Marion Gräfin Dönhoff sprach stets von ihren „zwei Leben“: Ihr „erstes Leben“ als ostpreußische Großgrundbesitzerin endete 1945 mit ihrer Flucht vor der Roten Armee. In ihrem „zweiten Leben“ wirkte sie als Journalistin der Wochenzeitung DIE ZEIT am Aufbau eines demokratischen Deutschlands mit, das sich seiner NS-Vergangenheit stellte und dadurch auch schmerzhafte Entwicklungen, wie den Verlust der Ostgebiete, anerkannte. Natalie Reinsch stellt Euch in ihrem zweiten Beitrag für #femaleheritage Marion Gräfin Dönhoff vor.
Die Unterzeichnung der Warschauer Verträge 1970
Am 7. Dezember 1970 unterzeichneten Bundeskanzler Willy Brandt und sein polnischer Amtskollege Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz sowie die Außenminister beider Länder den „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen“.
Willy Brandt war 1969 zum ersten SPD-Bundeskanzler nach dem Krieg gewählt worden. Das Hamburger Wochenblatt DIE ZEIT hatte die Kanzlerschaft Brandts sowie die neue Ostpolitik mit vorbereitet. Zur Unterzeichnung der Warschauer Verträge hatte Brandt Marion Gräfin Dönhoff – damals Chefredakteurin der ZEIT – eingeladen, ihn nach Warschau zu begleiten. Sie sagte erst zu und dann im letzten Moment wieder ab.
Brandt wollte vier Leute mitnehmen: Günter Grass, Siegfried Lenz, Henri Nannen und mich. Er fragte mich am Telefon Wochen vorher, und ich war begeistert, weil ich ja für Dialog und Verständigung war. Ich sagte zu. Doch als der Termin dann näher rückte, begann ich mir vorzustellen, wie das da vor sich geht. Da wurde mir klar, daß natürlich die Grenzfrage verhandelt wird. Ich hatte ja auch immer vertreten, daß wir keine Gebietsansprüche mehr erheben. Aber in Vertragsform heißt das, daß wir klar verzichten. Ich fand das richtig – aber ich wollte nicht persönlich dabei sein, wenn auf den Verlust meiner Heimat mit Sekt angestoßen wird… Ich hatte das Gefühl: Das halte ich nicht aus![1]
Dönhoff schrieb Brandt am 1. Dezember einen Brief, in dem sie sich selbst dafür als „feige“ bezeichnete, nicht mit nach Warschau zu fahren. Gleichzeitig gestand sie, wie schwer ihr der vorherige Artikel „Ein Kreuz auf Preußens Grab“ gefallen sei. Sie bezeichnet ihn als
moralischen Kraftakt – ich schäme mich zu sagen, dass ich eine ganze Nacht lang darüber geheult habe.[2]
Unterstützung der neuen Ostpolitik von Willy Brandt
In ihrem Artikel „Ein Kreuz auf Preußens Grab. Zum deutsch-polnischen Vertrag über die Oder-Neiße-Grenze“, der am 20. November 1970 in der ZEIT erschien, nahm Dönhoff Brandt bereits vor jenen in Schutz, die sagen werden
die Regierung habe deutsches Land verschenkt – dabei wurde das Kreuz auf Preußens Grab schon vor 25 Jahren errichtet. Es war Adolf Hitler, dessen Brutalität und Größenwahn 700 Jahre deutscher Geschichte auslöschten. Nur brachte es bisher niemand übers Herz, die Todeserklärung zu beantragen oder ihr auch nur zuzustimmen.[3]
Dönhoff benannte damit klar, dass die brutale nationalsozialistische Expansionspolitik für den Verlust der Ostgebiete verantwortlich war. Gleichzeitig zollte sie Brandt Respekt dafür, dass er den Mut aufbrachte, sich im Zuge einer Normalisierung des Verhältnisses mit Polen auch an eine Klärung der Grenzfrage mit Polen heranzuwagen.
Wer war diese Frau, die selbst einem alten ostpreußischen Adelshaus entstammte und für ihre Unterstützung von Brandts Ostpolitik bei Vertriebenenverbänden als „Verräterin“[4] galt?
Dass Dönhoffs Haltung in der Ostpolitik ein langer und auch schmerzhafter Prozess vorausgegangen war, soll im Folgenden geschildert werden.
