Wie erlebte Frido Mann seine Tante Erika? Wie wirkte sie auf ihn? An was erinnert er sich? Welche Begegnungen haben sich ihm eingeprägt? Darüber spricht Anke Buettner, Leiterin der Monacensia, im Interview mit dem Enkel von Katia und Thomas Mann. Dabei entstand ein ganz persönliches Porträt.
Frido Mann ist Schirmherr der Ausstellung „Erika Mann. Kabarettistin -Kriegsreporterin – Politische Rednerin“ und trägt mit seinen Vorträgen, „Democracy forPeace“ und „Democracy will win“ zum Begleitprogramm bei. Er berichtet erstmals über die Erlebnisse auf seiner Vortragsreise, die ihn im Herbst 2019 durch die USA und Kanada führte. In zwölf Städten sprach Frido Mann über die gegenwärtige Krise der Demokratie in den USA und in Europa. Er begab sich dabei auf die Spuren von Thomas und Erika Mann und setzt deren leidenschaftliches Eintreten für Freiheit und Demokratie fort.
Frido Mann wurde während des Exils der Schriftstellerfamilie Mann 1940 in Kalifornien geboren. Nach einem Musikstudium in Zürich und Rom studierte er katholische Theologie und Psychologie in München und Münster. Nach seiner Habilitation war er geschäftsführender Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie an der Universität Münster. Heute lebt er als Schriftsteller und Essayist in München. Seit 2017 ist er „Honorary Fellow“ des Thomas Mann House in Pacific Palisades.
In dem Interview-Rundgang durch die Ausstellung haben wir gefilmt. Sequenzen daraus veröffentlichen wir im Blog.
Frido Mann im Interview zu: „Meine Tante Erika Mann“
Wir stehen am Anfang der Ausstellung „Erika Mann. Kabarettistin – Kriegsreporterin – Politische Rednerin“. Haben Sie ein inneres Bild von Erika Mann, bei dem Sie sich ganz bewusst an sie erinnern?
Es sind natürlich sehr viele Erinnerungen an sie bis 1949, vor allem aus der späteren Kindheit. Ich verbrachte ganze Nachmittage mit ihr, wo ich mir von ihren hochspannenden Kriegs- und Nachkriegserlebnissen erzählen ließ. Sie studierte mit mir die Gedichte ein, die ich aufzusagen hatte vor der Familie an Neujahr, zu Geburtstagen.
Mir kommt gerade jetzt ein Bild in den Sinn und es muss sehr früh gewesen sein. Wir waren in San Francisco und ich saß mit meiner Mutter im Auto. Erika Mann kam gerade über die Straße zum Auto hin. Das muss 1945 gewesen sein, und da war ich sehr erstaunt über sie, so eine lange, schlanke Amazone in ihrer Ausstrahlung mit ihrem dunklen Teint. Das ist so ein inneres Bild, ein Blitz, ein sehr früher. Das andere sind keine Bilder, das sind mehr Filme, die ich erlebt habe.
War Erika Mann eine lässige Tante?
Wenn ich an die Nachmittage mit ihr in ihrem Zimmer denke, war das oft so, dass ich auf ihrem Bett und sie vor ihrem Schreibtisch auf einem Stuhl saß. Dann haben wir geredet, gequatscht und erzählt. Das war natürlich ganz locker. Sie war aber nicht als Person lässig. Sie hatte etwas sehr genau Kalkuliertes in ihrer Art zu kommunizieren. Man merkte schon, dass sie in Richtung Schauspiel, Kabarett ging. Sie war sehr kontrolliert, bewusst und dominierend. Das war ihre Ausstrahlung. In der Verbindung, in der Kommunikation war sie ganz locker und lustig.
Eine Station in der Ausstellung zeigt Erika Mann als Rennfahrerin und Vertreterin des Typus Neue Frau, die für das Erstarken des weiblichen Selbstbewusstseins steht. So hat Erika Mann eine Mechaniker-Ausbildung gemacht. Gab es da Geschichten in Ihrer Familie, von denen sie Ihnen erzählt hat?
