsein, Freiheit und kratzt an männlichen Positionen. [44]
Ich hätte Ada Otto gerne kennengelernt.
Autorin: Birgit Donhauser
Mein Dank geht an:
- Dr. Eva Tyrell, Stadtarchiv München
- Dr. Annika Biss, BMW-Group, Archiv, Sammlung, Classic Brand Management
- BMW Unternehmensgeschichte/BMW Business History
- Franz Schröther, Geschichtswerkstatt Neuhausen e.V.
- Theresia Prasch, Kai Wittenbrock
Literaturangaben:
- Blom, Philipp: Der taumelnde Kontinent; Europa 1900 – 1914.
- Graaf, Kai-Uwe: Gustav Otto – Pionier der bayerischen Luftfahrtindustrie.
- Gretter, Susanne: Mutig, mondän, motorisiert.
- Nippoldt, Robert und Pofalla, Boris: Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger.
- Strohmeyr, Armin: Dichterkinder.
- Vieser, Susanne: Frauen in Fahrt.
Falls ein*e Leser*in weiter Angaben zu Ada Otto machen kann, freue ich mich über diese Informationen.
[1] Rosenheimer Anzeiger, 24.12.1912
[2] AZ am Morgen, München, 14. August 1925
[3] Rosenheimer Anzeiger, 24.12.1921
[4] Graaf, Kai-Uwe: Gustav Otto – Pionier der bayerischen Luftfahrtindustrie. S. 5
[5] Münchner Zeitung, 2. März 1926
[6] www.deutsche-biographie.de
[7] Bmw-grouparchiv.de/research/detail/index.xhtm/?id3810068
[8] AZ am Morgen, 11.9.1925
[9] ebenda
[10] AZ am Abend, 15.9.1926
[11] www.passknacker.com/paesse_details.php?pass=667&autocomplete1=Jochpass&einzeln=Suche
[12] Allgemeine Zeitung, 26.6.1924 und 17. Juni 1924
[13] Münchner Zeitung, 2. März 1926
[14] Allgemeine Zeitung, 4.7.1903
[15] Vieser, Susanne: Frauen in Fahrt. S. 40
[16] Allgemeine Zeitung, 23.10.1904
[17] www.sueddeutsche.de/auto/jubilaeum-frauen-in-fahrt-1.909105
[18] AZ am Morgen, 23. September 1925
[19] Vieser, Susanne: Frauen in Fahrt. S. 9
[20] Planet-wissen
[21] Weltfrauentag. Meilensteine der Frauenemanzipation in Deutschland: Die erste Frau mit Führerschein.
[22] Saudi Arabien: Frauen dürfen seit 2019 Autofahren
[23] Allgemeine Zeitung, 4.9.1904
[24] Gretter, Susanne: Mutig, mondän, motorisiert. S. 10
[25] Frauen in der Automobilgeschichte – Wikipedia: nach Roman Sandgruber: „Frauen in Bewegung“. Verkehr und Frauenemanzipation. In: Emil Brix, Lisa Fischer (Hrsg.): Die Frauen der Wiener Moderne. S. 53-63
[26] Blom, Philipp: Der taumelnde Kontinent; Europa 1900 – 1914. S. 380 f.
[27] Vieser, Susanne: Frauen in Fahrt. S. 10
[28] Scheuermann, Christoph: Mit 24 Raketen in die Zukunft. Aus: Geo Epoche Nr. 27 „Die Weimarer Republik“, S. 127
[29] Blom, Philipp: Der taumelnde Kontinent; Europa 1900 – 1914. S. 295
[30] Nippoldt, Robert und Pofalla, Boris: Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger. S. 86f
[31] Vieser, Susanne: Frauen in Fahrt. S. 11
[32] Sicherheit im Straßenverkehr
[33] https://de.wikipedia.org/wiki/Verkehrstod
[34] Vieser, Susanne: Frauen in Fahrt. S. 60
[35] ebenda S. 68
[36] Nippoldt, Robert und Pofalla, Boris: Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger. S. 82f
[37] Strohmeyr, Armin: Dichterkinder. S. 215
[38] ebenda S. 231ff
[39] AZ am Morgen, 15. August 1925
[40] ebenda
[41] AZ am Morgen, 1. September 1925
[42] AZ am Morgen, 2. März 1926
[43] Münchner Zeitung, 2. März 1926
[44] Vieser, Susanne: Frauen in Fahrt. S. 40