Marion Gräfin Dönhoff
Kindheit und Jugend zwischen Etikette und Freiheitsdrang
Als jüngstes von sieben Kindern der Maria Gräfin Dönhoff geborene von Lepel und des Diplomaten August Graf Dönhoff kam Marion Gräfin Dönhoff am 2. Dezember 1909 auf dem elterlichen Schloss Friedrichstein in Ostpreußen zur Welt. Der bei ihrer Geburt bereits 65-jährige Vater starb 1920. Die Mutter, die über ihren Stand geheiratet hatte, war als eine Hofdame der letzten Kaiserin, Auguste Victoria, stark auf das „comme il faut“ bedacht.
Die Pläne der jüngsten Tochter, das Abitur zu absolvieren und im Anschluss zu studieren, befürwortete die Mutter zunächst nicht. Als einziges Mädchen in einer Potsdamer Jungenklasse legte sie ein brillantes Abitur ab. Durch die Fürsprache der Brüder erreichte sie die Einwilligung der Mutter, nach dem einjährigen Besuch einer Haushaltsschule in der Schweiz studieren zu dürfen.
Überschattet von der Machtübernahme der Nationalsozialisten: das Studium
Marion Dönhoff profitierte als erste Generation von den Früchten der Frauenbewegung: Sie durfte als Frau an einer deutschen Universität studieren, das war erst seit 1908 möglich. In Frankfurt am Main belegte sie 1933 das Fach Volkswirtschaftslehre. Das Studium war überschattet von der Machtübernahme der Nationalsozialisten: 90 Professoren und Dozenten wurden von der „roten Uni“ verjagt.
Dönhoff lehnte nicht nur die Pöbelhaftigkeit der Hitler-Anhänger sowie die Vulgarität ihres Führers ab, sondern sie vertrat auch andere politische Ansichten als die Nazis. Dies führte dazu, dass sie 1933 an einzelnen kleineren Protestaktionen teilnahm, beispielsweise verteilte sie Flugblätter.[5] Aus dieser Zeit stammt ihr Ruf als „rote Gräfin“.[6] Als ihre kommunistischen Kommilitonen der Universität verwiesen wurden[7], setzte sie ihr Studium in Basel fort. Dönhoff beabsichtigte bei dem Nationalökonom Edgar Salin über Marxismus zu promovieren. Salin jedoch schlug ihr eine Arbeit darüber vor, wie ihre Familie in Ostpreußen den Grundbesitz erworben und bewirtschaftet hatte.
Nach Beendigung der Doktorarbeit besuchte sie 1935 ihren Bruder Christoph in Afrika. Zwei Jahre später kehrte sie zurück, um ihre Brüder bei der Verwaltung der Güter zu unterstützen, obwohl sie der Überzeugung war:
Daß Hitler einen Krieg anzetteln, der Jahre dauern und an dessen Ende Ostpreußen verloren sein würde, das war mir sehr bald klar.[8]
Ihre Rolle im Widerstand
Dönhoff war mit zahlreichen der späteren Widerstandskämpfer befreundet und in die Umsturzpläne involviert. Nach eigenen Angaben hielt sie die Verbindung zwischen Ostpreußen und Berlin. Hier traf sie regelmäßig Peter Graf Yorck von Wartenburg, um Informationen zu übermitteln. Außerdem habe sie versucht, Verantwortliche für den Aufbau eines freien Deutschlands nach Hitler zu rekrutieren, u. a. Heinrich Graf zu Dohna-Schlobitten.[9] Eckart Conze zufolge war es ihr als junge Frau und Angehörige des Adels möglich zu reisen, ohne Verdacht zu erregen, da dies als Pflege binnenadliger Kontakte interpretiert wurde.[10]
Dohna, ihr Cousin Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort und zahlreiche andere ihrer Freunde wurden nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 verurteilt und in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Dönhoff wurde von ihrem Onkel denunziert und von der Gestapo verhört. Da es keine Beweise gegen sie gab, wurde sie freigelassen.[11]
1994 konstatierte Dönhoff:
Lange Zeit wünschte ich, ich hätte auf irgendeiner Liste für ‚Hilfskräfte‘ gestanden: Nichts konnte schlimmer sein, als alle Freunde zu verlieren und allein übrigzubleiben.[12]
Dönhoff hat 1945 als eine der ersten an die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 erinnert und – neben der Politikerin und Publizistin Annedore Leber – das Bild des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik entscheidend mitgeprägt.[13] Dabei hob sie stets die hohe moralische Leistung der Attentäter des 20. Juli 1944 hervor. Sich selbst sah sie nicht als Widerstandkämpferin.[14]
Flucht aus Ostpreußen
Am 24. Januar 1945 erfuhr Dönhoff, dass der Landkreis Preußisch Holland evakuiert werden musste. Nachdem eine Flucht bislang von den deutschen Verantwortlichen als „Defätismus“ mit der Todesstrafe geahndet worden war, musste alles ganz schnell gehen. Dönhoff informierte die Bewohnerinnen und Bewohner von Gut und Dorf Quittainen. Diese waren völlig konsterniert, da sie tatsächlich bis zuletzt an den „Endsieg“ geglaubt hatten.