Sie hat mir von ihrer Europafahrt, von dem Rennen berichtet. Es gab ein großes Silbertablett, wo alle diese Stationen (des Rennens) aufgezeichnet waren. Sie hat mir selbst stolz von der Fahrt erzählt, aber auch mit einem Seufzen, wie anstrengend es war. Sie hätten eine 10-Tages-Tour gehabt, d. h. sie mussten von einer Station bis zur nächsten 1.000 km pro Tag fahren. Das wäre so wahnsinnig anstrengend gewesen, ein bisschen Schlaf dazwischen.
Dieses Silbertablett lag wie eine Zierde im Esszimmer in Kilchberg neben dem Telefon an der Wand. Das konnte ich jeden Tag sehen und ich habe es mir angeschaut. Man sollte das Tablett auch sehen. Alle Besucher, die zum Essen kamen, haben es irgendwie „zufällig“ mal wahrgenommen.
Ich habe es beneidet, dass Erika eine Mechaniker-Ausbildung gemacht hat. Ich wäre nie auf die Idee gekommen. Das sind konkrete Erinnerungen an diese Fahrt und an ihren Stolz.
Wir stehen vor der Station mit dem politischen Erwachen Erika Manns. Sie hat bei einer Veranstaltung der Internationalen pazifistischen Frauenverbände 1932 in München rezitiert und wurde im Nachgang von den Nationalsozialisten massiv diffamiert, auch ihre Familie. Sie stand im Fokus von Diffamierung und Hass, heute würde man sagen Hate Speech – wie wurde das bei Ihnen in der Familie wahrgenommen? Was hat das mit ihr gemacht? Wurde Erika traumatisiert?
Der Kampfgeist ist in ihr erwacht. Sie hat wieder etwas zu kämpfen gehabt, für und gegen etwas. Klaus hat sich von Anfang an als frankophil wie sein Onkel Heinrich gefühlt und konnte das Deutsche eigentlich nie leiden. Meine Großmutter Katia hatte 1923, zehn Jahre vor der Machtergreifung der Nazis, als man noch für einen Wäschekorb von Banknoten einen Laib Brot kaufen konnte, gesagt: „Leute, ein Volk, das sich so was gefallen lässt, lässt sich noch ganz andere Dinge gefallen“.
Das ist genau das, was bei Erika Mann passiert ist, dass sie schon sehr früh aufgewacht ist. Ich glaube schon, dass in den letzten Jahren vor der Machtergreifung ab 1929 einiges los war, und dass sie da voll mitzog. Ich glaube mehr, dass es ihr Spaß gemacht hat, oder dass sie empört, aber nicht verunsichert und traumatisiert war.
Sie hat sich nicht in der Situation bedroht oder ausgeliefert gefühlt?
Ja, genau. Wenn Bedrohungen waren, dann hat sie sich dem entgegengestellt. Das war in der „Pfeffermühle“ in Zürich dann genau so.
Es hat ihren Bruder Klaus Mann getroffen. Der wurde diffamiert als Söhnchen. Es wurde ganz klar auf Homosexualität abgezielt.
Dem hat es mehr ausgemacht. Er war da nicht so kämpferisch wie sie.
Es ist erschreckend wie aktuell die Bezüge heute sind, genau die gleichen Themen, die gleichen Einflugschneisen.
Ja, natürlich. Wer heute den Mund aufmacht, der muss immer Angst haben, dass die Rechtsextremen kommen und einem eins reinhauen. Natürlich. Klar.
Wir haben ein Post-it mit der Aussage von Erika Mann gemacht „Beteiligt Euch; – es geht um Eure Erde!“ – das finden Jugendliche klasse und wir stellen fest, dass junge Menschen von Erika Mann begeistert sind, gerade bei diesem „Beteiligt Euch!“.
