Ein Brief von Erich Gärtner an Ludwig Thoma – Fundstück im Literaturarchiv.
Ludwig Thoma, Dietrich Eckart und Klaus Eck waren die allerersten, die den Kampf um ein neues, sauberes und bodenverwurzeltes Deutschland aufnahmen und die Spalten des Miesbacher Anzeiger waren ihnen Waffen. Diesen drei Männern ist es bei allem bewußten Verwurzeltsein im bairischen Heimatboden immer um die große deutsche Sache gegangen und wenn auch nur einer von ihnen – Dietrich Eckart – damals den Weg zu Adolf Hitler und zur deutschen Freiheitsbewegung gefunden hat, ihr gemeinsames Schaffen hat schon in dieser dunkelsten Zeit dem Erwachen Deutschlands gegolten und wir Nationalsozialisten dürfen sie als eine [!] der unsrigen ansehen.
Dieses glühende Lob steht im Vorwort des 1938 erschienenen Sammelbandes „So ein Saustall! Altbaierisches aus den finstersten Zeiten des Systems“ zu lesen. Tatsächlich trennt nichts Ludwig Thomas Artikel für den „Miesbacher Anzeiger“ vom Ton des „Stürmers“ und des „Völkischen Beobachters“, weder in stilistischer, gedanklicher noch ethischer Hinsicht. Doch war Ludwig Thoma wirklich ein Nationalsozialist der ersten Stunde? Bewahrte ihn nur sein früher Tod vor einem Eintritt in die NSDAP?
Ludwig Thoma umgibt sich in seinen letzten Lebensjahren mit Männern aus dem Dunstkreis der nationalistischen und antidemokratischen Rechten, dem Nährboden der jungen NSDAP im bayerischen Oberland. Der Miesbacher Stadtapotheker Fritz Salzberger, Tegernseer Vorsitzender des antisemitischen Honoratioren-Corps Visigothia-Rostock, der erwirkt, dass Thoma das Band der Studentenverbindung Suevia zurückerhält, macht ihn mit Klaus Eck bekannt. Unter Eck, einem antidemokratischen und antisemitischen Eiferer und Redakteur des „Miesbacher Anzeigers“, entwickelt sich das Provinzblatt zu einem Forum und Sprachrohr der extremen Rechten. Salzberger ist es auch, der Thomas Autorschaft für den „Miesbacher Anzeiger“ vermittelt. Ein weiterer Beiträger des „Miesbacher Anzeigers“ ist Dietrich Eckart. Ebenfalls ein glühender Antisemit ist Eckart Mitbegründer der NSDAP, ab August 1921 Chefredakteur des „Völkischen Beobachters“, Mentor des jungen Adolf Hitler, der ihm „Mein Kampf“ widmet und – Tarockpartner Ludwig Thomas.
Gelegentlich liest man, so auch in der kürzlich erschienen Biographie „Ludwig Thoma. Ein erdichtetes Leben“ von Martin Klaus, es existiere ein nicht ausgefüllter Aufnahmeantrag in die NSDAP, der im Schreibtisch Ludwig Thomas nach dessen Tod gefunden worden sei. Dieser Aufnahmeantrag befindet sich allerdings weder in Thomas Nachlass, noch ist er in Thomas Landhaus auf der Tuften in Tegernsee nachweisbar.
Erhalten geblieben aber ist ein Brief Erich Gärtners, des Ortsgruppenvorsitzenden der Tegernseer NSDAP, an Ludwig Thoma vom 14. Juli 1921. Obwohl Thoma größten Wert auf seine Anonymität legte, ja sogar seine Urheberschaft der Hetzartikel leugnete, waren seine Einstellung und seine Sympathie für die „Bewegung“ durchaus im Tegernseer Tal bekannt. So schreibt Gärtner:
Soweit ich unterrichtet bin, glaube ich Sie, sehr verehrter Herr Thoma, auch im Lager der Judengegner zu wissen. Leider wird von keiner größeren politischen Partei diesen jüd. Elementen – als Fremdkörper im Ariertum – die gebührende Beachtung geschenkt. Nur einer kl. Minderheit ist es wirklich ernst mit dieser Rassenfrage und haben sich diese Deutschen teils im Völk. Schutz + Trutzbund, teils in der „Nationalsozialistischen Partei“ zusammengefunden. Zweck + Ziel dieser Bewegung bitte ich aus beiliegendem Programmauszug zu ersehen. […] Es hat sich neuerdings hier in Teg. eine Ortsgruppe gebildet + sollten Sie Interesse bekunden, so bin ich zu weiteren Aufschlüssen bereit + stelle Werbematerial gern zur Verfügung.
