Was ist das Netzwerk Münchner Theatertexter*innen (NMT*)? Wo und wie arbeitet es? Was hat das Netzwerk mit der Monacensia zu tun? Katrin Diehl stellt das NMT* mit seinen drei Herzstücken vor – Textwerkstatt, Tour des Textes und ein dreijähriges Projektfeuerwerk.
Das Netzwerk Münchner Theatertexter*innen gibt es seit knapp sechs Jahren. Es steht für Textwerkstätten, Workshops, Lesungen, Stipendiat*innen-Programme … und hat für ein groß angelegtes Projekt die aktuelle dreijährige Optionsförderung der Stadt München erhalten. Gegründet haben es die beiden Dramaturginnen und Autorinnen Raphaela Bardutzky und Theresa Seraphin.
Wir haben die große Agenda, den Theatertext in unterschiedlichen Formen sichtbar werden zu lassen – auch in unterschiedlichen Produktionskontexten. Ich habe den Eindruck, das gelingt uns immer besser. Viele Leute verstehen immer besser, dass der Theatertext nicht nur an die Stadttheater gehört, sondern in unterschiedlichen kollektiven und prozesshaften Formen entstehen kann. Das gilt es, weiter auszubauen.
Theresa Seraphin
Netzwerk Münchner Theatertexter*innen (NMT*): die Textwerkstatt als Herzstück
Seit unseren ersten Treffen allerorten und zu jeder Zeit sind wir Schreibende des Netzwerks Münchner Theatertexter*innen (NMT*) auf folgende Frage gefasst. Sie kommt nicht gleich. Warten auf eine Frage macht dramaturgisch Sinn. Antworten sind ohnehin überbewertet. Also kann sich die Frage vor der Antwort Zeit lassen.
Unsere Textwerkstatt nennt sich das „Herzstück“ des Netzwerks. Darin kann jede*r zu Wort kommen, der*die sich dem professionellen Theaterbereich zuordnet und/oder als Autor*in Theatertexte schreibt und zur Diskussion stellen möchte. Die Werkstätten finden in der Regel einmal pro Monat statt, an unterschiedlichen Orten wie dem HochX, dem Lothringer 13 … Lässt sich alles der Website des Netzwerks entnehmen.
Wir sind ein wenig so wie unsere Werkstätten, lassen alle und alles zu Wort kommen, die/das guten Willens sind.
Die Textwerkstatt fast handwerklich: „Ich bin das Herzstück des Netzwerks Münchner Theatertexter*innen und eher nervös.“
Die Frage mit Blick in die Augen: „Warum bist du nervös?“
Die Textwerkstatt ehrlich und sich der ganzen Theatertradition sehr bewusst: „Sei du mal ein Herzstück.“
Die Frage routiniert: „Bin ich das nicht?“
Die Wahrheit ist, dass das NMT* ziemlich aktiv wabert und pulsiert mit Herzstücken allerorten, verbunden über x Äderchen und ein paar fette Kanäle; dass es Schauplätze auftut, auf denen es agiert, an denen es pocht in eigener Sache. Wahr ist auch, dass die Stimmung während der Textwerkstätten weniger nervös ist (eher in aufgeregter Erwartung) als vor allem konzentriert und freudig gespannt:
Dramatisch, postdramatisch, poetisch, phonetisch, improvisiert oder diskursiv. Wir sind Münchens Plattform für Theatertexter.
Das NMT* über sich selbst
Der Stadt nickt uns zu in alle Richtungen, die der Hals so zulässt, unterstützt das NMT*, was uns riesig freut! So angriffslustig wie möglich, so angriffsbereit wie nötig, schiebt das Netzwerk nach. Und jetzt kommt endlich diese Frage nach dem „Was funktioniert?“. Badam!
Die Textwerkstatt ist eröffnet und mit ihr die Frage, die uns Schreibende nicht mehr verlässt, seit es das NMT* gibt. Und das, obwohl sie den Blick von außen und auf diesen Text, der allen vorliegt, voraussetzt – und zwar den kollegialen. Und obwohl sie der reinsten Methodik (der niederländischen Performanceschule DasArts) geschuldet ist – und zwar, um Struktur in eine bis zu dreistündige Textbesprechung zu bekommen. Und das ist erst der Anfang (eines Abfragekatalogs). Wo etwas funktioniert, wird der Hebel angesetzt. Das lenkt so schnell wie konstruktiv den Blick auf Schwachstellen. Danach braucht der*die Schreibende erst einmal ein paar Tage, um Gedanken zu ordnen, um dann, mit neuen Impulsen versorgt, weiterzumachen.
