Ilse Frapan und ihre Lebensgefährtin Emma Mandelbaum setzten sich für Frauenrechte ein. Sie kann auch als Impulsgeberin für die pazifistischen Bestrebungen innerhalb der Zürcher Frauenbewegung angesehen werden. Ein Beitrag zur Blogparade #femaleheritage.
Wer sich nicht empört gegen die Brutalität seiner Zeit, der ist an der Brutalität seiner Zeit mitschuldig!
Ilse Frapan
Ilse Frapans Werdegang bis zu ihrem Freitod
Ilse Frapan (alias Elise Levien, 1849-1908) war um 1900 als Schriftstellerin einem Millionenpublikum bekannt. Sie war Frauenrechtlerin, Pazifistin, Repräsentantin der „Ethischen Kultur“ und Gründerin eines Kinderschutzbundes, Übersetzerin von Tolstois „Auferstehung“, gewaltfreie Anarchistin und Kämpferin für die armenische Befreiungsbewegung.
Geboren in Hamburg und aufgewachsen in der multikulturellen Neustadt wurde sie zunächst Lehrerin. Sie unterrichtete an der von den freisinnigen Frauen Hamburgs gegründeten, von der Fröbel-Pädagogik und jüdisch-aufklärerischen Bildungsidee beeinflussten „Schule des Paulsenstifts“ für Mädchen. Dort lernte sie auch ihre Lebensgefährtin, die aus Russland stammende jüdische Dissidentin Emma Mandelbaum (1855-1908), Malerin und Bildhauerin, kennen, mit der sie ihr Leben bis zu beider gemeinsamem Freitod 1908 teilte.
Literarisch geprägt wurde Frapan von Theodor Storm und Friedrich Theodor Vischer, bei dem sie in Stuttgart Vorlesungen über Ästhetik zu einer Zeit hörte, als Frauen offiziell in Deutschland noch keinen Zutritt zu Universitäten hatten. Von 1888 bis 1890 verkehrte sie in München in der Heyse-Villa, dem Mittelpunkt des literarischen Münchens. Zunächst von Paul Heyse gefördert, entfremdete sie sich in den folgenden Jahren von ihm.
Ab 1892 studierte sie Naturwissenschaften in Zürich. Sie gehörte zur Gruppe der Gründerinnen des „Frauenrechtsschutzvereins“ um Emilie Kempin-Spyri, der ersten promovierten Schweizer Juristin. Sie engagierte sich im „Frauenbildungsverein“, in dem auch Anita Augspurg zeitweise mitarbeitete, und in der „Union für Frauenbestrebungen“. Ab 1901 gab sie vor, mit dem Armenier Iwan (Hovhannes) Akunian (1869-1947) verheiratet zu sein. Frapan und Mandelbaum lebten zusammen mit ihm ab 1902 in dem kleinen Dorf Onex bei Genf in einer Art „Landkommune“. Von hier aus unterstützen sie den Befreiungskampf der Armenier. Als Frapan 1908 unheilbar an Magenkrebs erkrankte, gingen die beiden Frauen gemeinsam in den Tod.
Einsatz für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit
Schutz der Frauen in Verfolgung ihrer Rechte![1]
Frapan und Mandelbaum verfochten zusammen mit Kempin-Spyri die Durchsetzung von bestehenden Frauenrechten. Sie beteiligten sich an unentgeltlichen Rechtsberatungen in Zürich und engagierten sich im Martha-Verein gegen den internationalen Frauenhandel. Mit juristischen fundierten Eingaben versuchten sie auf das BGB von 1900 zugunsten von Frauenrechten einzuwirken. Sie forcierten den Zusammenschluss der progressiven Zürcher Frauenvereine, denn nur „Einigkeit macht stark“. Durch ihre Freundschaft mit russischen Exilant*innen näherten sich Frapan und Mandelbaum dem gewaltfreien Anarchismus Tolstois an, dessen Roman „Auferstehung“ sie übersetzten. Davon inspiriert kann Frapan als Impulsgeberin der pazifistischen Bestrebungen innerhalb der Zürcher Frauenbewegung angesehen werden.[2]
Ilse Frapans Schriften: vom poetischen Realismus zur engagierten Literatur
Frapan war Berufsschriftstellerin. Insbesondere durch ihre zahlreichen Novellenbände machte sie sich einen Namen. Außerdem verfasste sie das innovative Kinderbuch „Hamburger Bilder für Hamburger Kinder“ (1899), zwei Dramen und drei Romane. Zunächst stellte sie im Sinne des poetischen Realismus individuelle Konflikte des Menschen dar, oft mit treffendem Humor. Das Personal ihrer Erzählungen stammt aus den Unterschichten, dem Kleinbürgertum und dem Proletariat.