Es fällt auf, dass Gärtner zwar Thomas politische Einstellung bekannt ist, er aber offenbar nicht zu dem kleinen Kreis der Eingeweihten gehört, die um Thomas Autorschaft der Hetzartikel im „Miesbacher Anzeiger“ wissen. Er legt seinem Brief einen Artikel aus dem „Nationalsozialisten“ – Ersatz des zu dieser Zeit gerade verbotenen „Völkischen Beobachters“ – bei, der Thomas Interesse finde möge, und empfiehlt ihm Otto Dickels Publikation „Die Auferstehung des Abendlandes“ zur Lektüre. Gärtner schließt mit der Aufforderung: „Sollten Sie Interesse wecken, so wäre ich Ihnen für Anschriften der Adress[aten?] – evtl. ausgefüllte Anmeldebögen sehr verbunden.“
Es bleibt offen, ob Ludwig Thoma diesen Brief in den zwei Wochen vor seiner Krankenhauseinweisung noch beantwortet hat. Es befindet sich jedenfalls kein weiterer Brief Gärtners, aus dem sich eine Reaktion erschließen ließe, im Nachlass.
Gibt es einen unausgefüllten Aufnahmeantrag oder eben doch nur eine unbeantwortete Einladung? Hat Gärtner seinem Brief gar mehrere Anmeldebögen beigelegt, in der Hoffnung, der berühmte Schriftsteller würde für die NSDAP Mitglieder rekrutieren? Wurden diese Anträge von Thoma selbst weggeworfen oder erst später von einer anderen Person vernichtet? Hätte Ludwig Thoma der NSDAP beitreten wollen, hätte dies dann nicht eher sein Freund Dietrich Eckhart vermittelt? Martin Klaus stellt die These auf, Thoma sei im Frühsommer 1921 nicht Mitglied der NSDAP geworden, da sich Adolf Hitler zu dieser Zeit gerade mit der Partei überworfen hatte. Oder war Ludwig Thoma klar, dass seine angebetete Maidi von Liebermann, als Jüdin ohnehin äußerst irritiert von seinen Veröffentlichungen im „Miesbacher Anzeiger“, ihm diesen Schritt nicht verziehen hätte?
Nur ein überraschender Fund in Archiven oder Privatbesitz könnte diese Fragen abschließend beantworten.
Hat Ludwig Thoma es also verdient, dass die Nationalsozialisten ihn 1938 als einen der ihrigen ansehen? Er schmäht in seinen Artikeln im „Miesbacher Anzeiger“ die verhasste neue Republik, speit auf ihre Repräsentanten und ätzt gegen Juden, Sozialisten und die katholische Zentrumspartei. Seine Aufrufe zu Gewalt und Mord verhallen nicht ungehört: Der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Gareis wird im Juni 1921 getötet, der katholische Zentrumspolitiker Matthias Erzberger an Thomas Todestag von rechten Attentätern ermordet.
Ob Aufnahmeantrag oder nicht: Ungeachtet seiner literarischen Meisterwerke und seiner biographisch erklärbaren Verbitterung und Gebrochenheit am Lebensende erweist sich Ludwig Thoma mit seinen Artikeln als ein geistiger Wegbereiter der schändlichsten Periode der deutschen Geschichte.
Autorin: Verena Wittmann, Literaturarchiv der Monacensia