Ja, das könnte von Greta Thunberg sein. Aktueller geht es gar nicht. Diese Fridays for Future, das ist genau das.
Wie ging es Ihnen als junger Mensch mit Erika Mann? War sie ein Vorbild für Sie?
Was mir bis heute noch sehr wichtig ist, gerade wenn ich an die junge Generation denke, das war 1936, da war es den Kindern Klaus und Erika schon völlig klar, dass es mit Deutschland nichts mehr ist. Es gab die Auseinandersetzung zwischen Thomas Mann und der Neuen Zürcher Zeitung. Es ging darum, wie man auf Berichte in der Zeitung reagiert, damit tat sich Thomas Mann sehr schwer. Dann kam dieses Ultimatum von Klaus und Erika. Das war grenzwertig für Kinder, die einen engen Bezug zu ihren Eltern haben, nämlich „wenn du dich da nicht lossagst, dann müssen wir uns leider von dir lossagen“.
Das muss ein ganz schwerer Moment gewesen sein und da hat Katia sehr vermitteln müssen. Es ist gerade eben noch gut gegangen und Thomas hat sich losgesagt. Das war die Zeit, wo er offiziell gebrochen hat mit staatsbürgerlichen Folgen: Es war dann wirklich zu Ende mit dem Deutschtum. Das hätte Klaus allein nicht geschafft, da war Erika energisch. Das sind so Dinge, die ich, wie ein Stück Legende, von ihr bewundere und auch als Vorbild sehe.
Also hat Erika Mann getaugt als Vorbild?
Ja, sie könnte taugen für junge Menschen, die vielleicht im Konflikt mit ihren Eltern stehen, wo die Eltern vielleicht gegen Fridays for Future sind und sagen, jetzt bleib mal schön in der Schule und wenn die jungen Leute dann sagen, so bitte nicht, ich habe ganz klare Grundsätze. Das kann ich mir vorstellen. Insofern könnte sie ein Vorbild dafür sein.
Glauben Sie, dass es da einen Unterschied gibt? War es zu Ihrer, also zu Erikas Zeit eine krassere Botschaft zu sagen, ich breche jetzt mit meinen Eltern als heute?
Ja. Ich denke schon. Das war damals absolut neu, das war eine Revolution, wenn Kinder so „aufsässig“ sind. Heute ist es manchmal das Gegenteil, das Eltern das nicht nachvollziehen können und es als pubertär abtun. Politisch gesehen muss es mal so sein.
Die Beziehung zu ihren Eltern war so eng. Das hat sich nach dem Krieg gezeigt. Da hat Erika eine Art literarische Adjutanten-Rolle von ihrem Vater übernommen. Das kann man nur, wenn man sich ganz eng miteinander verbunden fühlt. Wo Enge ist, da ist dann auch Streitkultur. Die war gegeben. Aber Erika hatte da die Oberhand gehabt.
Wie muss man sich das vorstellen beim Frühstück oder beim Abendessen, ging es da zur Sache? Wurde viel über Politik diskutiert?
Ja. Das konnte schon so sein. Ich hatte das noch in Kalifornien erlebt, dass, wenn man nach dem Essen zum Kaffee oder zum Likör in den Nebenraum ging, es oft die Zeiten waren, wo es dann politisch zur Sache gehen konnte.
Es gab zwischen Erika und Golo, als ich 13 war, ganz fürchterliche Auftritte, wo sie sich gegenseitig angebrüllt haben, weil sie politisch völlig auseinander lagen. Das war längst nach dem Krieg, wo man diesen Zusammenhalt nicht mehr hatte. Erika war sehr auf der linken Seite, schon grenzwertig übertrieben. Bei Golo war es ein bisschen umgekehrt. Die beiden konnten wie Feuer und Wasser sein. Sie sind verbal aufeinander losgegangen und da war Erika vollkommen kompromisslos.
