Zur Notwendigkeit der Schönheit: Elisabeth von Hildebrand, Clotilde Brewster und Lola Peploe

Elisabeth und Clotilde Brewster im Gespräch in Sommerkleidern auf San Francesco di Paola

Drei Künstlerinnen, drei Generationen, drei Lebenslinien im Zeichen der Schönheit: Elisabeth von Hildebrand (1878-1956), Clotilde Brewster (1915-1997) und Lola Peploe (*1979) verbindet eine leise, beharrliche Hingabe an die Kunst. Felicitas Ehrhardt folgt ihren Spuren von Florenz bis in die kargen Landschaften der Ägäis – durch Malerei, Exil, Film und Erinnerung. Ein Familienporträt über gelebte Kunst, weibliches Erbe und die stille Kraft der Selbstbestimmung. Ein Beitrag zu «Maria Theresia 23».

Künstlerische Wurzeln: Die Familie Hildebrand in Florenz

Those girls are brought up what I call perfectly (…). They have never read anything but the finest books (in all languages), never seen anything but the greatest works of art, never heard anything but the best music. And they like all these things – fine books, great art, beautiful music – very, very much.1

Mit diesen Worten beschreibt 1887 Mary, US-amerikanische Kunsthistorikerin und Ehefrau von Bernard Berenson, einem der größten Kunstkenner seiner Zeit, einen Besuch bei der Familie Hildebrand. Auch die englische Komponistin Ethel Smyth macht eine ähnliche Beobachtung in Bezug auf die Kinder:

The family consisted of several children, mostly girls – all of them budding sculptors, painters and poetesses.2

Elisabeth von Hildebrand in der Loggia von San Francesco di Paola in Florenz in Fechterkostüm mit Degen in der Hand und untergeklemmten Helm.
Elisabeth Hildebrand in der Loggia von San Francesco di Paola in Florenz. © Privatarchiv Brewster/Peploe, Florenz.

Elisabeth von Hildebrand: Kunst als Lebenselixier

Eines dieser ungewöhnlichen, in der Kunst beheimateten Kinder ist Elisabeth (1878–1956). Der zweitältesten Tochter von Irene und Adolf von Hildebrand kommt für das Fortbestehen von San Francesco di Paola bis zum heutigen Tag eine wichtige Rolle zu: Denn sie war es, die einen Großteil des Florentiner Familienanwesens nach der Enteignung im Ersten Weltkrieg zusammen mit ihrem Mann zurück erwarb und San Francesco gleichsam mutig wie entschlossen durch die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges brachte. Somit befindet sich das große Anwesen durch Elisabeths Einsatz nun schon seit über 150 Jahren durchgehend in Privatbesitz der Familie.3

Ölgemälde, Paesaggio di Sessa Aurunca, von Elisabeth Brewster Hildebrand
Elisabeth Brewster Hildebrand, Paesaggio di Sessa Aurunca in autunno, 1938, 80×100 cm. © Privatarchiv Brewster/Peploe, Florenz.

«Lisl», die zusammen mit ihren Schwestern von Kindesbeinen an Modell für ihren Vater stand, zeigte schon früh großes Interesse am Zeichnen und Malen. Hildebrand unterstützte und förderte sie darin. Ohne je eine künstlerische Karriere zu verfolgen, wurde die Kunst für sie zum Lebenselixier. So eigenwillig und unabhängig wie in ihrem Wesen drückte sie sich auch in der Malerei aus und schuf metaphorische Bildwelten mit einem ganz eigenen Klang.4

Ölgemälde von Elisabeth Brewster Hildebrand, meditierende Menschen sitzend, stehend, liegend mit Katze und Hund in idyllischer Landschaft in Italien
Elisabeth Brewster Hildebrand, Meditazione, Oel auf Leinwand, 106×193 cm, 1934, Privatbesitz. © Privatarchiv Brewster/Peploe, Florenz.