Gründung und Entwicklung des NMT* mit Tour des Textes
Gegründet wurde das NMT*, das sich für die Stärkung zeitgenössischer Theatertexte und seiner Autor*innen einsetzt, 2016 von den beiden Autorinnen und Dramaturginnen Raphaela Bardutzky und Theresa Seraphin. Seitdem wächst es an Menschen, Kontakten, Veranstaltungen, aber – und das eröffnet ganz Neues – auch an eigenen Projekten. Dazu gleich mehr. Angestrebt und fest im Blick ist eine mehr und mehr präsente Diversität innerhalb der Autor*innenschaft. Seit Kurzem kümmert sich darum unsere Verflechtungsagentin Manina Ott, die das NMT* unter anderem mit Workshop-Formaten dabei unterstützt, eine heterogenere Autor*innenschaft zu erreichen sowie die eigene Kommunikation inklusiver zu gestalten, was insgesamt für die Frage der Zugänglichkeit auf verschiedenen Ebenen sensibilisiert.
Was sich fast von alleine einstellt, sind Präsentationen der unterschiedlichsten Theaterformen wie Sprachum/zugänge, auch orientiert an den politischen Erfordernissen. Und die sind so wenig zu unterschreiten wie das Ausschöpfen des Potenzials Sprache und der künstlerische Umgang mit ihr. Das Netzwerk tritt ein für
Kunstfreiheit in einer offenen, vielfältigen, gleichberechtigten und toleranten Gesellschaft, es wendet sich gegen jede Form von Rassismus, Diskriminierung und gruppenbezogener Benachteiligung im Theater- und Literaturbetrieb, in Politik und Gesellschaft.
Website des NMT*
Tour des Textes – internationales Stipendiat*innenprogramm
Herzstück zwei ist die Tour des Textes, ein internationales Stipendiat*innenprogramm, das das NMT* seit vier Jahren zusammen mit den Wiener Wortstaetten und dem Neuen Institut für Dramatisches Schreiben (Berlin) durchführt. Einmal im Jahr touren jeweils zwei von den Schreibstätten ausgewählte Autor*innen (macht insgesamt sechs) mit ihren Texten zwischen München, Wien und Berlin. Sie diskutieren in Sessions die eigenen Arbeiten, mit dem „Auftrag“, einige Zeit später und am nächsten Ort den Fortschritt vorzustellen. Am Ende steht ein kleines Dörfchen in Südtirol (hierhin lädt Maxi Obexer ein) bereit als krönender Abschluss mit Rahmenprogramm, bei dem alle Dorfbewohner*innen willkommen sind.
Die Touren orientieren sich in ihrer Gestaltung an nächsten Überlegungen, Diskussionen, Gesprächen, die Verbesserungen, Veränderungen, die das Experimentieren wollen. So gab es dieses Mal eine „Profilschärfung“, die wieder andere Autor*innen nach vorne ins Blickfeld holte. Es ging um die Förderung von Schreibenden ab 35 Jahren und speziell um Texte, die ohne Auftrag entstanden sind. Texte also, deren Stoff sich ausschließlich in den Autor*innen als Dringlichkeit oder Wunschvorstellung formiert haben und die ohne externe „Bestellung“ Wirklichkeit geworden sind in einem Freiraum eigener künstlerischer Vorstellungen. Neu sind auch eigene kleine Filmprojekte. Sie sind entlang der Texte entstanden.
Optionsförderung der Stadt München (2021–2024): Herzstück drei
Ende 2021 hat das NMT* für ein von Jan Geiger, Denijen Pauljevic, Theresa Seraphin, Rinus Silzle, Katrin Diehl anvisiertes Projektfeuerwerk eine Optionsförderung der Stadt München für die nächsten drei Jahre erhalten. Das eröffnet Möglichkeiten, neben Lesungen, Workshops etc. weitere Projekte anzugehen und damit mehr Präsenz in der Stadt zu zeigen. Wir nennen das unser Herzstück drei. Es lohnt sich, in die Jurybegründung„hineinzuhören“.
Die mehrköpfige Jury mit Blick aufs Formpapier:
Die Konsequenz und Kontinuität dieser Arbeit, die äußerst innovativen und klugen Fragen, die sich das Netzwerk in Bezug auf den Theatertext auf der Höhe der Debatte stellt, die Arbeit an der Erweiterung und Diversifizierung ihres Verbundes sowie die sehr klare Konzeption für die Weiterentwicklung in den nächsten drei Jahren haben die Jury überzeugt.