Gab es einen zweiten Politisierungsmoment für Erika Mann?
Das war in den USA zur McCarthy-Zeit. Da sagte sie, so geht es nicht. Sie wollte unbedingt noch in der Kriegszeit, so ab 1940, die amerikanische Staatsbürgerschaft haben. Die hatte sie beantragt. Aber unter J. Edgar Hoover war sie in den Augen des amerikanischen Geheimdienstes zu links, deshalb versagte man ihr die Staatsbürgerschaft.
Sie ist als Kriegskorrespondentin nach dem Krieg komischer Weise in amerikanischer Uniform, obwohl sie keine Amerikanerin war. Das war die Zeit, wo sie schon anfing an Amerika zu zweifeln. Die Gemeinsamkeit verschwand, verblasste, spätestens nach Ende der Nürnberger Prozesse. Da ging es schon mit dem Kalten Krieg los. Bereits da ist sie stark antiamerikanisch gewesen. Politisch ist sie sehr auf die linke Seite gegangen. Schon 1944 gibt es Texte von Thomas Mann, wo er sich manchmal ganz verschämt im Anhang auch erstaunlich marxistisch äußerte; Erika aber war stark marxistisch orientiert. Das war manchmal sehr grenzwertig.
Erika Mann hat den Demokratie-Begriff auf das politische Geschehen bezogen. Sie war keine Frau, die gesagt hat, wir müssen jetzt für Chancengleichheit kämpfen. Oder war das auch ein Thema für sie?
Nein. Sie hat sich mehr außenpolitisch geäußert. Da hatte sie sich auf die russische, sowjetische Seite und gegen das Amerikanische gestellt. Das mag sicher auch damit zusammenhängen, dass ihr die amerikanische Staatsbürgerschaft verweigert wurde. Das war eine Kränkung.
Manchmal war es erstaunlich: Ich weiß es noch genau, als ich sie als Sechs- oder Siebenjähriger fragte: „Ja, wie ist es denn, was ist es denn für ein Unterschied zwischen Hitler und Stalin“. Da hatte sie gesagt: „Na ja, Hitler hat einfach jeden umgebracht, dessen Nase ihm nicht passte und bei Stalin war das nicht so,“ symbolisch gesehen und weiter zu Stalin: „Nein, da waren politische Gründe, der hatte seine Meinungen.“ Im Nachhinein, wenn man die ganze Geschichte sieht, bis zu Stalins Tod und danach noch bis das Tauwetter in der Sowjetunion anfing, da sind solche Äußerungen schon sehr fragwürdig gewesen.
Klingt erstaunlich unreflektiert für eine reflektierte Person.
Ja. Aber auch reflektierte Personen haben ihre schwarzen Momente.
Erika Manns Karriere als politische Rednerin begann 1937 im Madison Square Garden. Sie hat sich in der Rede (für die Veranstaltung) „Boycott Nazi Germany“ wieder selbst (neu) erfunden. Sie selbst waren auf einer Vortragsreise durch die USA und Kanada zum Thema „Democracy will win“ – gibt es da Familientraditionen?
Mein Vorbild war ihr Vater Thomas Mann. 1938 ist er durch 15 Städte durch die USA gezogen mit seinem Vortrag: „The coming of democracy“. Mein Titel „Democracy will win“ ist der Versuch einer Modernisierung dieses Titels von ihm. Das war für mich ein Vorbild. Es war aber auch für diejenigen, die meine Vortragsreise organisiert haben ein Vorbild, wie das Auswärtige Amt und das Thomas Mann Haus. Das Wichtigste war aber der Geist, der dahintersteckt. Den sehe ich auch bei Erika Mann.
