Was sind eure Buchtipps zur Ausstellung Frei leben!? Das möchten wir – unter anderem – im Raum mit unseren heutigen Stimmen wissen. Unseren Besucher*innen fällt eine Menge dazu ein. Diese rege Partizipation freut uns riesig.
Für das mon_boheme-Magazin* zur Ausstellung #FrauenDerBoheme fügen wir den vielen Vorschlägen unsere persönlichen Empfehlungen hinzu: Im Folgenden stellt das Team der Monacensia eigene Lieblingslektüren vor. Ob Zeitgenössisches oder Klassiker, Romane, Kurzgeschichten, Essays, Gedichte oder Briefe: Von jedem dieser Bücher führt eine feine Linie zu den #FrauenDerBoheme. Lasst euch inspirieren und teilt eure Leseerfahrungen mit uns – in den sozialen Medien oder weiterhin in der Ausstellung!
Frei leben und lesen: Buchtipps aus der Monacensia
Klar wollen wir das lesen. Okay. Versprochen. Vielleicht ja dann im Herbst.
Jovana Reisinger
Jovana Reisinger: Enjoy Schatz
Schamlose Selbstdarstellung hat sich Jovana Reisinger als Aufgabe für ihren Essay-Band „Enjoy Schatz“ gesetzt. Zugleich leistet sie in ihren Texten über weibliche Sexualität, Autorschaft, Lebens- und Arbeitsmodelle etwas noch viel Interessanteres: eine messerscharfe Selbstentlarvung, die so gut ist, dass man sich beim Lesen ständig dabei erwischt, wie man von einer Falle in die nächste tappt. Das Ganze ist ziemlich klug und ziemlich lustig, so wie auch Reisingers Romane oder ihre Kolumnen, die ich ebenfalls sehr empfehlen kann.
Lest auch den Blogbeitrag von Jovana Reisinger für unser mon_boheme-Magazin.
LISA-KATHARINA FÖRSTER, PROGRAMM / KOMMUNIKATION
Lisa Jaspers, Naomi Ryland, Silvie Horch (Hrsg.): Unlearn Patriarchy
Das Patriarchat zu überwinden ist nicht einfach. Auch weil sich implizite Vorurteile in unseren Köpfen halten. In „Unlearn Patriarchy“ schreiben die Autor*innen in 15 Essays über Themen wie Identität, Arbeit, Politik oder Liebe. Dabei analysieren sie den Status quo und liefern wertvolle Ansätze dazu, wie wir patriarchale und sexistische Normen oder Verhaltensweisen sozusagen verlernen können.
Nicht nur die Themen überzeugen in einer breiten Auswahl und Intersektionalität: Auch die sorgfältig nach ihrer jeweiligen Expertise ausgewählten Autor*innen – darunter Teresa Bücker, Kübra Gümüşay, Emilia Roig und Kristina Lunz – bieten vielfältige Perspektiven.
Und: Lektorin Silvie Horch wird bewusst als Mitherausgeberin genannt, um die meist unsichtbare Arbeit von Lektor*innen zu würdigen.
SILVIA KLEIN, REDAKTIONS- UND VERANSTALTUNGSASSISTENZ
Tracey Emin: Strangeland
Diese Memoiren sind ein wirklich intensives Leseerlebnis. Tracey Emin beschreibt ihre Jugend in England, ihre Rebellion als junge Frau und werdende Künstlerin und nicht zuletzt ihre katastrophalen Beziehungen zu Männern, die sie an einer Stelle resümiert:
Als ich allmählich wieder bei Sinnen war – etwa mit dreißig –, hatte ich diese seltsame romantische Vorstellung, ich würde mit niemandem mehr ins Bett gehen, es sei denn, ich würde ihn wirklich lieben. Vielleicht lag das daran, dass ich so viele beschissene Beziehungen und zwei Abtreibungen hatte.
Im Abschnitt „Traceyland“ gibt Tracey Emin sehr praktische Hinweise für den Umgang mit einer ungewollten Schwangerschaft. Schwanger sein, sich ein Kind wünschen, ein Kind nicht mit dem eigenen Leben verbinden zu wollen oder können, das sind Themen, die sie immer wieder reflektiert.
Und die Bilder zu ihrem Buch lieferte die bildende Künstlerin gleich selbst. Im Original 2005 und 2009 in München im Blumenbar Verlag erschienen, ist „Strangeland“ nur noch antiquarisch erhältlich – oder auszuleihen in der Münchner Stadtbibliothek.