1902 heiratete Lisl, die wegen ihrer Schönheit auch «Mona Lisa» genannt wurde, Christopher Brewster (1879–1928), den einstigen Spielgefährten aus Kindheitstagen. Dessen Eltern gehörten zu den ältesten Freunden der Hildebrands: Julia, geborene von Stockhausen aus dem alten europäischen Adel stammend, hochmusikalisch, als Kind schon Schülerin von Frédéric Chopin, und der Anglo-Amerikaner Henry Bennet (H. B.) Brewster, den Henry James in «Notes of a Son and Brother» als «the clearest case of ‹Cosmopolitan culture›» bezeichnete.5

Sitzendes Ehepaar Elisabeth und Christopher Brewster, 1903.
Das junge Ehepaar Elisabeth und Christopher Brewster, um 1903. © Privatarchiv Brewster/Peploe, Florenz.

Mit der gebildeten Welt in Kontakt stehend, führte diese Ehe zwei Familien zusammen, in denen ein internationaler und kosmopolitischer Geist zu Hause war. In dieser Atmosphäre wuchsen die drei Kinder des Paares auf:

  • Ralph (1905–1951),
  • Harry (1909–1999) und
  • Clotilde (1915–1997).

Clotilde Brewster Peploe: Malerei als Landkarte der Seele

Clotilde, genannt Cloclo, wuchs auf San Francesco di Paola in einer Welt der Kunst auf. Ab den 1920er-Jahren begleitete sie ihre Mutter auf deren Reisen, um das zu tun, was für sie zu einer inneren Bestimmung wurde: zu malen. Immer weiter spann sich der Radius von der Maremma und Elba über Sizilien, Kampanien und Dalmatien bis nach Griechenland. Auf Korfu und Santorin waren sie Gäste des französischen Aristokraten Reynald de Simony, der zum wichtigen Freund und Wegbegleiter für beide Frauen wurde.

Elisabeth und Clotilde Brewster auf Mauer in Griechenland sitzend. Elisabeth schützt Kopf mit Decke.
Lisl und Cloclo in Griechenland, um 1931. © Privatarchiv Brewster/Peploe, Florenz.
Ölgemälde von Clotilde Peploe, Vase mit Orangen auf Mauer, Le arance, Sessa Aurunca
Clotilde Peploe, Le arance, Sessa Aurunca, 1935, 81×60 cm. © Privatarchiv Brewster/Peploe, Florenz.

Jene Reisen glichen oft monatelangen Wanderungen, durchgeführt mit einer spartanischen Anspruchslosigkeit und einzig der Malerei gewidmet. So berichtet die leidenschaftliche Cloclo ihrem Freund, dem Schriftsteller Arturo Loria, 1937 nach der Ankunft in Sessa Aurunca:

[…] la nostra vita ideale di lavoro è principata ed io mi sento dopo tanti mesi di nuovo come un pesce nell’acqua.»6

([…] unser ideales Arbeitsleben hat begonnen und ich fühle mich nach Monaten wieder wie ein Fisch im Wasser.)

Elisabeth und Clotilde Brewster im Gespräch in Sommerkleidern auf San Francesco di Paola
Lisl und Cloclo in San Francesco di Paola, Florenz, um 1929. © Privatarchiv Brewster/Peploe, Florenz.

Auch in Florenz waren die 1920er- und 1930er-Jahre von einem regen kreativen Austausch geprägt. So versammelten sich um die beiden Frauen Künstler und Intellektuelle aus aller Herren Länder, und für San Francesco di Paola begann eine neue Blütezeit als Künstlerhaus.7

Elisabeth und Clotilde Brewster auf Esel am Strand sitzend, begleitet von einem Hirten in Griechenland
Lisl und Cloclo in Griechenland, um 1929. © Privatarchiv Brewster/Peploe, Florenz.