Jetzt geht es durch drei Generationen in der Familie, dieses Bewusstsein, man will sich für etwas einsetzen, etwas Negatives bekämpfen. Mich packt Jahr für Jahr immer stärker die Wut auf diesen Präsidenten in den USA, dass ich mich gar nicht mehr an mich halten konnte, jetzt auch mal loszulegen, obwohl ich ihn in den Vorträgen nie genannt habe. Das ist viel effektiver, wenn man das nicht macht. Erika ist sozusagen ein Glied zwischen ihrem Vater und mir.
Haben Sie einen Eindruck nach den zwölf Städten, dass wenn man als Nicht-Politiker über Politik redet, dass es noch einmal eine andere Wirkung hat, dass es die Leute anders berührt? Hat man eine Art Neutralitätsbonus?
Ich glaube ja. Es ist der Grund, warum ich als Nicht-Politiker gar nicht das politische Element, den politischen Aspekt von Kampf für Demokratie so stark betone, weil ich gar nichts davon verstehe, wie man das politisch anpacken muss, sondern ich mache das mehr als Psychologe oder, wenn man so letzten Endes will, sogar als Theologe, dass ich frage, was sind die gesellschaftlichen Grundlagen der Demokratie. Wenn man nicht mal kennt, wie der Mensch tickt, wie er wahrnimmt, wie er handelt und wie er entscheidet, dann kann man auch keine Demokratie aufbauen.
Man muss erst einmal den Menschen kennen, seine Bedürfnisse, seine Denkweise, seine Denke, um herauszufinden, was nützt oder was ist der Vorteil oder das Wichtige an einer Demokratie. Deshalb bin ich so aufgetreten und das hat man mir eher geglaubt, als wenn ich jetzt irgendwelche politischen Floskeln gedroschen hätte. Das war der Grund, warum ich den Schwerpunkt in diesen zwölf Städten auf die nachwachsende Generation gesetzt habe, wie Highschools, Colleges und Universitäten.
Das Wichtigste für mich und für die junge Generation ist gar nicht so sehr der belletristische Schriftsteller, sondern der späte politische Thomas Mann, der ganz konsequent, nachdem er seine Monarchie-Auffassung verlassen hatte, bis zum Ende seines Aufenthaltes in Amerika diese Richtung – Demokratie und nochmals Demokratie – betont hatte.
Wir haben im Rahmenprogramm von unserer Ausstellung zwei Vorträge, einen deutschen und einen amerikanischen Vortrag von Ihnen. Glauben Sie, dass hier die Rezeption nochmal eine andere ist als in Amerika?
Da bin ich neugierig. Ich war sehr erstaunt in den USA, wie unterschiedlich das sein konnte. Ich möchte hier in Deutschland vor allem mit Schulklassen und Universitäten etwas machen. Die Betonung wird etwas anders sein. Es wird nicht um die amerikanische Demokratie gehen, sondern darum, wie es hier aussieht. Wir haben im Moment ganz gute Karten in Europa durch viele Glücksfälle. Man hat schon einige Male gezittert bei den Wahlen in Holland, Frankreich und Österreich, aber wie lange es noch gut gehen wird, das ist eine ganz andere Frage. Deshalb kann man nicht früh genug betonen: Leute passt auf, bleibt so und versucht euch dafür einzusetzen, dass wir nicht verlieren.
Wir stehen vor der Station mit Erika Mann als Kriegsreporterin. Das sind sehr eindrückliche Bilder, gerade als Frau. Das war für Sie als Kind sehr beeindruckend – gab es Heldengeschichten, die sie Ihnen erzählt hat?
Ja. Nach Kriegsende und am Ende der Nürnberger Prozesse als die Strafen verhängt wurden, da war ich schon über sechs Jahre alt und da hat sie mir sehr viel erzählt, auch an grausamen Dingen, die man als Sechsjähriger nicht immer unbedingt erfahren sollte. Aber ich fand, warum soll ich das nicht wissen. Ich war so aufgewachsen, ich hatte als kleines Kind schon mit so „tauben Kinderohren“ vieles wahrgenommen, was man am Mittagstisch an Schrecklichkeiten erzählt hat. Ich war richtig eingefuchst auf Antifaschismus.
