Autonome Räume der Subkulturen wandeln sich zu hippen Räumen der Kreativwirtschaft. Was ist daran kniffelig? Und was bleibt von der ursprünglichen Idee des „Autonomen Urbanen Raums“, der Häuserbesetzungen, von ihren Visionen und den neuartigen Gemeinschaftsentwürfen? Das hinterfragt Tuncay Acar, Vorstandsmitglied von Real München e.V. Warum fordert er für den Verein, der sich für die kulturelle Vielfalt der Stadt einsetzt, „wirklich unabhängige Freiräume“ und zwar jenseits wirtschaftlicher Dominanz – ein Beitrag zur Vernetzungsaktion „Autonome Räume“ #PopPunkPolitik.
Autonome Räume – visionäre neuartige Gemeinschaftsentwürfe?
Mittlerweile gehören „alternative Kreativräume“ zum festen Bestandteil des urbanen Repertoires jeder postmodernen Metropole. Sie sind meist in Wohnviertel eingewoben und warten mit einem mannigfaltigen Angebot für die Bürgerschaft auf:
- Kurse,
- Workshops,
- Netzwerkstrukturen,
- offene Bühnen,
- kleine gemütliche Bars und Cafés, die Wände meist verziert mit den kreativen Ergüssen der lokalen Graffitiszene,
- Skate-Rampen auf dem Vorplatz etc.
Doch wenn man selbst durch jahrelange ehrenamtliche Mitarbeit in einer solchen Einrichtung involviert war oder ist, dann schaut man gerne genauer hin. Die Idee des „Autonomen Urbanen Raums“ entwickelte sich aus dem dringlichen politischen Bedürfnis einer jungen urbanen Population während der turbulenten 1960er Jahre. Häuser wurden besetzt und jahrzehntelang gegen grobklotzige wirtschaftliche Planvorstellungen von Kommunalpolitik und Immobilienwirtschaft hartnäckig verteidigt. Diese ließen sich, gestützt auf konservative Gesellschaftsnormen, nicht mit neuartigen Gemeinschaftsentwürfen vereinbaren.
Dabei passierte gerade dort Zukunftsweisendes: Visionen wurden entwickelt und organisatorische Strukturen geschaffen, um diese verwirklichen zu können. Die zähen politischen Prozesse gehörten dazu:
- langwierige Plenumssitzungen,
- Protestaktionen,
- Treffen mit der Kommunalpolitik,
- Dispute und Auseinandersetzungen,
- interne Spaltungen,
- politische Grabenkämpfe und
- teilweise auch gewalttätige Auseinandersetzungen.
Das alles sind bekannte Stereotype der globalen urbanen Geschichte der Nachkriegszeit.
Autonome Projekte der Subkultur – Vorbild und Modell für die Kreativwirtschaft
Spätestens Mitte der 1990er jedoch entdeckte die Zusammenkunft von Politik und Wirtschaft das Potenzial und den großen Vorzug von all den mittlerweile sagenumwobenen autonomen Projekten, wie das Tacheles in Berlin, die Rote Flora und den Golden Pudel Club Hamburg. Mit ihrem spröden Charme werteten sie schlecht erschlossene zentrale Viertel auf. Vorteil: Besagte Vorarbeit und all die anstrengenden Experimente waren schon auf ehrenamtlicher Ebene getan – das Modell war leicht anzueignen und diente dem Eigenmarketing.
Hausbesetzungsinitiativen wurden in Genossenschaften und Kooperativen umgewandelt und erhielten nun Besuch von internationalen Delegationen. Heute empfehlen Online-Reiseplattformen die innovativen „Alternativräume“, und über Google Maps sind diese auch superleicht zu finden. Die Immobilienfirmen profitieren am meisten und listen sie in den Nachbarschaftsreferenzen ihrer Objektportfolien auf.
Kurzum: Aus einem ehemaligen „Igitt“ wurde ein übergreifendes „Wow“, ein absolutes Muss in der globalen Sichtbarkeit postmoderner Städte.