ANKE BUETTNER, LEITERIN DER MONACENSIA
Selma Lagerlöf: Charlotte Löwensköld
Die Verlobung der jungen Charlotte Löwenskold zerbricht an der grundlosen Eifersucht ihres Bräutigams, des Hilfspfarrers Karl-Artur Ekenstedt. Charlotte setzt alles daran, die Beziehung zu retten und den Ruf Karl-Arturs zu wahren. Sie erträgt Demütigungen und üble Nachrede und lässt sich letztlich sogar zur Ehe mit einem anderen Mann drängen.
Für die Neuübersetzung des Romans der Literaturnobelpreisträgerin Selma Lagerlöf (1858–1940) hat Mareike Fallwickl ein bemerkenswertes Nachwort geschrieben. Darin ordnet sie das erstmals 1925 erschienene Werk in den heutigen Diskurs ein, seziert das damalige Frauenbild und streicht Themen heraus, die auch in unserer Ausstellung Frei leben! aufgegriffen werden: die Ehe als damals fast unumgängliche, da existenzsichernde Institution; die Erwartungen an Mütter; und die Beziehungen von Frauen untereinander.
Lest auch den Blogbeitrag von Mareike Fallwickl für unser mon_boheme-Magazin:
SYLVI SCHLICHTER, VERWALTUNG
Marta Karlweis: Der Zauberlehrling
Nach der ersten Szene hätte ich das Buch am liebsten in die Ecke gepfeffert. Ein schmieriger Dichter fällt über eine junge Frau her, sie schwankt dabei zwischen Sich-Zieren und Mitmachen. Als Feministin bin ich enttäuscht, wenn Autorinnen – Frauen! – so etwas schreiben. Ich weiß natürlich, dass ich an historische Texte keinen heutigen feministischen Maßstab anlegen darf. Aber trotzdem. Darf ich dieses Buch dann weiterempfehlen?
Ja. Denn ich habe weitergelesen, und Marta Karlweis (1889–1965) hat mich nicht enttäuscht. Sie schafft es auf eine sehr besondere Art, den Dichter zu entlarven. Mehr wird nicht verraten.
Die Künstlernovelle „Der Zauberlehrling“ ist ihr Debüt aus dem Jahr 1912. Die österreichische Autorin war zu Lebzeiten äußerst bekannt, ihre Werke wurden aber vergessen. Der Wiener Verlag dvb holt Marta Karlweis (und andere vergessene Autor*innen!) zurück ins literarische Gedächtnis.
REBECCA FABER, PROGRAMM
Margarete Beutler: Ich träumte, ich hätte einen Wetterhahn geheiratet
Ob das kleine Gretchen, die junge Frau an der Dachauer Amper, die Tänzerin Tonetta, die Freundin Ludmilla oder Johnny, das alte Mondkalb – in den Erzählungen von Margarete Beutler (1876–1949) begegnen uns überraschende Charaktere und unabhängige Frauenfiguren. Die kurzweiligen und humorvollen Geschichten spielen an vielfältigen Orten, von der Kabarettbühne der Münchner Boheme um 1900 bis zur Ehescheidungsschule im Berlin der 1920er-Jahre. Geschlechterbilder, Machtverhältnisse und bürgerliche Moralvorstellungen werden kurzerhand auf den Kopf gestellt.
Der Erzählungsband ist ein erster wichtiger Schritt zur Wiederentdeckung von Margarete Beutler, die zu Lebzeiten unter den Künstler*innen der Boheme bestens vernetz war, heute aber eine „fast vergessenen Schriftstellerin“ ist, wie es im Vorwort heißt.
LAURA MOKROHS, KURATORIN
Franziska Gräfin zu Reventlow: Der Geldkomplex. Meinen Gläubigern zugeeignet
Seitenhiebe gegen die aufkeimende Psychoanalyse, eine geldgierige Gesellschaft und autobiografische Züge kennzeichnen diesen Briefroman von Franziska Gräfin zu Reventlow (1871–1918). Die Handlung spielt in einem Sanatorium. Die Icherzählerin leidet unter einem Geldkomplex.
Es ist ja klar, dass das Geld mich immer noch foppen will.
