Mira Mann blickt zurück auf ihre Jugend und ihren Weg zum Punk – eine CD der Band Green Day, erworben im WOM in der Kaufingerstraße in München, ist für sie eine Offenbarung. Für unsere Artikel-Serie* zur Ausstellung #PopPunkPolitik entwickelt sie aus ihrem Text „Welcome to Paradise“ zusammen mit dem Musiker Anton Kaun ein Hörstück. Folgt ihren Erinnerungen, ihrem Musikverständnis, der Lust, die Orientierung zu verlieren, sowie ihrer Besessenheit von Songstrukturen. Und findet heraus, warum Einfachheit ihr wichtigstes Bekenntnis ist.
Mira Mann – „Welcome to Paradise”
„Wenn ich so zurückblicke, war mein Verhältnis zu Punk irgendwie religiös. Das klingt komisch, aber mir fällt kein passenderes Wort dafür ein. Ich habe daran geglaubt, ohne es ganz zu verstehen, und ein bisschen Angst hatte ich auch davor.“
Als die Musikerin und Autorin Mira Mann in ihrer Jugend Punk entdeckte, schienen sich für sie die Pforten zu einer neuen Welt zu öffnen, deren Tore sie gesucht hatte, ohne es zu wissen. Sie schälte das Zellophan von der gerade in einem riesenhaften Musikgeschäft gekauften Compact Disc, der „Dookie“ von der Band Green Day aus den USA, öffnete die klemmende Hülle und schob das silbern glänzende Versprechen in die herausfahrende Schublade der Mini-Stereo-Anlage in ihrem Kinderzimmer in München-Pasing: Welcome to Paradise!
Dear mother, can you hear me laughing?
Punk war ein Weg heraus aus der normativen Umgebung des Münchner Vororts, ein Weg, all die nicht passenden Gefühle auszudrücken, die da waren, aber bisher keinen Kanal gefunden hatten. Eine verbotene Frucht, eine neue Welt. Punk als Bruchstelle, Punk als Triebfeder für Produktion. Mit ihrer besten Freundin Rita begannen die ersten Bandproben in einem verschimmelten Keller in der Nachbarschaft.
Drei Akkorde, Strophe-Refrain-StropheRefrain-Instrumental / SoloRefrain, Schlagzeug-GitarreBass, drei Typen, der kleinste gemeinsame Nenner und die einfachste Umsetzung. Straight rausballern, keinen Scheiß machen.
Mira Mann wollte Musik schaffen, die sich auflehnt, gegen Gesellschaftsstrukturen. Ihre Band „Candelilla“ bestand ausschließlich aus Frauen. Ende der 1990er eine seltene Ausnahme und – wenn auch zu diesem Zeitpunkt vielleicht unbewusst – eine politisch kraftvolle Behauptung. Bis 2017 spielten sie gemeinsam, Green Day war der Anfang, aber nicht das Ende.
Heute ist Mira Mann Solokünstlerin, hat zwei Gedichtbände im Verlag Parasitenpresse veröffentlicht („Gedichte der Angst“, „Komm einfach“) und eine LP mit dem Titel „Ich mag das“. Ihre aktuellen Arbeiten lassen keine Punk-Nostalgie aufkommen, das Unbequeme allerdings ist ihnen geblieben. Die Gefühle, die in ihnen ausgedrückt werden, sind unmissverständlich und stark, radikal persönlich und mutig schmerzhaft. Es gibt nichts Überflüssiges in ihnen, keinen Schmuck, keine Spielereien. Kein Scheiß eben. Mira Mann singt nicht, sie spricht sie, intim, körperlich. Ihre Auftritte entwickeln einen Sog nicht aus schwitzender Veräußerung, sondern aus dem Zulassen von Innerlichkeit.
Für die Ausstellung „Pop Punk Politik“ hat sie gemeinsam mit dem Musiker Anton Kaun aus ihrem zuerst auf der Onlineplattform „Tegel Media“ veröffentlichten Text „Welcome to Paradise“ ein Hörstück gemacht. Ihre Stimme ruhig, die Erinnerung wild. Ist Kauns Musik zu Beginn immer wieder ein Kitzeln, das ein Begehren weckt, kommen gegen Ende Musik und Stimme zusammen für eine Coverversion des Tracks von Green Day, Mann hat den Text frei ins Deutsche übersetzt und performt ihn über eine Soundfläche von Anton Kaun.
Besucht Mira Mann auf: Website | Instagram
„Welcome to Paradise“: in der ersten Fassung erschienen bei Tegel Media
Dieser Beitrag wird gefördert im Programm:
* Die Artikel-Serie zu #PopPunkPolitik verlängert die Ausstellung in den digitalen Raum hinein. Sie vertieft Themen der 1980er Jahre aus literarischer und heutiger Perspektive.