Wer war Paula Rösler? Und wie ist ihre Verbinduung zu Waldemar Bonsels? Christina Lemmen begibt sich auf biografische Spurensuche im Rahmen der Digitalisierung des literarischen Nachlasses von Waldemar Bonsels für www.monacensia-digital.de.
Die Lyrikerin und Künstlerin Paula Rösler (1875-1941)
Geben ist holder als nehmen
Das von langen Haaren umrahmte Gesicht mit den dunklen Augen abwesend zur Seite geneigt, die geflochtenen Zöpfe über einer weiten Bluse, den einen Arm abgestützt auf dem mit Decken und Kissen üppig ausgestatteten Bett, zwischen den schmalen Fingern der anderen Hand ein Buch oder Schreibheft. So begegnet uns Paula Rösler auf Seite 39 von Waldemar Bonsels‘ zwischen 1907 und 1920 geführten Notizbuch. Unter dem Foto zitiert er sie: „Geben ist holder als nehmen.“ Ein Satz, der das Verhältnis der beiden treffend zusammenfasst. Noch zwei weitere Male begegnet uns die Künstlerin und Dichterin auf den Albumseiten: auf einem Foto von 1909, auf dem sie mit festem Blick in die Kamera schaut und auf einem etwas späteres Portrait mit hochgesteckten Haaren, verträumtem Blick, ihre Hände mit einer Perlenkette spielend.
Paula Rösler war 1902 zum Kunststudium aus dem oberfränkischen Rodach nach München gekommen. Da die Akademie der Bildenden Künste bis 1920 keine Frauen aufnahm, schrieb sie sich an der Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins ein. Nach ihrem Studium bleibt sie als freie Künstlerin in der Stadt. Sie fertigt Radierungen, malt mit Pastell und Tempera und stellt Scherenschnitte her. Außerdem verfasst sie Gedichte. 1905 bringt der von Waldemar Bonsels mit Freunden gegründete E. W. Bonsels-Verlag in Schwabing Röslers erstes Werk „Falter“ heraus. Neben Gedichten liefert sie auch die Illustrationen für diesen Band. Im Jahr darauf folgt „Fahana“. Der dritte Gedichtband „Karfreitag“ erscheint 1909 im Berliner Verlag A. R. Meyer, ist jedoch Waldemar Bonsels gewidmet.
20.000 Mark und ein Eichenholzschreibtisch
Die meisten Gedichte Röslers drehen sich um eine schmerzvoll sehnsüchtige, unglückliche Liebe. Ob Bonsels der Angebetete ist, darüber muss spekuliert werden, dass ihre Beziehung über das Geschäftliche hinausgeht, ist jedoch sicher. Wie so viele Frauen in seinem Umfeld lässt sich Paula Rösler von Bonsels‘ Charme und seiner empfindsamen Ausstrahlung in den Bann ziehen. 1908 wohnt sie in Schwabing in der Clemensstraße unweit der Verlags- und Wohnräume von Bonsels auf der Leopoldstraße. Sie ist überzeugt von seinem Talent als Schriftsteller und überweist 20.000 Mark auf sein Konto, „weil ich weiß, in welchem Sinne Deine Lebensarbeit dieses Geldes bedarf und wie nötig für dich das Bewußtsein ist, frei und ohne kleine Besorgnisse ganz nach Deinem Ermessen handeln und verfügen zu können“ (9.11.1908). Ihre vermögende Herkunft aus einer Fabrikantenfamilie ermöglicht ihr solch großzügige Geldgeschenke. Sie schenkt ihm außerdem einen Eichenholzschreibtisch, den Bonsels bis zu seinem Tod in seinem Haus in Ambach nutzte.
Ein paar Jahre später – noch bevor der große Erfolg von „Die Biene Maja und ihre Abenteuer“ Bonsels finanzielle Unabhängigkeit beschert – unterstützt sie ihn mit einem Kredit von 30.000 Mark für „geschäftliche Zwecke“, den er nach dem Tod seiner Eltern oder „wenn es mir möglich ist schon früher“ zurückzahlen will. Dieser Brief vom 18. September 1912 ist als Abschrift im Nachlass erhalten, denn einige Jahre später sieht sich Paula Rösler genötigt, den früheren Freund an dieses Versprechen zu erinnern. Ende 1912 setzt sie ihn jedoch noch in ihrem Testament als alleinigen Erben ihres kompletten Vermögens ein.
Allezeit deine P.
Im Sommer 1913 blickt sie in einem Brief aus Oberammergau voller Freude auf ein baldiges Wiedersehen mit Bonsels und unterzeichnet mit: „Immer bin ich heute und allezeit deine P.“ (18.8.1913). Danach brechen die Belege der Freundschaft ab. 1915 kehrt Paula Rösler München den Rücken und zieht nach Achenmühle im Chiemgau, wo sich seit 1910 immer mehr Künstler zusammengefunden hatten. Welcher Grund – außer der Anziehung für sie als Künstlerin – dahintersteckt, und ob auch die enttäuschte Liebe zu Bonsels eine Rolle spielt, ist nicht überliefert.