Dönhoff selbst war seit Monaten auf die Flucht vorbereitet. Sie hatte eine Satteltasche mit Waschzeug und Verbandszeug gepackt sowie einen Rucksack mit Kleidung, Papieren und Fotografien, den sie später zurücklassen musste. Gemeinsam mit dem Treck ritt sie bei minus 20 Grad zur Kreisverwaltung nach Preußisch Holland. Hier fanden sie ein verlassenes Gebäude vor. Die Gutsleute waren verzweifelt, wollten umkehren und lieber für die Russen arbeiten als fliehen. Aber sie ermutigten Gräfin Dönhoff, ihren Weg nach Westen fortzusetzen.[15]
Kurzes Intermezzo in Niedersachsen
Nachdem Marion Gräfin Dönhoff mit ihrem Pferd sieben Wochen lang von Ostpreußen nach Westfalen geritten war, traf sie im März 1945 auf dem Gestüt der Grafen Metternich auf dem Wasserschloss in Vinsebeck in Westfalen ein. Das Schloss diente als Flüchtlingslager, die Familie Metternich war ausquartiert. Dönhoff begab sich auf das Gut des befreundeten Albrecht Graf von Görtz im Ortsteil Brunkensen in der niedersächsischen Stadt Alfeld (Leine) im Landkreis Hildesheim, wo sie ihre Familie wiedertraf. Die Dönhoffs konnten dort vorerst bleiben. Marion Dönhoff gab den Kindern zeitweise Unterricht. Sie selbst verfasste für die Briten ein „Memorandum, wie es zu den Nazis kam, warum die Deutschen diesen Führer so verehrten, und was jetzt zu tun wäre“, auf das von britischer Seite jedoch keine Reaktion erfolgte. Dafür traf Ende 1945 ein Telegramm der ZEIT-Begründer aus Hamburg ein.
Marion Gräfin Dönhoff – als Redakteurin bei der ZEIT
Ohne formalen Vertrag fing Dönhoff für ein Anfangsgehalt von 600 Mark als Redakteurin bei der ZEIT an. Am 21. März 1946 berichtete sie in dem Beitrag „Ritt gen Westen“ von ihrer eigenen Flucht und wie ihr im Westen Menschen entgegenkamen, die alles verloren hatten:
Grau, elend, abgehärmt sind ihre Gesichter, in denen die Spuren angsterfüllter Bunkernächte eingezeichnet sind. Aus ihren Augen ist die Furcht längst geschwunden, stumpfe Hoffnungslosigkeit ist eingezogen.“[16] In diesen Zeilen konnten sich unzählige Flüchtlinge und Vertriebene wiederfinden. Alice Schwarzer schreibt, dass Dönhoff eine „der wenigen nicht rachsüchtigen Deutschen [war], die neben der deutschen Schuld auch den deutschen Schmerz benennen[17].