1939 heiratet Cloclo den schottischen Galeristen Willy Peploe (1910–1965), Sohn des Malers Samuel J. Peploe. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zwang das frisch vermählte Paar, das sich gerade in Santorin aufhielt, nach Zypern und von dort über Palästina nach Tansania zu fliehen. In Afrika wurden die beiden ersten Kinder des Paares geboren: Clare (1941-2021) und Mark (1943–2025), die ihrerseits im Erwachsenenalter beeindruckende Karrieren im Film machten.8 Die jüngste Tochter Cloe (1946-2008) erblickte auf San Francesco di Paola das Licht der Welt. 

Bis zu ihrem Tod setzte Cloclo, unbeirrt aller zeitgenössischen Tendenzen, einzig mit Palette, Leinwand und Farbe ausgestattet, ihre Suche nach der für sie «notwendigen Schönheit» fort. Sie fand sie in den kargen Landschaften der südlichen Ägäis und in den einfachen Dingen wie Krügen, Gräsern, Kakteen.9

Selbstbildnis von Clotilde Peploe, 1934
Clotilde Peploe, Selbstbildnis, 1934 ca. 68×58 cm. © Privatarchiv Brewster/Peploe, Florenz.

2004 widmete ihr die Galleria d’Arte Moderna des Palazzo Pitti in Florenz eine Retrospektive. Im Ausstellungskatalog schrieb der Filmregisseur Bernardo Bertolucci (1941–2018), seit 1979 mit Cloclos ältesten Tochter Clare verheiratet, einen kurzen, fulminanten Text mit dem Titel «Due limoni, una scopa»,in dem er die Gemälde der Künstlerin als Visionen und Landkarten der Seele beschreibt, aber vor allem als das: als ein «tête-à-tête con Dio».10

Lola Peploe: Auf den Spuren ihrer Großmutter Cloclo

Auf den Spuren jenes einfachen Lebens, das aus Malerei, Spaziergängen und Freundschaften mit den Einheimischen bestand, beschließt Cloclos 1979 geborene Enkelin Lola Peploe ihren Film «Grandmother’s Footsteps»  (2023). Dafür kehrt die in Frankreich lebende Schauspielerin und Regisseurin zurück auf die Inseln Amorgos und Serifos. Dieses Mal aber nicht wie in ihrer Kindheit, um mit ihrem Vater Mark ihre extravagante Großmutter zu besuchen, sondern um die Künstlerin zu entdecken, die Clotilde wirklich war. Und um jener für die junge Mutter und Regisseurin so entscheidenden Frage näherzukommen:

  • Was bedeutete es für frühere Generationen, eine Frau, Mutter und Künstlerin zu sein?
  • Und was bedeutet es bis heute?
Lola Peploe über Tisch mit Karten zum Filmdreh zu Grandmother's Footsteps gebeugt, San Francesco di Paola, Florenz
Lola Peploe während der Dreharbeiten an “Grandmother’s Footsteps” in San Francesco di Paola, Florenz, 2018. © Privatarchiv Brewster/Peploe, Florenz.

Gelungen ist Lola Peploe ein intimes Porträt einer einzigartigen Künstlerin und einer «modernen, freien und mutigen Frau». (Arte TV)

