Der jüdische Schwarzmarkt in der Möhlstraße und die Münchner Polizei

Polizeistreifen in der Möhlstraße, Schwarzmarkt, Läden und Menschen.

Nach Kriegsende strömten jeden Sonntag Tausende Münchner*innen zum Einkaufen in die Möhlstraße in Bogenhausen. Ganz in der Nähe des Friedensengels gab es dort von 1945 bis 1955 einen jüdischen Schwarzmarkt, der mit raren Waren lockte – und der Münchner Polizei ein Dorn im Auge war. Ein Beitrag zur Dauerausstellung «Maria Theresia 23»*.

Der Kurfürstendamm in Berlin und die Champs Elysées in Paris haben Jahrzehnte gebraucht, ehe sie weltweit bekannt wurden. Die Münchner Möhlstraße brauchte dazu nur wenige Stunden. Eine Razzia der Polizei genügte. Aber was für eine Razzia! Sie wird in die Geschichte des Polizeiknüppels eingehen.

Diese Meldung erschien am 12. Juli 1949 in der in München verlegten «Neuen Zeitung».1 Das Zitat benennt die beiden Hauptakteur*innen des vorliegenden Textes: die Möhlstraße und die Münchner Polizei.

Gepflasterte Straße mit Geschäften in Bretterbuden auf Gartengrundstücken. Schwarzmarkt in der Möhlstraße in Bogenhausen. Personen beim Einkauf zu Fuß und auf dem Fahrrad.
Verkauft wurden die Waren in behelfsmäßigen Bretterbuden in den Vorgärten der Bogenhausener Villen. © Stadtarchiv München, FS-NK-STL-0033.

Ein jüdisches Viertel

Das Gebiet rund um die Möhlstraße in Bogenhausen entwickelte sich nach Kriegsende zu einem Zentrum jüdischen Lebens – nicht nur Münchens oder Deutschlands, sondern von ganz Mitteleuropa. Grund dafür waren die zahlreichen hier angesiedelten internationalen Hilfsorganisationen, die jüdische Überlebende und Flüchtlinge – sogenannte Displaced Persons oder DPs – unterstützten.2

Als klar wurde, dass sich die geplante Auswanderung für viele DPs verzögern würde, blühte das Leben in der Möhlstraße auf: Theater, Zeitungen, Tanzlokale und Dutzende Geschäfte des täglichen Bedarfs entstanden. Diesen Geschäften verdankt die Möhlstraße ihre bis heute oft mythenumrankte Berühmtheit. Denn hier entwickelte sich einer der bekanntesten und langlebigsten Schwarzmärkte Deutschlands.

Exkurs: Die Versorgungslage nach Kriegsende

Nach Kriegsende war die Versorgungslage in Deutschland auf dem niedrigsten Stand seit 100 Jahren – und damit sogar noch schlimmer als im letzten Kriegswinter. Zum Vergleich:

  • 1939 hatte die durchschnittliche Energiezufuhr für einen Erwachsenen 2408 Kalorien pro Tag betragen.
  • 1946 gelang es in der US-Zone nicht einmal, 1550 Kalorien zu garantieren.3

Um sich zu helfen, fuhren Tausende Deutsche auf sogenannten Hamsterfahrten aufs Land, um direkt bei Bauern einzukaufen. Oder sie gingen auf den Schwarzmarkt.

In den ersten Nachkriegsjahren hatten Schwarzmärkte für viele eine lebenswichtige Funktion. Dabei waren diese in der Regel sehr teuer: Die Preise übertrafen den reellen Warenwert oft um mehr als das Hundertfache. Um einzukaufen griffen die Menschen auf Erspartes zurück oder tauschten ihre Wertgegenstände gegen Essen ein.

Der Schwarzmarkt in der Möhlstraße

Ab dem Frühjahr 1945 entwickelte sich auch in der Möhlstraße ein reges Marktleben. Hintergrund dafür war, dass jüdische DPs Zugang zu Waren hatten, die im Rest Deutschlands nur schwer erhältlich waren. Sie erhielten von der US-Armee oft bessere Zulagen als die Münchner Stadtbevölkerung und wurden zudem von amerikanischen Hilfsorganisationen mit Care-Paketen versorgt.

Sehr bald begannen die DPs, Essen, Kleidung und Genussmittel – wie Zigaretten, Kaffee oder Alkohol – aus ihren Care-Paketen zu tauschen und zu verkaufen. Auch Mangelware wie Rasierklingen und Schnürsenkel oder Luxusgüter wie Nylonstrümpfe und Schokolade bekamen die DPs aus Amerika.4

In ihrer Autobiografie erinnerte sich Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG):

Die Waren wurden auf der Straße angeboten, in kleinen Buden und Baracken. Die Menschen veräußerten oder tauschten emsig. Darunter waren auch DPs. Sie behielten von ihnen durch jüdische, amerikanische und internationale Hilfsorganisationen gespendete Gaben nur das Notwendigste für sich. Das, was ihnen entbehrlich schien, tauschten oder verkauften sie hier. Das war das Prinzip des Schwarzmarkts.5

Die Waren wurden in anfangs illegalen Bretterbuden in den Vorgärten der prunkvollen Bogenhausener Villen verkauft. Die Amerikaner duldeten dies genauso wie das Marktwesen, um die DPs zu unterstützen.6

Geschäfte in der Möhlstraße, Schwarzmarkt, 1949.
Geschäfte in der Möhlstraße. Das Foto wurde am 30. Juni 1949 – also einen Tag vor der «Aktion Möhlstraße» aus einem Polizeiauto aufgenommen. © Stadtarchiv München, NK-STL-0028.

Ein jüdischer Markt

In den ersten Jahren ging es in der Möhlstraße um Bedarfsdeckung. Die Preise waren ähnlich hoch wie auf anderen Schwarzmärkten, dafür war das Warenangebot größer. Beides änderte sich durch die Währungsreform im Juni 1948: Quasi über Nacht gab es in den deutschen Geschäften wieder volle Regale, dafür stiegen die Preise um bis zu 300 Prozent.7 In der Möhlstraße hingegen blieb es billig.

Dies war einerseits möglich, weil dort mit unversteuerten, teilweise auch illegal beschafften Waren gehandelt wurde (siehe unten). Vor allem aber weil viele der Händler*innen Konzentrationslager oder Zwangsarbeit überlebt hatten, dadurch sehr enthaltsam lebten und so geringere Ausgaben hatten.

Zur Blütezeit des Handels 1948/49 gab es 100 bis 130 Geschäfte in der Möhlstraße, darunter:

  • Lebensmittelgeschäfte
  • Textilläden
  • Juweliere
  • Kürschner
  • Buchläden
  • koschere Metzgereien
  • sowie vier Restaurants

In der Möhlstraße jedenfalls konnte man Mehl und Teppiche erwerben, französischen Cognac und spanische Orangen, Silberkannen und Zigaretten, englisches Tuch und deutsche Kameras. Bei den Ostjuden, Griechen, Ungarn, Tschechen und Polen der Möhlstraße, deren armselige Holzhütten mit dem Reichtum der verborgenen Waren kontrastierten und wo man, wie zwischen den Bazaren Konstantinopels auf- und ab promenierend, beinahe jede Bestellung mit guter Aussicht auf prompte Lieferung aufgeben konnte, herrschte kein Mangel.8

Als ein Merkmal eines spezifisch jüdischen Markts hatten alle Geschäfte samstags wegen der Schabbat-Ruhe geschlossen. Zum Ausgleich konnte man sonntags einkaufen, was bei den Münchner*innen besonders beliebt war.

Die Polizei und die Möhlstraße

Viel ihrer Berühmtheit verdankte die Möhlstraße der Münchner Polizei, die mit aller Härte gegen den Schwarzmarkt vorging. Dabei ist es rechtlich fraglich, ob es sich hier überhaupt um einen solchen handelte. Es stimmt, dass teilweise Schmuggelware und Diebesgut verkauft wurden. Gleichzeitig handelten aber viele der DPs ganz legal mit unverzollten oder unversteuerten Waren aus dem Ausland. Für die Münchner Polizei waren diese unversteuerten Waren ein klares Zeichen für illegalen Schwarzhandel, das stimmte aber nicht. In Realität hatten die amerikanische Militärregierung und deutsche Behörden den DPs «aus Gründen der Wiedergutmachung» sehr «großzügige Lizenzen zum Verkauf nicht preisgebundener Waren» eingeräumt.9

Anfangs hatte die Münchner Polizei keine Befugnisse in der Möhlstraße: Die DPs unterstanden der amerikanischen Polizeigewalt und Gerichtsbarkeit.10 Dies änderte sich 1949 mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes.

Ausgestattet mit ihren neuen Kompetenzen stieg nun auch das Interesse der Münchner Polizei an den Vorgängen in Bogenhausen. Im Staatsarchiv München finden sich heute zahlreiche Berichte der Kriminaluntersuchungsabteilung über die Möhlstraße. Im April und Mai 1949 gab es erste Patrouillen, traurige Berühmtheit erlangte dann die «Aktion Möhlstraße» am 1. Juli 1949.

Polizeistreifen in der Möhlstraße, Schwarzmarkt, Läden und Menschen.
Polizeistreifen in der Möhlstraße, im Hintergrund das koschere Restaurant Astoria, ein koscherer Metzger und ein Uhrmacher. © Stadtarchiv München, RD2014B36

«Aktion Möhlstraße»

Die «Aktion Möhlstraße» war eine groß angelegte Razzia der Münchner Polizei. Besonders auffallend ist die hohe Anzahl an Polizisten: Gut 500 Beamte waren laut den detaillierten Einsatzplänen an der Aktion beteiligt.11

Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich die Großrazzia zu einer regelrechten Straßenschlacht. Niemand bestreitet, dass sich einige DPs gewaltvoll gegen die Polizei wehrten, aber alle – auch unabhängige – Augenzeug*innen sahen die Schuld für die Eskalation bei den Polizisten.

So berichtete der schwedische Journalist Dr. Rudolf Philipp, der die Razzia auf Einladung der Polizei als neutraler Reporter begleitete:

Das Werfen von Holzstücken oder ähnlichem von Seiten einer verschwindenden Minorität darf nicht als Vorwand dafür dienen, um zufällig aufgegriffene Zuschauer blutig zu schlagen. Eine in Jiu-Jitsu trainierte Polizeigruppe kann eine hysterische Frau mit im KZ verdorbenen Nerven bewältigen, ohne durch Anwendung von Gummiknüppeln einer aufgeregten Masse Anlaß zur Hysterie zu bieten.12

Kritik am Vorgehen der Polizei

In der Folge der «Aktion Möhlstraße» kam es zu wochenlanger weltweiter Kritik an dem Vorgehen der Polizei. Der Antisemitismus-Vorwurf ging durch die Weltpresse.

Kurz darauf wurden außerdem Berichte publik, dass deutsche Polizisten Passant*innen in der Möhlstraße vom Kauf in jüdischen Geschäften abgeraten hätten.13 Dieser Vorwurf lässt sich heute schwer überprüfen. Auf alle Fälle war er weit verbreitet und zeigt, dass man der Münchner Polizei so ein Verhalten ohne Weiteres zutraute. Der Polizeipräsident Franz Xaver Pitzer wurde von Kritikern sogar als «Gestapolump» bezeichnet.14

Die öffentliche Kritik an der Polizei verstärkte sich noch einmal, als ein paar Wochen später bei einer (vom Schwarzmarkt unabhängigen) Protestveranstaltung in der Möhlstraße Schüsse fielen.

Das Ende der Möhlstraße

Nach der problematischen Großrazzia begann die Münchner Polizei, die Möhlstraße mittels täglicher Streifenfahrten permanent zu überwachen.

Ab 1951 wurde der Markt in der Möhlstraße immer kleiner, da mehr und mehr DPs Deutschland verließen. Die Zahl der Geschäfte reduzierte sich laufend, 1953 gab es nur noch 30 Läden. «So stirbt die Möhlstraße eines natürlichen Todes», kommentierte der «Münchner Merkur».15

Trotz allem hielt sich der Schwarzmarkt in der Möhlstraße wesentlich länger, als es von Polizei oder Medien erwartet worden war. Noch im April 1954 fanden vereinzelte Razzien statt – und erst 1955 schloss auch das letzte Geschäft.

Mehr zur Möhlstraße im MON_Mag:

Sämtliche vertiefende Artikel zur Ausstellung «Maria Theresia 23. Biografie einer Münchner Villa» findet ihr im MON_Mag unter dem Schlagwort #MON_Villa.

Veranstaltungstipp zur Reihe – 1945-2025 Stunde Null?

  1. «Der Polizeiknüppel», Artikel aus «Die neue Zeitung». Abgedruckt in: «Die Abendzeitung», Nummer 168, 13. Juli 1949, S. 3. ↩︎
  2. Mehr dazu in: Lilly Maier, Die Möhlstraße – Zentrum jüdischen Lebens im Nachkriegsmünchen – Lilly Maier (24.10.2024). ↩︎
  3. [1] Imke Ehlers: Die Ernährungssituation nach dem Zweiten Weltkrieg am Beispiel des Landes Bremen (= Beiträge zur Arbeits- und Konsumforschung 8). Bremen 1995, S. 5 und S. 13. ↩︎
  4. Michael Schattenhofer: Wirtschaftsgeschichte Münchens von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 2011, S. 173f. ↩︎
  5. Charlotte Knobloch: In Deutschland angekommen – Erinnerungen. München 2012, S. 114. ↩︎
  6. Willibald Karl: Die Möhlstraße. Keine Straße wie jede andere. München 1998, S. 72. ↩︎
  7. Schattenhofer: Wirtschaftsgeschichte Münchens, S. 173. ↩︎
  8. Hans Habe zitiert nach Willi A. Boelcke: Der Schwarzmarkt 1945-1948. Vom Überleben nach dem Kriege. Braunschweig 1986, S. 92. ↩︎
  9. Juliane Wetzel: «Mir szeinen doh». München und Umgebung als Zuflucht von Überlebenden des Holocaust 1945-1948. In: Martin Broszat u. a. (Hrsg.): Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. München 1988, S. 327–364, hier S. 355. ↩︎
  10. Angelika Königseder: Displaced Persons (DPs). In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 3. Berlin, New York 2010, S. 57f, hier S. 57. ↩︎
  11. Präsidialverfügung zur Bekämpfung des «Schwarzen Marktes» in der Möhlstraße und Umgebung, München, 30.6.1949. Staatsarchiv München: Akten der Polizeidirektion München, 11348. ↩︎
  12. Rudolph Philipp: «Polizeiaktion in der Möhlstraße». Abschrift in: Staatsarchiv München: Akten der Polizeidirektion München, 11344. ↩︎
  13. Phillip Auerbach: «Wiederum die Möhlstraße im Mittelpunkt». In: «Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland», Nummer 19, 19. August 1949, S. 9. ↩︎
  14. «Stellungsnahme Pitzers zu Vorwürfen gegen die Polizei». In: «Die Abendzeitung», Nummer 169, 14. Juli 1949, S. 8. ↩︎
  15. «Münchner Merkur»: Artikel über das Ende des Schwarzmarkts in der Möhlstraße, 28./29. Juli 1951. Abgedruckt in: Hollweck, Ludwig (Hrsg.): Unser München. Ein Lesebuch der Stadt im 20. Jahrhundert. München 1980, S. 323f. ↩︎

Autor*innen-Info

Profilbild Lilly Maier

Dies ist ein Gastbeitrag von Lilly Maier

Lilly Maier ist Historikerin und Autorin. 2018 erschien ihr Buch „Arthur und Lilly. Das Mädchen und der Holocaust-Überlebende“, die Biografie eines Holocaust-Überlebenden, der in derselben Wohnung aufwuchs wie sie selbst. 2021 folgte ihr zweites Buch „Auf Wiedersehen, Kinder!“, eine Biographie über den Reformpädagogen und Retter jüdischer Kinder Ernst Papanek.

Derzeit promoviert Maier an der LMU München mit einer Arbeit über Frauen als Retterinnen von Juden. Sie spricht regelmäßig zu jüdischen und historischen Themen, eine Übersicht all ihrer Termine findet ihr auf der Website der Autorin. Foto: © Sophia Lindsey

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