Im November 1920 schreibt sie ihm nach langer Zeit mit einem Anliegen: Sie will wieder Gedichte veröffentlichen – am liebsten in der künstlerisch gestalteten Insel-Bibliothek des Inselverlags – und hofft auf Waldemar Bonsels‘ Kontakte und Unterstützung. Nach einer Erinnerung ihrerseits reagiert Bonsels und lobt ihre Gedichte, wie aus der Antwort Röslers hervorgeht: „Dass mich dein Urteil sehr glücklich macht, wirst du wissen. Denn wenn auch das Persönliche zwischen uns erloschen ist, so bleibst du doch für mich die Autorität in künstlerischen Dingen.“ (12.1.1921) Auch diese Aussage lässt Rückschlüsse auf ein ehemalig enges Verhältnis zwischen den beiden zu.
Aus ganz unverfänglichen Gründen
Dem Vorhaben der Veröffentlichung scheint Waldemar Bonsels jedoch skeptisch gegenüberzustehen. Er spricht keine Empfehlung für sie aus – oder will es nicht. Dennoch schickt Paula Rösler ihm im Oktober weitere Liebesgedichte; nicht, wie sie ausdrücklich schreibt, um ihn auf einen Mann in ihrem Leben aufmerksam zu machen, sondern: „aus ganz unverfänglichen Gründen, lediglich, weil ich wissen möchte, ob sie gut sind.“ (16.10.1921) Ein bisschen Eifersucht wird sie wohl dennoch erzeugt haben wollen. Ob ihn, der auf der Höhe seines beruflichen und privaten Erfolgs stand, das berührte, ist fraglich.
Im Jahr darauf – Paula Rösler hat mittlerweile als einzige Frau die Künstlervereinigung „Die Welle“ mitbegründet – zeigt eine Bitte ihrerseits, wie sich die finanziellen Verhältnisse von Bonsels und Rösler umgekehrt haben. Das Vermögen der väterlichen Fabrik ist durch den Ersten Weltkrieg geschrumpft. Paula braucht Geld für einen Ausstellungspavillon, den die Künstlergruppe am Chiemseeufer errichten will. Sie wendet sich also an Bonsels und der zahlt tatsächlich 6.000 Mark, wenngleich wohl „mißmutig“. Der Pavillon kann gebaut werden, Paula Rösler stellt regelmäßig Temperabilder und Scherenschnitte aus und wird in positiven Kritiken gefeiert. Finanzieller Erfolg stellt sich jedoch nicht ein.
So viele Jahre dazwischen
Wiederum muss sie sich an Waldemar Bonsels wenden und pocht diesmal auf sein Versprechen, das ihm vor Jahren geliehene Geld zurückzuzahlen. Die beiden einigen sich auf einen Rückzahlmodus von 500 Mark im Jahr. Die folgenden Briefe schlagen einen versöhnlichen Ton an, in den auch ein wenig Nostalgie einfließt: „Wie dein Brief so vor mir liegt, die Handschrift, die Aufmachung ganz unverändert, kann ich es fast nicht glauben, daß so viele Jahre dazwischen liegen, die wir getrennt sind.“ (14.6.1925) Auch Gedichte „von denen du Vater bist“ schickt sie ihm wieder, um seine Meinung zu hören.
Im Sommer 1926 heiratet Paula Rösler Feodor von Goeschen und unterzeichnet ihre Briefe – auch an Waldemar – von nun an mit Paula von Goeschen-Rösler. Der letzte erhaltene Brief an Bonsels hat das Datum 13.1.1927.
Feodor von Goeschen erkrankt und stirbt 1931. Kurze Zeit später zieht Paula nach Wurmsdorf bei Söllhuben. „Die Welle“ löst sich im Zuge der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten nach einer letzten Ausstellung 1934 auf. 1941 stirbt Paula Rösler mit 66 Jahren, rund elf Jahre vor Waldemar Bonsels.
Wie viele der Frauen, die über die Jahrzehnte zum Kreis um Waldemar Bonsels gehörten, war Paula Rösler eine unkonventionelle Frau, die unabhängig von gesellschaftlichen Vorgaben ihren eigenen Weg verfolgte, ihr Leben ihrer Kunst widmete, ohne Rücksicht auf finanzielle Schwierigkeiten.
Autorin: Christina Lemmen. Sie ist bei der Waldemar-Bonsels-Stiftung zuständig für die Digitalisierung des literarischen Nachlasses von Waldemar Bonsels, die von 2019 bis 2021 in einem Kooperationsprojekt mit der Monacensia erfolgt.