Als 1954 der NS-Staatsrechtler Carl Schmitt einen Artikel in der ZEIT veröffentlichen konnte, stellte sie eine umfangreiche Dokumentation seiner rechten Schriften zusammen und räumte anschließend ihren Schreibtisch.[18]Der ZEIT-Begründer Gerd Bucerius holte Dönhoff zurück und machte sie zur Chefin des Politikressorts. Im Laufe der Jahre stieg die Auflage der Wochenzeitung von 40.000 auf 330.000 Exemplare.[19]
Dönhoff entwickelt eine Haltung in der Ostpolitik
Ostern 1959 vertraute Dönhoff ihrem Schweizer Freund Carl Burckhardt in einem Brief an:
Ein Problem, das mich bis in meine Träume beschäftigt, ist das unserer Ostgrenze. Man hat es seit Jahren ‚verdrängt‘, aber jetzt rollt es unausweichlich auf uns zu. Und die Leute sind dem gar nicht gewachsen. Millionen von Menschen, die wie Frau Weber zweimal im Monat zum ‚Heimabend‘ [20] gehen (mit dem ganzen Nachwuchs), Erinnerungen auffrischen, pommersche Lieder singen, Fotos von Kolberg, Köstlin, Stettin austauschen und jede Nachricht von ‚zu Haus‘ gierig aufnehmen und weitergeben, solche Leute sind einfach nicht darauf vorbereitet, dass ihnen eines Tages mitgeteilt wird, sie sollen auch das noch über Bord werfen. Und dann gibt es andere, die können das alles gar nicht rasch genug abschreiben; wahrscheinlich, weil sie meinen, dadurch die östlichen Nachbarn zu versöhnen und auf diese Weise den eigenen Lebensstandard ein bisschen länger genießen zu können.[21]
Dönhoff bezog sich in ihrem Brief auf die deutschen Intellektuellen sowie Geschäftsleute von Rhein und Ruhr. Denen hielt sie entgegen, dass es eine „Verantwortung vor der Geschichte“[22] gebe für die Gebiete, die „in 700 Jahren mit unendlich viel Blut, Schweiß und Tränen erworben und erhalten und verteidigt“[23] wurden. Dönhoff macht in diesem Brief deutlich,
- dass sie die Haltung der bundesrepublikanischen Regierung sowie des Parlaments unterstütze, sich diese Gebiete niemals mit Gewalt wiederzubeschaffen – vor allem im Hinblick auf einen zu befürchtenden Atomkrieg.
- Gleichzeitig war ihr der Besitz der Ostgebiete offenbar so wichtig, dass sie schrieb, sie wäre selber bereit, „mit den Polen, die das angeht, über die Grenze zu verhandeln“[24].
- Außerdem bat sie Burckhardt um seine diesbezügliche Einschätzung, wie „die Großen der Geschichte, solche Fragen geregelt haben“ – abgesehen von gewaltsamen Aktionen.
- Gleichzeitig glaubte sie, dass die deutsche Presse zu dem Thema nicht länger schweigen könne.
- Sie meinte außerdem, es sei an ihr, dieses Thema nun zu platzieren und sie wolle, dass „die Weichen von vornherein richtig gestellt werden.“[25]
Ihr Biograf Gunter Hofmann sieht in dem Brief die „Geburtsstunde ihrer Ostpolitik“[26]. Er folgert, dass sie sich eine andere Politik gegenüber Polen wünschte. Gleichzeitig schreibt er, dass es noch weitere zehn Jahre dauern sollte, bis sie in der Grenzfrage öffentlich Farbe bekannte. Dönhoff war der Meinung, dass eine Grenze nicht „von dritten Mächten festgelegt und erzwungen“[27] werden dürfe, sondern von Polen und Deutschen selbst festgelegt und sogar neu verhandelt werden müsse. Zu jenem Zeitpunkt glaubte Dönhoff noch an ein polnisches Einlenken in der Grenzfrage.[28]
1961 forderten namhafte bundesdeutsche Intellektuelle im sog. Tübinger Memorandum mit dem Titel „Mehr Wahrheit in der Politik!“ eine aktivere Außenpolitik. Diese solle durch den Verzicht auf die Ostgebiete eine Normalisierung des Ost-West-Konfliktes mit dem Ziel der deutschen Wiedervereinigung verfolgen.[29] Der Aufschrei gerade unter Vertriebenenverbänden war groß. Dönhoff, die mit einigen der Unterzeichner des Memorandums regelmäßig zusammentraf, ermöglichte Richard von Weizsäcker für seinen unterstützenden Artikel eine ganze Seite in der ZEIT.
Im März 1964 reisten Dönhoff, Rudolf Walter Leonhardt und Theo Sommer für DIE ZEIT zwei Wochen durch die DDR und bemühten sich um einen Dialog mit den Menschen dort. Sie setzten sich damit bewusst über das Diskursverbot im Westen hinweg. Mit ihrem Programm, Gespräche über alles Trennende hinweg zu führen, nahmen sie gewissermaßen die Ostpolitik der späteren sozialliberalen Koalition vorweg, die Egon Bahr in seiner Tutzinger Rede 1963 als „Wandel durch Annäherung“ vorformuliert hatte.
Im September 1964 schrieb Marion Gräfin Dönhoff in einem Leitartikel:
„[…] niemand, der aus dem Osten kommt, wird auf Land verzichten.“[30] Im November 1965 gestand sie in einem Brief an den Theologen Ludwig Raiser: „Ohne Übertreibung und ganz kühl überlegt: Wenn man mir heute sagte, ich würde in drei Tagen tödlich verunglücken, würde ich damit wesentlich leichter fertig als mit dem Verlust meiner ostpreußischen Heimat.“[31] Beide Zitate verdeutlichen, dass Dönhoff Mitte der 1960er Jahre noch stark mit sich gerungen hat, was den „Verzicht“ auf ihre ostpreußische Heimat betrifft.