FLOATING WORDS
In Konsequenz (der Förderung) eröffnete im Sommer 2022 FLOATING WORDS die Workshop-Reihe TRY OUTS (mit abschließendem Showing), eine Kooperation des NMT* und des Bad Lemons Project. Die Choreografin Jasmine Ellis begab sich zusammen mit Autor*innen, zudem mit Tänzer*innen, Artist*innen und Schauspieler*innen auf eine Recherche zum Verhältnis von Text und Körper, Sprache und Tanz.
WRITING IN ECOSYSTEMS mit Bühnenstück 2023
Im Rahmen des nächsten Workshops WRITING IN ECOSYSTEMS beschäftigte sich das NMT* in Kooperation mit dem Erlanger Center for Literature and Natural Sciences mit artenspezifischen und -übergreifenden Kommunikationsformen. Dabei ging es auch um deren Darstellbarkeiten in der künstlerischen Textarbeit oder die Möglichkeit, diese anderen Vermittlungsformen in die literarischen Texte mit einzubauen, sie zu poetisieren. Aus ihren Bereichen sprachen Naturwissenschaftler*innen, Künstler*innen, Theatermacher*innen, Autor*innen.
Am Ende wird ein Stück Erde, ein Landstrich im Münchner Norden, das Sagen haben auf einer Bühne, die wir in ihren alten Grenzen nicht wirklich brauchen. Wie lässt sich Natur zur Protagonistin machen? Sprachsysteme der anderen Art reizen mit ihren Geheimnissen. Sie geben die Möglichkeit, ganz andere Kommunikationswege zu erwägen. Das hat Folgen, auch für den Theatertext. Eine darstellbare Annäherung an Lebensorte, an denen der Mensch eine Randerscheinung darstellt, verlangt nach besonderen Wegen. Eingeladen zum Spektakel sind alle. Die Regie führt Verena Regensburger, Datum und Ort werden rechtzeitig bekannt gegeben.
Hauptausarbeitungsort von Teilprojekten, an deren Ende das große Ganze steht, sind die großzügigen wie großherzigen Räumlichkeiten der Monacensia.
Stückauftrag an ukrainischen Theaterautor – „SIREN’S SONG“
Um den aggressiven Kriegshandlungen Russlands etwas uns Gemäßes entgegenzuhalten, zumindest direkt Betroffenen zu helfen, haben wir einen Stückauftrag an den ukrainischen Theaterautor Andrii Bondarenko vergeben. Seinen Text „SIREN’S SONG“, geschrieben entlang eines vom Krieg durchkreuzten wie durchtränkten wie verstörenden Alltags (übersetzt von Lydia Nagel), stellten die drei Schauspielerinnen/Sprecherinnen Henriette Fridoline Schmitt, Diana Maria Müller, Yulia Yermakova im Sommer 2022 im Pathos bei einer Lesung im Rahmen der WORLDWIDE UKRAINIAN PLAYREADINGS und innerhalb des Pathos Festivals IMAGINE vor.
Eine Wiederholung des Stücks ist geplant sowie die Bekanntmachung für das Münchner Publikum einer Theaterautorin aus Belarus, die vom NMT* ein Stipendium erhalten hat und bei ihm mitwirkt.
Wir können schon ein bisschen stolz sein auf das, was wir erreicht haben. Ich hätte nie gedacht, dass sich die Struktur so entwickelt, und ebenso wenig, dass doch so viele Künstler*innen Lust haben, daran mitzuarbeiten und selbst die Initiative ergreifen. Deshalb bin ich total happy, dass wir jetzt auch den Schritt gewagt haben, einige eigene Projekte zu machen.
Was außerdem wertvoll ist: dass wir eine richtig gute Vernetzung in den ganzen deutschsprachigen Raum haben und so in München, aber auch darüber hinaus sichtbar werden für den Theatertext.
Theresa Seraphin
Besucht das Netzwerk Münchner Theatertexter*innen im Web:
Die Monacensia versteht sich als literarisches Gedächtnis der Stadt München und als Künstler*innenvilla. Gerne bieten wir Raum zum Vernetzen, Austauschen und Arbeiten. Wir freuen uns sehr, hautnah das „Projektfeuerwerk“ des Netzwerks Münchner Theatertexter*innen zu erleben. Bald mehr dazu!