Das war für mich schon wichtig, das zu hören. Ich war sehr beeindruckt über die ganzen irren Geschichten, mit welchem Mut und mit welcher Tollkühnheit sie gewisse Erfahrungen gemacht hat.
Sie haben darüber auch geschrieben?
Ich habe in meinem letzten Buch „Das Weiße Haus des Exils“ ein halbes Kapitel diesen Berichten gewidmet von 1940 an, wo Erika in London bei dem Blitzkrieg mit vorne dabei war, wo sie in einen Keller hinuntergestiegen ist, wenn die Sirenen losgingen, bis hin zum besetzten Frankreich, der Befreiung, bei der sie fast in die deutschen Linien hineingeriet. Oder in Warschau, was völlig zerbombt war, wo sie mit dem Jeep nur im Schritttempo fahren durfte, damit die Ruinen nicht einstürzten, von den Wölfen, die da nachts gehaust haben, bis hin zu den Nürnberger Prozessen.
Wir sind jetzt ganz am Ende der Ausstellung bis hin in die 1960er Jahre. Wenn Sie Ihren Enkeln erzählen, was Erika ausgemacht hat, was sagen Sie ihnen?
Ich kenne zwei Erikas. Die junge Erika, die sehr stark war und die späte Erika, die ich nach dem Tod von Thomas Mann erlebte, die ausgezehrt ist, nachdem was sie alles durchgemacht hat. Sie hatte viel mit Drogen zu tun, schon sehr früh. Man sieht hier an dem Bild eine Resignation und eine Skepsis und man fragt sich: Na, wie geht es wohl weiter?
Sie hatte einen psychischen und physischen Verfall in den letzten Jahren, da habe ich viel mitbekommen. Leider ist mir dieses Bild zuletzt geblieben. Ich muss dann immer umschalten, um an diese junge, starke Erika, über die wir viel gesprochen haben, zu denken, die für mich auch sehr wichtig war. Man zahlt für so ein Leben einen Preis, und den habe ich mitverfolgt.
Sie sprechen von einer Art Bitterkeit am Ende ihres Lebens, die gar nicht so bekannt ist. Haben Sie das resigniert wahrgenommen?
Ich denke, das ist ein wichtiger Teil, das Psychologische. Aber sie war von Krankheit und Drogeneinwirkungen zum Teil auch beschädigt. Das hat sie eingesehen. Es gibt ein Schriftzeugnis, wo Golo sie kurz vor ihrem Tod im Krankenhaus in Zürich besucht hat. Er schreibt, sie hätte so traurig ausgesehen mit großen traurigen Augen und das kann ich nachvollziehen. So habe ich sie zum Schluss gar nicht mehr erlebt. Sie ist 1969 gestorben. Ich bin 1963 weggezogen und habe sie da nur noch wenig gesehen.
Das Wichtige an der Ausstellung hier ist, dass Erika in ihrer vollen Breite gezeigt wird. Und dass man sich auch erinnert, was für eine positive Person sie gewesen ist. Trotzdem sollte man nicht leugnen, dass das auch seinen Preis hat.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dies ist eine gekürzte Version des Gesprächs zwischen Frido Mann und Anke Buettner.
Frido Mann wurde 1940 in Monterey/California geboren. Er studierte Musik, katholische Theologie und Psychologie, arbeitete als klinischer Psychologe in Münster, Leipzig und Prag und lebt heute als freier Schriftsteller und Essayist in München. Zuletzt erschien von ihm 2018 bei S. Fischer „Das Weiße Haus des Exils“ über das Thomas Mann Haus in Los Angeles.
Über seine Erfahrungen während der Vortrags-Reise in den USA berichtet Frido Mann in einem begleitenden Blog: https://fridomann.de/aktuelles-blog/