Fünf Jahre später konstatierte sie in dem bereits erwähnten Artikel „Ein Kreuz auf Preußens Grab“ jedoch: „Niemand kann heute mehr hoffen, dass die verlorenen Gebiete je wieder deutsch sein werden. Wer anders denkt, der müsste schon davon träumen, sie mit Gewalt zurückzuerobern. Das würde heißen, wieder Millionen Menschen zu vertreiben – was nun wirklich keiner will.“[32]
Würdigung
Am 17. Oktober 1971 erhielt Dönhoff für ihre „Politik der Versöhnung und Verständigung zwischen den Nationen in West und Ost“ sowie für ihre „Lebensarbeit für die Idee des Zusammenlebens der Völker ohne Gewalt“[33] den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
In Darmstadt fand am 1. März 1980 die Eröffnung des Deutschen Polen-Instituts statt. Der erste Institutsleiter Karl Dedecius, ein guter Bekannter von Dönhoff, berief sie als erste Institutspräsidentin.
1988 gründete Dönhoff die Marion Dönhoff Stiftung, die Forschungsaufenthalte von Wissenschaftler*innen und Künstler*innen aus Osteuropa und Projekte der Jugendbildung mit dem Ziel einer dauerhaften Völkerverständigung und Friedenssicherung zwischen Deutschland und den Staaten Osteuropas fördert.[34]
Seit 1995 trägt ein Gymnasium im masurischen Mikolajki (Nikolaiken) ihren Namen.
Am 11. März 2002 starb Marion Gräfin Dönhoff auf Schloss Crottof bei Friesenhagen in Rheinland-Pfalz.
Dönhoff sprach stets von ihren „zwei Leben“.
- Das „erste Leben“ war jenes einer adligen ostpreußischen Großgrundbesitzerin, das sie bis zur Flucht 1945 führte, dessen Ende jedoch bereits mit dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli 1944 begann.
- Am Anfang ihres „zweiten Lebens“ stand 1946 die Arbeit als Redakteurin bei der ZEIT, in dem es ihr darum ging „ein anständiges Deutschland“[35] aufzubauen und eine gute Zeitung zumachen.
Ihre Lebensleistung war es, sich zu einer „Persönlichkeit mit hoher Autorität“[36] zu entfalten, wie es die SPD-Politikerin Katharina Focke betonte. In gewisser Weise kann man sagen, dass Marion Gräfin Dönhoff den Heimatverlust von Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten stellvertretend für die bundesrepublikanische Gesellschaft aufgearbeitet und zu einer aktiven Friedens- und Versöhnungspolitik weiterentwickelt hat. Die Überwindung des Revisionismus kann somit als eine ihrer zentralen Lebensleistungen gelten.
Museumsverband Niedersachsen und Bremen e.V.
An der Börse 6
30159 Hannover
https://www.mvnb.de
Lesetipps zu #femaleheritage:
- Natalie Reinsch, „D.O.C.H. – ein Künstlerinnenkollektiv und seine positive Widerständigkeit“ (18.12.2020)
- Dr. Frauke Geyken, „Annedore Leber: Widerstandskämpferin und Demokratin der ersten Stunde“ (25.11.2020)
[1] Alice Schwarzer: Marion Dönhoff. Ein widerständiges Leben, Knaur Taschenbuch Verlag, München 2002, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1996, S. 199.
[2] Marion Gräfin Dönhoff: Zeichen ihrer Zeit. Ein Lesebuch, Diogenes Verlag, Zürich 2012, S. 330.
[3] Zitiert nach Schwarzer, S. 319.
[4] Gunter Hofmann: Marion Dönhoff. Die Gräfin, ihre Freunde und das andere Deutschland. Eine Biographie, C. H. Beck, München 2019, S. 301.
[5] Eckhart Conze: Aufstand des preußischen Adels. Marion Gräfin Dönhoff und das Bild des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 51, Heft 4, Oldenbourg, München 2003, S. 488. Alice Schwarzer: Marion Dönhoff. Ein widerständiges Leben, Knaur Taschenbuch Verlag, 2002, München, Kiepenheuer & Witsch 1996, Köln, S. 95.
