Skurril, surreal oder einfach nur: „Ich bin mein eigener Psychoterror“? Betty Bienenstich schreibt zur Vernetzungsaktion „Autonome Räume“* – Erinnerungen an und Gedanken über die 1980er Jahre in München. Im Zentrum: der persönliche Zugang zu Räumen der Subkulturen, Theater- und Kunsträumen oder Plastik-Müllpartys. So mancher damals entstandener Kreativ-Raum wirkt bis heute weiter, etwa das Tollwood (1988) oder die Pasinger Fabrik (1991). Die Ausstellung Pop Punk Politik ist im Text präsent – ein Stakkato der besonderen Art!
„Ich bin mein eigener Psychoterror“ von Betty Bienenstich
Rattazamm ratta zamm weg is der Karton. 1980 trat ich meinen Träumen in den Magen. Fing an, bei Boutique Sweatheart zu werkeln.
„Du hast keinen Geschmack“ – wer braucht den schon, Vater arbeitet für die Guten. Mutter schaufelt sich durch die Finanzen. Träumt von einem Banker als Schwiegersohn.
Ab in die Glitzerwelt Schwabing, vorbei Friede Freude Eierkuchen.
Zu lange schon in der Neurosensuppe der Nachkriegsversehrten gepaddelt. Mode aus Verzweiflung, überall riecht es in München nach Verdrängung, irgendwie ist alles gar nicht schön, doch das ist ja das Gute dran. Ich lass es raus. Bis ich mit einer Strickmaschine ende und nachts das Pogo tanzen nicht mehr hilft.
Ab nach New York, satte Bauchlandung, Mama holt mich zurück. Wie schön ist München doch an Weihnachten, gäbe es da nicht diese jämmerlichen Gestalten in der Stadt.
Meine Mutter stirbt, schnell und furchtbar an Krebs, sie ist erst 49. München versinkt um mich herum in Psychotherapie, suche Rat im Himmel, der hat geschlossen. Wo kommt denn diese ganze Verzweiflung her? Mein Vater war ein Erfinder und Eigenbrötler, „es gibt immer eine einfache Lösung, nur vielleicht nicht da, wo man guckt“. Mensch Papa. Die 1980er sind fast vorbei – da gibt es plötzlich Tollwood. So ein Verrückter namens Uwe Kleinschmidt stand abends am selbst gebauten Wok und wir durften Kunst machen im Zelt – aber nur Bio-Bier ausschenken und nix Fremdes verkaufen. Mal heiraten, kann nicht schaden, mein Mann, der Kunstkommissar HWM, gründete das Brokalhaus – Brokaltage in der Pasinger Fabrik – dann musste ich nur noch kotzen. Schwanger. Jetzt war es Zeit, sich zu entscheiden – hab meine Tochter bekommen. Die 1980er vergessen.
Jetzt muss was passieren, alle um mich herum explodieren. Peter sammelt Platten für Optimal, Kai mischt die Marionetz ab, wir gründen MUKUMU, den Kultur- und Kunstverein, sitzen tagelang im Heppel& Ettlich und simpeln, malen Plakate, Johnny vom Musicstore bringt den Sound – Neue Deutsche Welle.
Zuhause heule ich genau wie alle anderen, wenn mein Freund fremdgeht, wache nachts auf und versuche, mir die Zukunft vorzustellen. Stimmt es, dass sie nicht existiert? Alles eh schon da war und immer da sein wird? Es packt mich der Horror, ich werfe um mich mit gefärbtem Kartoffelsalat und Plastik-Müllpartys, wir dringen in alte Keller ein und veranstalten ein chaotisch buntes Bodypainting auf der Wiese des Theaterfestivals. Hört uns einer?
Ständig neue Ängste und Zweifel, wie bekomme ich sie weg? Wir mieten ein Atelier in der bayerischen Schmalfilmzentrale, in der Adelgundenstraße, gehört Müller Brot. Altes Gemäuer, voller Gift und Schlacke, aber groß und einsam. Twang Bar wummert in den Räumen, Fotografen inszenieren Mehlperformances und ich eröffne mit einem veganen Gemüsebuffet auf schwarzem Lack. Rabe kommt, Michaela, Robert der Görl. Der Traum platzt, als uns die Stadt den Strom abstellt, weil der Hausbesitzer die Stromzählerprüfung nicht bezahlt hat. Wir fliegen raus, die Kaution ist futsch, alles landet auf dem Müll.
Die Vernetzungsaktion ist Teil von #PopPunkPolitik Vol. 2 – unserem digitalen Programm, das wir auf der Microsite zur Ausstellung in der Übersicht spiegeln. Schaut rein!