Aus den ehemaligen „Autonomen Zentren“ wurden nun „Kreativräume“, „Innovationshubs“ oder „Urban Spaces“. Das Wort „Wirtschaft“ spielt in den Konzepten eine wichtige Rolle. Es wird vor allem an Begriffe wie Kunst, Kultur, Kreativ und Musik einfach angehängt. Den Subkulturen wird eine gewisse „Start-up“-Kultur als übergewichtiger Partner ins Boot gesetzt. Gesellschaftliche Inhalte sind nur dann von Belang, wenn sie im „kreativwirtschaftlichen“ Rahmen tragfähig sind. Am besten geben sie zusätzlich auch ein fancy Bild ab, in dem man sich mit Krawatte, Anzug und Turnschuhen platzieren kann. Somit wird man im Handumdrehen zu einem Teil einer globalen „Geldkultur“.
Real München e.V. – was brauchen wir für die kulturelle Vielfalt?
Der Real München e.V. braucht unabhängige Räume im urbanen Gefüge, um seiner Aufgabe nachgehen zu können. Reelle, aber auch ideelle Räume, die nicht vorgedeutet sind. Sie ermöglichen kulturell vielfältiges bürgerschaftliches Engagement abseits von etablierten Strukturen auf Augenhöhe. Nur wenn wir kulturelle Vielfalt nicht als Hindernis und Strukturhandicap sehen, sondern als Chance erkennen, sind wir in der Lage, die gewaltigen gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern.
Auch in einer durch wirtschaftliche Faktoren dominierten Gesellschaft benötigen wir deswegen „wirklich unabhängige Freiräume“. Dabei sollte im Idealfall die Oberflächlichkeit im Umgang mit dem Begriff „Freiraum“ abgelegt werden. Stattdessen muss sozusagen ein Payback stattfinden, indem öffentliche Gelder wieder vermehrt in die Erschließung, den Erhalt und die Förderung von „Freiräumen“ gehen.
Und zu guter Letzt fordern wir den Verzicht auf die inflationäre Nutzung des Begriffes „Wirtschaft“ als überhebliches Suffix für wirklich relevante Bereiche des würdevollen menschlichen Zusammenlebens wie Kultur, Kunst, Musik, Kreativität etc. etc. etc.
Informationen zu Real München e.V.
Real München ist ein Verein zur Förderung der kulturellen Vielfalt der Stadt. Unser Ziel ist, Menschen eine Bühne zu bieten, die man sonst nicht sieht, weil man sie leicht übersieht. Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen bereichern seit Jahrzehnten die Münchner Stadtgesellschaft.
Der Verein ist im Jahr 2016 von Münchner Kulturschaffenden gegründet worden.
Im Vergleich zu anderen deutschen Metropolen hat München einen besonders hohen Anteil an Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund. In der Kulturlandschaft der Stadt spiegelt sich dieser aber nicht wider. Denn in der Organisation von Kulturveranstaltungen, als darbietende Künstlerinnen und Künstler, selbst als Publikum sind sie deutlich unterrepräsentiert. Diese Situation lässt sich nur ändern, wenn sich Menschen dieser gesellschaftlichen Gruppen motiviert fühlen, sich mit ihren eigenen Inhalten begeistert und optimistisch in das kulturelle Leben der Stadt einzubringen.
Um diesem Ziel praktisch näherzukommen, veranstaltet Real München im gesamten Stadtgebiet über das Jahr verteilt mehrere Veranstaltungen in den Bereichen Kunst, Kultur und Musik. Das Ziel unseres Vereins ist es, Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen in die Organisation und Kuration von größeren Events einzubinden. Der Schwerpunkt liegt auf zwischenmenschlichem Miteinander, Augenhöhe, Partizipation und gegenseitigem Respekt.
Vorstand: Tuncay Acar, Mehmet Ismail Birinci, Luisa Berauer
Real München e.V. im Web:
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Lesetipp zum Thema „Autonome Räume“:
- Markus Sowa, „Von „Züri brännt“ zur Kooperative Großstadt eG: Was bleibt vom Häuserkampf?“ (15.12.2021)
Die Vernetzungsaktion ist Teil von #PopPunkPolitik Vol. 2 – unserem digitalen Programm, das wir auf der Microsite zur Ausstellung in der Übersicht spiegeln. Schaut rein!