[6] Schwarzer, S. 83 und S. 96.
[7] Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kam es an den Universitäten zu einer „Säuberungswelle“. Über schwarze Listen wurden Studierende, die die neuen Machtbarer kritisch sahen, von den Universitäten relegiert. An der Erstellung dieser Listen waren auch Studierende beteiligt. Michael Grüttner: Studenten im Dritten Reich, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn u.a. 1995.
[8] Zitiert nach Schwarzer, S. 112.
[9] Schwarzer, S. 133f.
[10] Conze, S. 488.
[11] Schwarzer schreibt, dass Dönhoff „sich nicht auf die Liste der später zu übernehmenden Posten setzen“ ließ, da sie davon ausging, nach Kriegsende weiter das Gut zu verwalten. Schwarzer unterstellt außerdem, dass Dönhoff für die Posten nicht berücksichtigt wurde, da sie eine Frau war. Schwarzer, S. 138.
[12] Zitiert nach Conze, S. 489.
[13] Vgl. hierzu den Aufsatz von Conze.
[14] Über die Rolle von Dönhoff im Widerstand gegen Hitler ist 1998 eine Kontroverse entbrannt, nachdem der Schweizer Historiker Paul Stauffer einen Brief von Carl Jacob Burckhardt, in dem dieser 1938 bereits von Widerstandsaktivitäten Dönhoffs berichtet, als nachträgliche Fälschung bezeichnet hat. Dönhoff empfand dies als Verleumdung. Vgl. Conze, S. 489 und Hofmann, S. 210. Burckhardt war von 1937 bis 1939 Hoher Kommissar des Völkerbundes in Danzig und mit Dönhoff seit ihrem Studium in der Schweiz befreundet.
[15] Stauffer hat 2008 anlässlich seiner Rezension der Dönhoff-Biografie von Klaus Harpprecht einen Brief zitiert, wonach Dönhoff bereits im November 1944 davon ausging, dass eine Flucht im Treck aussichtslos sei und sie beabsichtige sich mit dem Reitpferd alleine nach Westen durchzuschlagen. Dies stehe im Widerspruch zu ihrer späteren Darstellung, wonach die Quittainer Gutsleute alle gemeinsam entschieden hätten, dass sie alleine weiterreiten solle. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/politik/preussens-grosse-soloreiterin-1700744.html?printPagedArticle=true#pageIndex_4 zuletzt abgerufen am 05.01.2021.
[16] Zitiert nach Schwarzer, S. 170.
[17] Ebd., S. 171.
[18] Stauffer weist darauf hin, dass sie zuvor ihrem Chef Richard Tüngel die Stange hielt, der für die Veröffentlichung des Schmitt-Textes verantwortlich war und der im „Dritten Reich“ weniger Berührungsängste gegenüber den Nationalsozialisten gehabt habe als sie. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/politik/preussens-grosse-soloreiterin-1700744.html?printPagedArticle=true#pageIndex_4 zuletzt abgerufen am 05.01.2021. Über die NSDAP-Mitgliedschaft ihres Schwagers Heinrich Lehndorff schwieg sie sich aus. Hofmann, S. 73.
[19] Schwarzer, S. 181.
[20] Gemeint sind Heimatabende, die in den sog. Heimatstuben der Flüchtlinge und Vertriebenen veranstaltet wurden und die der Begegnung und dem Austausch von Erinnerungen dienten.
[21] Marion Gräfin Dönhoff: Zeichen ihrer Zeit. Ein Lesebuch, Diogenes Verlag, Zürich 2012, S. 328. Der Brief datiert vom 29.03.1959. Es ist die Stadt Köslin gemeint.
[22] Ebd.
[23] Ebd.
[24] Ebd., S. 329.
[25] Ebd.
[26] Hofmann, S. 283.
[27] https://www.deutscheundpolen.de/personen/person_jsp/key=marion_d%25f6nhoff.html zuletzt abgerufen am 14.12.2020.
[28] Hofmann, S. 299.
[29] https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2000_3_3_greschat.pdf S. 1, zuletzt abgerufen am 10.11.2020.
[30] Hofmann, S. 299.
[31] Zitiert nach Hofmann, S. 299f.
[32] Zitiert nach ebd., S. 302.
[33] Schwarzer, S. 200.
[34] http://www.marion-doenhoff.de/?seite=stiftung&sprache=de zuletzt abgerufen am 14.12.2020.
[35] Hofmann, S. 17.
[36] Zitiert nach ebd S. 20f.