  1. Mary Berenson, zitiert nach Harry Brewster: «The Cosmopolites: a Nineteenth-century Family Drama», Norwich 1994, S. 274. ↩︎
  2. Ethel Smyth: «Impressions that remained», 2 Bde., London 1919, S. 309. ↩︎
  3. Vgl. Felicitas Ehrhardt: «Ästhetisches Utopia. Adolf von Hildebrand und sein Künstlerhaus San Francesco di Paola in Florenz», Regensburg 2018, S. 181–190. ↩︎
  4. Zum Leben und Werk Elisabeth Brewster: «Natura e Bellezza. Elisabeth Brewster Hildebrand», hrsg. von Susanna Ragionieri und Francesco Centurione Scotto Boschieri, Lucca 2007. ↩︎
  5. Mehr zur Familiengeschichte der Brewsters und ihrem sozialen Umfeld vgl. Harry Brewster: «The Cosmopolites, a Nineteenth-Century Family Drama», Norwich, 1994. Laura Fitzmaurice: Clotilde Brewster. Pioneering Woman Architect. London 2024. ↩︎
  6. Sessa Aurunca, 20.7.1937, Cloclo an Arturo Loria, Fondo Loria, L.69.6, in: «Clotilde Peploe. Dalla Toscana all’Egeo», Ausstellungskatalog hrsg. von Susanna Ragionieri, Palazzo Pitti, 31.3.–28.6.2004, S. 119. Ins Deutsche übersetzt von Felicitas Ehrhardt. ↩︎
  7. Vgl. FN 3, S. 203–210. ↩︎
  8. 1970 gehörte Clare Peploe zu den Drehbuchautor*innen von Michelangelo Antonionis «Zabriskie Point»; 1975 schrieb Mark Peploe das Drehbuch von Antonionis «The Passengers» (deutscher Titel: «Beruf: Reporter»); 1976 arbeiteten Clare Peploe und Bernardo Bertolucci zusammen an dem berühmten Monumentarfilm «Novecento»  und 1979 drehten sie den  den raffinierten und unruhigen Film «La Luna». In den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren schrieb Mark Peploe die Drehbücher für «Der letzte Kaiser» (1987), «The Sheltering Sky» (1990) und «Little Buddha» (1993). 1998 arbeiteten Clare Peploe und Bertolucci gemeinsam am Drehbuch für «L’assedio (Besieged)», einem der intensivsten Filme des italienischen Regisseurs. ↩︎
  9. Vgl. «La bellezza necessaria. Opere di Elisabeth Brewster Hildebrand e Clotilde Peploe», Ausstellungskatalog hrsg. von Susanna Ragionieri, Galleria Frascione Arte, Florenz, 4.11.–2.12.2023. ↩︎
  10. Bernardo Bertolucci: «Due limoni, una scopa», in: Clotilde Peploe. «Dalla Toscana all’Egeo», Ausstellungskatalog hrsg. von Susanna Ragionieri, Palazzo Pitti, 31.3.–28.6.2004, S. 16/17. ↩︎

Autor*innen-Info

Profilbild Felicitas Ehrhardt

Felicitas Ehrhardt

Felicitas Ehrhardt ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitet als Kuratorin in Florenz. Nach ihrem Studium der Kulturwissenschaften und Ästhetischen Praxis an der Universität Hildesheim war sie ab 2005 am Deutschen Institut in Florenz für die Kulturarbeit zuständig. Nebenher entwickelte sie freiberuflich Marketingkonzepte für Schlossmuseen in Deutschland und der Schweiz.

Als Direktionsassistentin machte sie ab 2010 in der Galerie Henze & Ketterer & Triebold in Basel/Riehen erste Erfahrungen mit dem Kunstmarkt. In dieser Zeit nahm sie auch ihre Promotion zu Adolf von Hildebrand und seinem Künstlerhaus San Francesco di Paola in Florenz auf, die von 2012 bis 2016 mit einem Stipendium der Ernst von Siemens Kunststiftung München am Kunsthistorischen Institut in Florenz, Max-Planck-Institut gefördert wurde und 2018 bei Schnell & Steiner erschien.

Seit 2016 arbeitet Felicitas Ehrhardt bei Frascione Gallery als Kuratorin und Direktorin. Foto © Luca Berti

Beitrag teilen

Facebook
WhatsApp
X
Pinterest
LinkedIn
Reddit
Email
Print
Facebook

Empfohlene Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Weitere Beiträge

Newsletter

Mit unserem monatlichen Newsletter seid ihr stets über die aktuellen Veranstaltungen, Themen und Artikel aus dem MON_Mag der Monacensia auf dem Laufenden.

Wir freuen uns auf euch!



Anmelden