Ein spannendes Forschungsfeld stellt uns Dr. Sebastian Liebold in seinem Gastbeitrag zu #femaleheritage vor: Unternehmerinnen in der DDR – überraschend und bereichernd ist für uns das Thema. Mutige Frauen, die vergessen sind? Lesen!
Wie war das möglich – private Unternehmen in der Planwirtschaft? Noch dazu mit Frauen an der Spitze? Drei Unternehmerinnen in der DDR, geprägt vom Geschäftssinn in der Familie, widerstanden staatlichen Eingriffsversuchen. Sie trotzten einem doppelten Dilemma. Ein in der deutschen Erinnerungskultur kaum präsenter »Typus der Unternehmerin« wird lebendig – im Buch wird reiches Material aus Quellen und persönlichen Interviews verarbeitet. Lesen Sie darüber, welche Spielräume die Inhaberin einer Weinhandlung, einer Druckerei und eines Geschäfts für Medizintechnik nutzen konnten.
Berufstätig sollten Frauen in der DDR sein: als Mutter und Melkerin, Mutter und Lehrerin, Fräserin und Gewerkschafterin – alles kein Problem. Damit reihten sie sich in die Welt der Berufstätigen ein, erfüllten die Pläne der Planwirtschaft und der Vorstellungen über das sozialistische Familienleben. Doch was, wenn sie selbständig tätig sein wollten?
Drei Unternehmerinnen in der DDR
Die Studie von Peter Karl Becker und Sebastian Liebold stellt drei Unternehmerinnen mit großem Engagement vor. Sie leiteten die private Firma und trotzten so den Verstaatlichungsversuchen. Um die Bandbreite privater Geschäftstätigkeit – notwendig kleiner – Unternehmen zu erfassen, werden drei verschiedene Branchen und zwei verschiedene Unternehmensformen vorgestellt: Interviews und reiches Material aus den Firmenarchiven vermitteln einen Eindruck vom Alltag
- einer weiblich geführten Weinhandlung in Querfurt, die durch einen HO-Vertrag halbstaatlich wurde,
- einer Druckerei in Schwarzenberg
- und eines Geschäfts für Medizintechnik in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz
Die letzten beiden Firmen blieben ohne staatliche Beteiligung.
Welcher Typus tritt uns entgegen? Nur unter den Bedingungen des Sozialismus, seines spezifischen Frauenbildes und der – nicht immer nach diesem Bild gearteten – realen Rolle in der Gesellschaft war es möglich, dass in der „Nische“ kleiner Privatunternehmen dieser Typus entstand: Frauen sollten sich voll im Berufsleben einbringen, zugleich war ein unternehmerisches Handeln nicht erwünscht – oftmals agierten sie daher in der Rolle der verständnisvollen Betriebsleiterin. Die Frauen hatten, wie aus Interviews hervorging, von der Elterngeneration dennoch einen ausgeprägten Geschäftssinn geerbt, mutige Neuerungen gingen sie eher beiläufig an. Die politische Frage, ob es im engeren Sinn überhaupt Unternehmerinnen waren, kann bejaht werden, da eine Privatfirma auch im Sozialismus effizient wirtschaften musste und juristisch auch pleitegehen konnte. Reizvoll ist das Thema, weil die Frauen einerseits gar nicht anders agieren wollten als Männer in der Chefposition – andererseits war der Umgang mit Großhändlern, mit der Kreisverwaltung, mit Banken und in Vereinigungen doch ein anderer.
1. Die Weinhandlung in Querfurt: Firma Fuhrmann
Im Fall der Firma Fuhrmann brachte der Ehemann, Erbe der älteren Inhabergeneration, nicht das kaufmännische Geschick mit, so dass Irmgard Fuhrmann, die Schwiegertochter, das Geschäft übernahm. Sie besorgte auch zu tiefsten DDR-Zeiten französischen Rotwein und kaufte en gros ein. Das brachte ihr schräge Blicke staatlicher Betriebsleiter und des Ehemanns ein. Als sie wieder einmal 1.000 Flaschen Wein geordert hatte, schlug ihr Unwillen entgegen – aber wenige Wochen später, es war der Tag vor Weihnachten, war das Konvolut bis auf drei Flaschen verkauft.
Frau Fuhrmann hatte sich 1963 in dem Vertrag mit der staatlichen Handels-Organisation ausbedungen, einen hohen Lagerbestand halten zu können. Sie wirtschaftete erfolgreich aufgrund des eigenen Hauses und der geringen Nebenkosten. Ihre Kundschaft reichte bis in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften hinein, die sonst ideologisch nichts mit Privatunternehmern zu tun haben wollten.
2. Druckerei G. A. Ludwig in Schwarzenberg: die Unternehmerin Eleonore Vogel
Eleonore Vogel, im Bild am Setzkasten stehend, übernahm die Druckerei ihres Vaters Oswald Ludwig in Schwarzenberg, weil ihr schon ausgebildeter Bruder im Krieg gefallen war. Mit viel Mut und Durchsetzungskraft beschaffte sie immer wieder Aufträge, obgleich im Ort auch eine verstaatlichte Druckerei ansässig war. Frau Vogel agierte erfolgreich in einem Netz von Frauen; sie verstand sich mit der Vorsitzenden der Kreisleitung gut, mit der Vorsitzenden der Handwerkerpartei NDPD. Schließlich agierte sie im Unternehmen als Arbeiterin unter Arbeitern:
- sie sorgte sich um zügige Fortbildung ihres angestellten Druckers,
- kümmerte sich um neue Maschinen
- und gab jahrelang einem behinderten Mann Arbeit: Es mussten Kisten transportiert, der Ofen geheizt und die Werkstatt gekehrt werden.
Dennoch gab es riesige Belastungen: Die Papierzuteilung, die Kreditvergabe und Werbung war immer wieder schwierig, die Steuersätze stiegen – aus marktwirtschaftlicher Sicht fragt man sich, wie eine Unternehmerin darauf reagierte: Viel konnte man nicht tun, vom Umsatz blieb immer weniger Gewinn. Daher war die Lage für viele „bürgerliche“ Familien am Ende der DDR so ausweglos, manche ging unmittelbar 1990 in den Westen. Anhand der Druckerei G. A. Ludwig lässt sich nachvollziehen, dass privates Unternehmertum sich nur unter hohem persönlichem Einsatz noch lohnte.
3. Karl-Marx-Städter Geschäft für Medizintechnik: die Unternehmerin Ulrike Kaufmann
Wie Frau Vogel übernahm auch Ulrike Kaufmann die Firma von ihrem Vater: Mit dem Karl-Marx-Städter Geschäft für Medizintechnik versorgte sie den ganzen Bezirk besser und schneller als die staatlichen Betriebe. Darüber hinaus lieferte sie regelmäßig Geräte und sogar „Massagewannen“ in die SED-Siedlung nach Wandlitz bei Berlin. Als sie einmal ein Krankenhaus mit dem lange erwarteten Barkas, dem typischen Transport-Fahrzeug der DDR, persönlich belieferte, fragte der Einlass sie: „Können Sie nicht ihren Chef schicken?“
Lesen Sie weiter: