Bogenhausen im Wandel: König Maximilian II. ließ die prächtigen Maximiliansanlagen anlegen, in der Prinzregentenzeit entstand ein nobles Villenviertel am Isarhochufer. Historische Persönlichkeiten und berühmte Architekten prägten das Viertel. Ein Beitrag von Dr. Willibald Karl zur Dauerausstellung „Maria Theresia 23. Biografie einer Münchner Villa“.
Kaiser, König, Edelmann, Bauer, Bürger, Bettelmann
Bogenhausen – vom Pfarrdorf zum Nobelviertel
Die Maximiliansanlagen
Königliche Pläne gingen der Entstehung des Villenviertels am Isarhochufer zwischen Maria-Theresia-Straße und Ismaninger Straße voraus. Eine Voraussetzung dafür war die Eingemeindung der Vorstadt Au und der Dörfer Ober-Giesing und Haidhausen. Dadurch rückte das Dorf Bogenhausen näher an die Stadtgrenzen heran.
König Maximilian II., König von 1848 bis 1864, hatte schon als Kronprinz am östlichen Steilufer der Isar große gärtnerische Anlagen geplant. Eine Tagebuchnotiz von 1832 überliefert den Plan,
auf der Isarhöhe bei München einen großen Nationalbau, einen Park, vielleicht einen neuen herrlichen Stadtteil mit ganz großen Quais anzulegen ….
Zu diesem Zweck ließ er das Gelände am Isarhochufer seinem Privatvermögen zuschlagen und als Maximiliansanlagen der Verwaltung des Englischen Gartens unterstellen. Das von Vermögensagenten erworbene Hompesch-Schlössl, eine Ausflugsgaststätte der Biedermeier-Zeit, wurde abgerissen. Dort, neben der St.-Georgs-Kirche, ließ Maximilian II. das Bayerische Beamtentöchterstift Neuberghausen errichten, von alteingesessenen Bogenhausner*innen boshaft „Drachenburg“ genannt.
Am Südende der Maximiliansanlage entstand das Athenäum zur Elite-Förderung bayerischer Beamtenschaft, das später in Maximilianeum umbenannt wurde.
Der Möhlsche Plan – ein Prestigeprojekt
Mit Beginn der Ära des Prinzregenten Luitpold 1886 wurde die Bebauung des Isarhochufers zum Prestigeobjekt. Zwischen der Ismaninger Straße und den Isaranlagen, dem Haidhauser Dorfrand und dem Bogenhauser Berg waren die Felder und Wiesen der großen Bauern von Bogenhausen zum Bauerwartungsland geworden. Hier sollten in der Prinzregentenzeit rund 100 großbürgerliche Villen entstehen.
Die entscheidende Rolle in der Realisierung des Villenviertels spielten auf der einen Seite folgende Familien:
- des Großbauern und Bürgermeisters Sellmayr,
- des „Loambarons“ und Spediteurs Kaffl,
- des Wirts Betz aus der alten Grünwald-Tafernwirtschaft sowie
- der katholische Pfarrer Ettmayer.
Und auf der anderen Seite:
- hohe Beamte, die dem Prinzregenten Luitpold nahestanden, die „Hofkamarilla“.
Graue Eminenzen waren:
- Geheimrat Ludwig Ritter von Klug, der das Privatvermögen des Prinzregenten verwaltete, und
- Jakob Möhl, Nachfolger Carl von Effners als Hofgartendirektor.
Von letzterem stammte der sogenannte Möhlsche Plan, ein detaillierter Flächennutzungs- und Bebauungsplan. Er sah die Errichtung eines Villenviertels vor, das Bürgermeister Sellmayr und die Gemeinde Bogenhausen bei der Eingemeindung für unabdingbar erklärten. Diese wurde am 1. Januar 1892 vollzogen, und die Erschließung des Siedlungsgebiets konnte beginnen.
Professoren, Künstler, Adelige und Unternehmer
Mit dem Tod König Ludwigs II. begann die Prinzregentenzeit. Baubegehren wurden laut, und das Münchner Großbürgertum und Investoren von auswärts schienen nur auf die sich bietende Gelegenheit gewartet zu haben. Die ersten Bauvorhaben wurden von örtlichen Grundbesitzern bereits 1893 umgesetzt. Die Pläne dafür lagen schon bereit. Dazu gehörten:
- die Doppelvilla Klug/Possart in der Maria-Theresia-Straße 24/25,
- die Villa Düll des Künstlers und Bildhauers Heinrich Düll in der Möhlstraße 34/Ecke Höchlstraße sowie
- ab 1894 die Sellmayr-Villa, Hs.Nr. 10, die an den kgl. Kämmerer Karl von Spieß verkauft wurde.
Bis 1998 folgten durch Abtrennung des Ostteils des Parks des Töchterstifts die sogenannten Beamten-Villen (Möhlstraße 35, 37, 39, 41 und 43) für
- den Mediziner Prof. Pfistermeister (Direktor des Klinikums rechts der Isar),
- Jakob Möhl a. D., der bald an den Rechtshistoriker Prof. Amira weiterverkaufte und die Romeis-Villen des Stadtschulrats und Schulreformers Georg Kerschensteiner, des Numismatikers, Bankiers und Konsuls Theodor von Wilmersdoerffer und des Kunstmalers und Prinzenerziehers Karl von Wulffen.
Georg Kerschensteiner (1854–1932) hat den Bauplatz in Bogenhausen 1896, zwei Jahre nach seiner Ernennung zum Münchner Stadtschulrat, für 21.876 Goldmark vom Nachbarn Carl Ritter von Oberkamp (M. 44) gekauft. Im Folgejahr erbaute Leonhard Romeis die „Zwillingsvilla“ Möhlstraße 39 (zusammen mit Nr. 41 für Kunstmaler Ernst Plaß).
Zur sich bildenden „Gelehrtenrepublik“ in Bogenhausen gehörten unter anderem: die Universitätsprofessoren Pfistermeister (Medizin), der Rechtshistoriker Amira, der Astronom Seeliger (BAdW), der Geograf Drygalski, der Physiker Roentgen, die Technikpioniere Bechtolsheim und Diesel.
Hier reifte Kerschensteiner zum Reformpädagogen und Volkserzieher: München machte Schule! 30 „Schulburgen“ entstanden in seiner Amtszeit. Das duale System – Theorie plus Praxis – der Berufsschule und die Bildungstheorie des „life-long-learning“ der Erwachsenenbildung waren seine Themen.
Die Hausfeste in der Villa waren berühmt, etwa die Maifeiern, wenn Kerschensteiner seine Gäste bei Maibowle mit selbst gedichteten Mailiedern zu erfreuen pflegte. In der Rolle eines „Frater Hilarius secundus“ trug er etwa im Jahr 1904 „Betrachtungen eines Decorierten“ anlässlich seiner Ernennung zum königlichen Studienrat vor. Dazu gab es im Garten der Villa Kindertheater, denn seine eigenen Kinder verwechselten oft Türen mit Fenstern und waren – maskiert in der Rolle von Beamtentöchter-Jungfern aus der Nachbarschaft – berüchtigt.
Die Crème de la Crème der Münchner Architekten erhielt lukrative Bauaufträge. Zu ihnen zählten unter anderem: Drollinger, Dülfer, Max Littmann,Troost, Grässel, Moll und Emanuel von Seidl.
Nachbarschaftsstreit – Der Fall Rudolf Diesel
Rudolf Diesel, Genie, Egomane oder Chimäre des Fortschrittsglaubens, wollte seinem ruhelosen Erfindergeist und seiner Familie ein Heim geben. Schon der Bauplatz (Höchlstraße 2) an der Ecke zur Maria-Theresia-Straße hatte 200.000 Goldmark verschlungen.
Der „Bauunternehmer“ Max Littmann hatte, dem Wunsch der Gattin Diesels folgend, die Villa rund um eine zweistöckige Halle gebaut, deren Mitte von einer breiten, aus dem Vollen geschnitzten Eichenholztreppe eingenommen wurde. Zudem hatte er den Perfektionismus des Bauherrn weidlich ausgenützt und doppelte Grundmauern, Belüftungsschächte und mechanische Doppelfenster eingebaut.
Am Ende kostete die Villa – samt ausgebautem Keller mit Saune – fast eine Million Goldmark, was mehr als 10 Millionen Euro entspricht. Man ging vor Gericht. Diesel verlor. Mit einem Besitz von 5 Millionen Goldmark konnte er es zumindest verkraften. 1913 soll er bei einer Schiffsreise im Ärmelkanal über Bord gegangen sein. Der „Bauunternehmer“ Littmann setzte nichtsdestoweniger seine eigene Villa Lindenhof nicht weniger nobel in die Höchlstraße 4 direkt neben die Diesel-Villa.
Ein Villenviertel für Magnaten, Fabrikanten und Hochadel
Zur Jahrhundertwende entstanden in der Möhlstraße 12a, 14 und 16 die drei Villen des Bogenhauser Wirtsehepaars Lorenz und Anna Betz durch den Baumeister Hans Seidl, der einer namhaften „Loambaronie“ entstammte.
Immer mehr Magnaten und Fabrikanten ließen sich großartige Villen als Familienhäuser bauen, darunter: Kustermann, Wetsch, Hirmer (Verleger), Wannieck (Landmaschinenbau, Brünn), Georg und August Pschorr (Brauer) …
Hochadelige Eigentümer hatten die Kopfbauten der Möhlstraße:
- das Palais Hohenzollern mit eigener Domestiken-Zeile,
- das Palais Prinz Alfons mit Zugängen von der Möhlstraße und Hausnummern von der Prinzregentenstraße,
- die Landesgestütsverwaltung unter Prinz Ludwig in Bayern, Möhlstraße 26 mit Ismaninger Straße 60, mit umfangreichen Stallungen.
Dienstboten und Hausangestellte
Neben den Handwerkern am Bau arbeitete zahlreiches Personal in den Villen des Quartiers: Hausmeister, Kutscher, Dienstboten und -botinnen, Hausangestellte. Sie hausten mehr schlecht als recht im Souterrain, in den Mezzanin-Mansarden mit separaten Zugängen über Lieferanteneingängen und Treppenhäusern oder vereinzelt in Kutscher-Häuseln der Villen.
Die Beschaffenheit dieser Wohnbauten ist ein Kapitel für sich. Modern und großzügig für die Herrschaften, unsozial und armselig für Dienstboten und Hausmeister. Es gab Zentral- und Warmwasserheizung, Lift und sonstigen Aufwand. Wir hatten weder Bad noch Heizung und elektrisches Licht. Wir benutzten eine Petroleumlampe in der Wohnküche und mit Kerzenlicht gingen wir ins Bett. Im Waschzuber hat uns unsere Mutter gebadet.
Zeitzeugin Anna Riedesser (1905–1993)
Ende der Prinzregentenzeit
Mit dem Ersten Weltkrieg war „die gute alte Zeit“, die Prinzregentenzeit, vorbei. Mit der Revolution von 1918/19 wurde die Wittelsbacher Monarchie vom Freistaat Bayern abgelöst.
Die letzten Baulücken wurden mit den Villen Oswald (Möhlstraße 7), Schühle (Hs.Nr. 5) und Willstätter (Hs.Nr. 29) nach dem Ersten Weltkrieg geschlossen. Letztere – nach Plänen von Oswald Bieber – knüpft mit ihrem Besitzer, dem Chemie-Nobelpreisträger von 1915, Richard Willstätter, an die Zeit der untergegangenen Wittelsbacher-Monarchie an.
* Der Artikel nimmt teil an der Aktion #MeinBogenhausen.
Förderung
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München Abt. 4 Public History.
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