Diese Neuausgabe ist mit wunderschönen Illustrationen versehen. Zudem verortet Gunna Wendt im Nachwort Franziska zu Reventlow und ihre Schriften in der Zeit.
TANJA PRASKE, DIGITALE VERMITTLUNG
Emmy Hennings: Das Brandmal
Für dieses Zehnmarkstück wurde ich selbst auf den Tisch gelegt, es wurde mit mir bezahlt.
Das schreibt Emmy Hennings (1885–1948) in ihrem zweiten Roman „Das Brandmal“ aus dem Jahr 1920. Sie bezeichnet ihn auch als Tagebuch, denn das, was ihre Hauptfigur Dagny erlebt und denkt, bewegt sich eng entlang der eigenen Lebensgeschichte. Es geht um das prekäre Leben als Varietékünstlerin und Animierkellnerin, um Geld und Existenznöte, um Prostitution und den Wert des Menschen.
Das Buch wurde damals von der Literaturkritik gefeiert. Heute ist es fast vergessen. Die Themen Geld und Scham dagegen sind sehr gegenwärtig. Umso schöner, dass der beeindruckende Text und die Schriftstellerin Emmy Hennings durch eine sorgfältig edierte und kommentierte Studienausgabe wieder neu entdeckt werden können.
SYLVIA SCHÜTZ, DAS BRANDMAL
Emmy Hennings – Hugo Ball: Seiltänzer noch im Dunkeln
„Seiltänzer noch im Dunkeln“ ist ein wahr gewordener Traum – ein Traum, den Emmy Hennings zu Lebzeiten nicht mehr verwirklichen konnte. Bärbel Reetz stellt in diesem Band Hennings und ihren Mann Hugo Ball (1886–1927) in zugewandten Gedichten und Briefen gegenüber, angereichert mit fantasievoll-intimen Handzeichnungen Balls an seine große Liebe.
Mit einer fein komponierten Einführung der Herausgeberin öffnet sich ein Blick auf das Miteinander zweier bewegter Leben.
THOMAS SCHÜTTE, ARCHIVLEITER
Sandra Kegel (Hrsg.): Prosaische Passionen im kulturellen Archiv
Es sei höchste Zeit, den literarischen Kanon zu überschreiben, fordert Sandra Kegel:
Viel zu viele weibliche Stimmen sind bis heute nicht in der Welt.
Mit ihrer über 900 Seiten starken Anthologie „Prosaische Passionen“ hat sie den Schritt gewagt: Die Short Storys der 101 zwischen 1850 und 1921 geborenen Autorinnen – sowie der etwas älteren Sofja Tolstaja – wurden aus 25 Weltsprachen übertragen, einige davon erstmals ins Deutsche. Neben Ikonen der literarischen Moderne wie Irmgard Keun, Selma Lagerlöf, Doris Lessing, Virginia Woolf und Simone de Beauvoir gibt es also einige beeindruckende Autorinnen neu zu entdecken.
Doch ob mehr oder weniger bekannt: Sie alle zeigen, was Kurzprosa leisten kann. Und sie beweisen, so Kegel, dass spätestens um 1900 „die Weltliteratur nicht mehr bloß ein Gruppenbild mit Dame“ ist.
Mehr zu dem Buch erfahrt ihr im Blogbeitrag von Sandra Kegel.
TINA RAUSCH, FREIE REDAKTEURIN
Ihr könnt auch nicht entscheiden, womit ihr beginnen wollt? Dann empfehlen wir zum Einstieg Frei leben! Frauen der Boheme 1890 – 1920, herausgegeben von Anke Buettner, Laura Mokrohs und Sylvia Schütz. Das im Verbrecher Verlag erschienene Buch zur Ausstellung vereint Erzählungen, Gedichte, Essays und Briefe unserer drei Ausstellungsprotagonistinnen Franziska zu Reventlow, Margarete Beutler und Emmy Hennings mit neuen Texten von Volha Hapeyeva, Florian Kreier, Mira Mann, Bettina Wilpert und Jovana Reisinger.
* Die Artikel-Serie im Online-Magazin mon_boheme zu #FrauenDerBoheme verlängert die Ausstellung Frei leben! Die Frauen der Boheme 1890–1920 der Monacensia in den digitalen Raum hinein. Sie vertieft und ergänzt die Themen der damaligen Zeit um heutige literarische und wissenschaftliche Perspektiven.