Ab Mitte der 90iger Jahre verfasste sie zunehmend engagierte Literatur aus der Perspektive von bürgerlichen Frauen und weiblichen Dienstboten, deren Ausbeutung sie bloßlegte. Sie skizzierte neue Lebensmodelle für Frauen, unter anderem in ihrem Novellenband „Flügel auf!“ (1895), z. B. in der Beziehung einer älteren Frau zu einem Studenten („Weiße Flamme“, 1895) – von der Kritik als „widrige Verliebtheit“ abgetan. Sie plädierte für partnerschaftliche Verbindungen auf Augenhöhe, für deren Voraussetzung sie eine gute Bildung von Frauen ansah. Konvenienz-Ehen lehnte sie ab, was ihr den Vorwurf einbrachte, sie habe „stark weiberfeindliche Anwandlungen“.
Ihre Frauenfiguren sind starke, lebenslustige Menschen, nur selten in der Opferrolle. In „Vaterrecht“ (1900) griff sie das Thema Mädchenhandel auf und decouvrierte autoritäres frauenfeindliches Handeln des Staates. In ihren ironisch gemeinten „Retter der Moral“ (Drama, 1905) demaskiert sie Frauen entwürdigendes Verhalten der Sittenpolizei als Vertretung der Staatsmacht. Provokant lässt sie sie mit Polypen- und Schweinemasken auftreten.
Als libertäre Sozialistin/Anarchistin setzte sie ihre Hoffnungen auf eine gerechtere Welt gegen Kapitalismus und Imperialismus nicht auf Institutionen, sondern auf verantwortungsbewusste Individuen, insbesondere auf Frauen.
Intensive Betätigung aller positiven Kräfte, ohne Unterschied des Geschlechts, ohne Schranken, die das eine Geschlecht dem anderen ungerecht in den Weg stellt – das ist mein Programm. Die Frauen werden außerdem noch die Spezialaufgabe zu erfüllen haben, dass sie die tolle Vergeudung und Vernichtung des Lebens, – in der ein großer Teil der gesamten männlichen Tätigkeit besteht und wovon die Kriege nur ein Fetzen sind, – aufzuhalten und unmöglich zu machen suchen.[3]
Ilse Frapan
Da sie ihrer Vaterstadt Hamburg in ihrer Erzählung „Wir Frauen haben kein Vaterland“ (1899) indirekt vorwarf, weibliche Studierende nicht zu unterstützen, und da ihre „Retter der Moral“ in ihrer Vaterstadt auf die Bühne kamen, wurde sie in Hamburg zur persona non grata. Nur ein kleines Sträßchen in einem Vorort erinnert an diese bedeutende Tochter Hamburgs. Dass sie fast gänzlich vergessen ist, liegt auch daran, dass man sie im Nationalsozialismus aufgrund ihres Geburtsnamens Levien und ihrer Partnerschaft mit Emma Mandelbaum als „lesbische Jüdin“ abstempelte.
Ich habe Leben und Werk Ilse Frapans und Emma Mandelbaums, mit Schwerpunkt auf Frapan, in Jahre langen Recherchen grundlegend erforscht und ein Buch über sie geschrieben:
- Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849-1908) Leben, Werk und öffentliches Wirken, 2023.
[1] Protokoll vom 28.5.1894 Heft 1 (1893-1896) des „Frauenrechtschutzvereins“, SOZARCH Zürich, Frauenstimmrechtsverein Zürich, Ar.6.10.5.
[2] Annie Hofmann, Union für Frauenbestrebungen Zürich 1893-1928, Zürich, 1928, S. 23ff.
[3] Frapan aus Genève-Onex, Route d’Onex, Campagne Schaffner, an Moritz Necker, 18.8.1902, Wienbibl. im Rathaus, H.I.N. 139239